Tauschladen lebt von sozialen Kontakten

Das Konzept funktioniert in Zeiten von Corona-Kontaktbeschränkungen nicht. Eine Online-Lösung bezeichnet Marco Schöling von „Fairtauschen“ als „Griff nach dem Strohhalm“.

Von Daniela Krause

Marco Schöling vom Findorffer Tauschladen „Fairtauschen“ steht stirnrunzelnd im Lager: Die Waren stapeln sich in den Regalen. Der große Tisch in der Mitte des Ladens, der sonst bei den Kunden ein beliebter Treffpunkt ist, wird derzeit nur als Ablagefläche genutzt. Kaffee, Kuchen, gesellige Runden mit Klönschnack – all das gab es hier seit Monaten nicht mehr. Der Unmut und die Enttäuschung sind dem Projektleiter des Tauschladens anzusehen.

„Wir haben eine richtig gute Idee, können diese aber im Moment nicht umsetzen. Der Tauschladen lebt von sozialen Kontakten und dem Miteinander der Nachbarschaftshilfe. Wenn die Corona-Kontaktbeschränkungen bleiben, gehen wir hier unter.“ Das Geschäft, in das viel Herzblut geflossen sei, verkomme immer mehr zum Lager. „Sonst waren wir ein Stöberort, jetzt sind wir ein Übergabeort“, sagt Schöling. „So kann es nicht funktionieren.“

Pacht übersteigt die Einnahmen

Der eurofreie Laden, der Anfang 2018 eröffnete, wird vom gemeinnützigen Verein Leuchtturmfabrik getragen. Dieser hat für seine Aktivitäten, den Tauschladen und ein eigenes Repaircafé, zwei Räume angemietet; doch die Mietkosten sind dreimal höher als die Einnahmen. „Im Moment leben wir von unserem Ersparten, denn seit einem Jahr kommt kaum Geld rein“, sagt Schöling. Auch Karin Karan (69), die von Beginn an ehrenamtlich im Laden tätig ist, blutet das Herz: „Es steckt so viel Arbeit und Liebe dahinter. Das wird oft gar nicht so wahrgenommen.“

Der Laden finanziert sich durch die Förderbeiträge der Mitglieder in Höhe von drei Euro monatlich, die normalerweise bei einem Besuch bar bezahlt werden, Flohmarktverkäufe und Spenden. Von den sechs Mitarbeitern arbeitet lediglich eine Kraft 25 Stunden in Festanstellung, die anderen sind ehrenamtlich für den Tauschladen im Einsatz – wie Marco Schöling selbst, der sein Aufgabenfeld schmunzelnd als „Mädchen für alles“ beschreibt. Hauptsächlich kümmert er sich um das Büro, die Verwaltung und die Finanzen, packt aber auch viel im Laden mit an, der zu 90 Prozent von Findorffern frequentiert wird.

Tauschladen von außen

Ein Bild aus Corona freien Tagen. Foto: Fairtauschen

Das Tauschladen-Prinzip

In der Zeit vor Corona herrschte bei „Fairtauschen“ noch reger Betrieb: Circa 1.000 Tauschvorgänge im Monat waren keine Seltenheit. Insgesamt sind seit der Eröffnung rund 33.000 Tauschvorgänge zusammengekommen. Wiederverwenden statt wegschmeißen lautet die Devise, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit. Was sauber, heile und funktionstüchtig ist, findet im Tauschladen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen neuen Besitzer. Was defekt ist, kann zunächst ins Repaircafé und nach erfolgreicher Reparatur in den Tauschladen gebracht werden.

Marco Schöling erklärt das „Fairtauschen“-Prinzip, das auf der Idee der Tauschringe aufbaut, genauer: „Menschen können uns privat Dinge bringen und auch welche mitnehmen. Das Ganze läuft über ein Konto mit Punkten.“ Wer etwas bringt und einbuchen lässt, bekommt die Ladenwährung „Fairsharies“ gutgeschrieben und kann diese wiederum gegen andere Artikel, gerettete Lebensmittel oder direkte Nachbarschaftshilfe tauschen. „Wenn ich zum Beispiel eine Steckdosenleiste brauche, hole ich mir eine aus dem Tauschladen. Wenn ich Hilfe beim Umzug benötige, vernetze ich mich online. Wenn ich zu viel Marmelade gekocht habe, bringe ich welche in den Tauschladen.“

