Der Mann mit den vielen Stimmfächern
Opernsänger Christian-Andreas Engelhardt: Vom Opernstudio zur Ensemblestütze – „Ich will den Menschen eine Freude machen“
Von Frank Schümann
Am 9. Juli 2007 schlug er zum ersten Mal in Bremen auf, um sich für das damals neu zu gründende Opernstudio vorzustellen. Am 13. Oktober sang er seine erste Premiere, in Verdis „Nabucco“, und auf den Tag genau zehn Jahre später in Leonard Bernsteins „Candide“ seine erste Titelpartie. Über 60 Produktionen sind es bis heute insgesamt, in denen der Heldentenor, der gerne auch mal als Bariton eingesetzt wird, mitgewirkt hat. Christian-Andreas Engelhardt ist seit Jahren nicht mehr wegzudenken aus dem Opernensemble des Theaters Bremen; in dieser Spielzeit sang er mit dem Florestan im „Fidelio“ erneut eine hochkarätige Partie, zuletzt war er in „Das Horoskop des Königs – L’Etoile“ und Alban Bergs „Lulu“ zu sehen.
Wer gedacht hat, in der Neustädter Wohnung von Christian-Andreas Engelhardt wimmele es nur so vor Theater-Accessoires, der sieht sich eines Besseren belehrt: Das Wohnzimmer ist weitestgehend theaterfrei, nur bei genauerem Hinschauen lassen sich eine Maske und ein Schwert entdecken – und die Fotos im Raum zeigen keineswegs den erfolgreichen Opernsänger, sondern seine Familie. „Beruf ist Beruf, privat ist privat“, sagt der bodenständige Franke dazu – und kredenzt dem Gast Kaffee und selbstgemachten Kuchen, selbstredend auf dem besten Geschirr. Engelhardt weiß, was sich gehört.
Der Anfang im Theater
Und das Theater weiß, was es an ihm hat. Lob und große Partien sind heute der Normalfall – das war naturgemäß nicht immer so. Der Lebenslauf des heute 39-Jährigen ist vielmehr ein gutes Beispiel dafür, wie man am Theater klein anfängt – und letztlich doch Karriere machen kann. An den 9. Juli 2007 kann er sich erinnern, als wäre es gestern gewesen: an diesem Tag stand das Vorsingen für das Opernstudio an, dass der damalige Generalintendant Hans-Joachim Frey gründen wollte. „Es war ein Montag, und ich habe panische Angst davor gehabt, denn ich war stark erkältet“, erzählt der Sänger: „Ich war um 13 Uhr eingetragen zum Singen und hatte die Startnummer 13 – ich dachte, das kann ja nicht gut gehen, zumal ich im Fieberwahn auch noch meinen Anzug vergessen hatte.“
Als Frey fragte, was er singen wolle, habe er gedacht: „Wenn schon untergehen, dann mit fliegenden Fahnen“ – und präsentierte die Gralserzählung aus Wagners „Lohengrin“. Mit Erfolg, es reichte für die zweite Runde, von den ursprünglich rund 40 Sängerinnen und Sängern waren dann nur noch sieben dabei. Es folgten in der zweiten Runde Mozarts „Bildnisarie“ und Puccinis „E lucevan le stelle“ – und auch hier konnte er die Jury überzeugen, auch wenn das Fieber langsam Wirkung zeigte. „Der Korepititor hat damals gesagt, wenn der krank ist, wie singt er dann, wenn er gesund ist?“, erzählt Engelhardt.
Ursprünglich auf ein Jahr angelegt, blieb der Sänger, der zuvor in Würzburg und Hannover studiert hatte, auch ein zweites Jahr im Opernstudio – „als Entschädigung für die schlechte Bezahlung“, so der Sänger lachend. Und auch dann überzeugte er die Theaterleitung: eine Übernahme ins Ensemble war eigentlich nicht vorgesehen, doch Engelhardt blieb wieder – er blieb immer, bis heute, nun natürlich mit ganz anderem Standing. Das Opernstudio, das von vielen mittlerweile kritisch gesehen wird, war für ihn ein eindeutiger Glücksfall, sagt Engelhardt: „Ich wurde in den Theaterbetrieb geschmissen, ohne sofort die großen Partien singen zu müssen – das war sehr hilfreich, hat mir Praxis gebracht, aber auch die Zeit, die ich brauchte.“
Ganz oder gar nicht
Die Bedeutung von Engelhardt für das Ensemble wird auch an den reinen Zahlen deutlich –pro Jahr waren es vier bis fünf Produktionen, „einmal sogar alle, da war ich in jeder Produktion dabei“. Zweimal sei er auf über 94 Vorstellungen in der Saison gekommen – „und nicht eine musste ich ausfallen lassen“, so Engelhardt, auch wenn es bisweilen schon hart an der Grenze gewesen sei. Woher kommt diese bedingungslose Einsatzbereitschaft? Von seiner Mutter habe er gelernt: „Wenn man einen Job hat, dann macht man den ganz oder gar nicht – eine Erkältung oder Rückenschmerzen halten einen nicht von der Arbeit ab“ , sagt Engelhardt.
Den Ruf, den er am Haus habe – „den kann man immer bringen“ – freue ihn, auch die große Wertschätzung durch den heutigen Intendanten Michael Börgerding. Einen zweiten Grund gibt es allerdings auch noch, und der ist wenig überraschend: „Ich liebe meinen Beruf, ich liebe ihn wirklich. Über die Grenzen zu gehen, trotzdem gute Leistungen zu bringen und den Menschen damit eine Freude zu machen, das ist es, was mir so wichtig ist.“ Um die Menschen zu erfreuen, sei er ja auch Opernsänger geworden.
Überhaupt ist er einer, der – sehr sichtbar – mit sich im Reinen ist; der die Rolle seines Berufes und die des Theaters richtig einzuschätzen weiß, nebenbei aber auch andere Steckenpferde hat. So ist er in der neuapostolischen Kirchengemeinde in Bremen-Arsten aktiv, dirigiert dort den Gemeindechor, übt sich zudem – als Folge einer langen Familientradition – als Nachtwächter in seiner fränkischen Heimat, in Bad Rodach. Und wie findet sich waschechter Franke in Bremen zurecht? „Bremen ist mein Lebensmittelpunkt, hier bin ich sehr gerne und mittlerweile stark verwurzelt“, sagt Engelhardt, und ansonsten gelte: „Was net passt, wird passend gemacht.“ Er könne sich durchaus vorstellen, noch lange in Bremen zu bleiben.
Engelhardts besondere Stimme
Eine besondere Rolle nimmt in dieser Geschichte die Stimme des Sängers ein – denn sie gilt als besonders. „Im Grunde ist meine Stimme ein echter deutscher Heldentenor“, sagt der Künstler selbst, „aber durch meine Wandelbarkeit kann ich genauso gut einen hohen Charaktertenor singen oder sogar einen Bass.“ Manch einer sei überrascht am Haus, wie ein Tenor eine solche Tiefe haben kann, erklärt er laut lachend – mit der kommenden Rolle als Faninal im „Rosenkavalier“ übernimmt er bereits sein achtes Stimmfach.
Ist diese Wandlungsfähigkeit (für die er mit vielen Unterrichtseinheiten auch einiges tut) Fluch oder Segen? Engelhardt überlegt, sagt dann: „In diese Kategorien kann ich es nicht einordnen. Ich sehe es so: Auf diese Art habe ich immer wieder eine neue Herausforderung, der ich mich stellen kann. Im Tenorfach ist ja irgendwann Schicht.“ Die Rolle als Allzweckwaffe des Theaters habe er schon längst angenommen: „Ich glaube, das bin ich schon immer gewesen – Gott sei Dank, dass ich keine Frauenpartien singen kann.“