Online-System als Griff nach dem Strohhalm

Da die Kunden derzeit nicht im Laden stöbern können, hat Marco Schöling als studierter Wirtschaftsinformatiker eine Software entwickelt, mit der „Fairtauschen“ für den Übergang online funktionieren soll. „Das ist für uns aber keine Lösung, sondern ein Griff nach dem Strohhalm“, sagt der 56-Jährige. Seit Januar kann man sich online anmelden und Artikelinformationen und Fotos hochladen. „Das ist gut angelaufen“, zeigt Marco Schöling sich zufrieden.

Im Zuge einer aufwendigen Inventur wurden rund 1.800 Artikel im Laden erfasst, mit Etikett versehen, fotografiert und in das System eingepflegt. So können die Kunden auf der „Fairtauschen“-Seite sehen, welche Waren sich gerade im Geschäft befinden, telefonisch vorbestellen und abholen. Im gleichen Atemzug können aussortierte Dinge abgegeben werden. Ausgeschlossen von der Annahme sind Möbel und Kinderkleidung. Bücher dürfen abgegeben werden, allerdings nur, wenn sie thematisch in die Bereiche persönliche Weiterentwicklung, Gesundheit und Umweltschutz fallen. „Alles andere würde den Rahmen sprengen“, so Schöling.

Damenbekleidung

Für Damenbekleidung gibt es im Tauschladen eine eigene große Abteilung. Eine für Herren soll bald folgen. Foto: Daniela Krause

Schnäppchen in der Damenabteilung

Eine eigene große Abteilung im Tauschladen gibt es für die Damenbekleidung. Dort hat Stammkundin Katja Schumberg aus dem benachbarten Stadtteil Schwachhausen schon so manches Schnäppchen ergattert: „Ich habe eine Marken-Windjacke für nicht mal zehn Fairsharies bekommen und eine gute Wanderhose. Da habe ich mich sehr drüber gefreut.“ Etwa zwei bis dreimal im Monat nutzt sie das Angebot von „Fairtauschen“ und hat auch schon von dem neuen Online-System Gebrauch gemacht.

„Seit ich den Tauschladen kenne, ist mein Kleiderschrank im stetigen Wandel“, sagt die 42-Jährige lachend. Demnächst wird ihr Freund wohl ebenfalls im Laden fündig werden, dann soll es auch eine eigene Abteilung für Herrenbekleidung geben. Um ihr Fairsharies-Konto aufzubessern, hat sich Katja Schumberg in der Vergangenheit unter anderem von einem Entsafter und einem Laptop getrennt. Auch gerettete Lebensmittel von Foodsharing hat sie in den Tauschladen gebracht. „Das Konzept, für Dinge die man nicht mehr braucht einen Gegenwert zu bekommen und sich dafür etwas anderes Schönes aussuchen zu können, finde ich genial“, schwärmt sie.

Waren-Wege aus dem Tauschladen

Wenn es nach Katja Schumberg geht, sollte sich der ökologische und soziale Gedanke des Tauschladens in anderen Stadtteilen und über Bremen hinaus weiterverbreiten. „Es tut einem doch in der Seele weh, Sachen auf den Müll zu schaffen, die noch gut erhalten sind.“ Allerdings ist nicht nur ihr, sondern auch Marco Schöling bewusst, dass nicht alle Sachen einen Abnehmer finden.

Für einen Artikel gibt es deshalb drei Wege aus dem Laden. Der Königsweg: Ein anderes Mitglied nimmt ihn mit. Alternativ holt der Tauscher den nach drei Monaten nicht verkauften Artikel wieder ab oder spendet ihn für das Verschenke-Regal. Dieses steht vor dem Laden, so dass jeder etwas herausnehmen, aber auch hineinlegen kann.

Das größte Geschenk für Marco Schöling und die Mitarbeiter des Tauschladens wäre, wenn sie wieder öffnen dürfen. Doch so lange die Kontaktbeschränkungen fortbestehen, bleibt ihnen nur der Griff nach dem Online-Strohhalm.

Repaircafés

So wie in Bremen-Findorff werden auch im Repair Café Thedinghausen kaputte Elektrogeräte und andere Gebrauchsgegenstände wieder flott gemacht.

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