Beschäftigte möchten gehen

2021: Die Arbeitnehmerkammer Bremen blickt auf ein beratungsintensives Jahr zurück. In der Pflege und Logistik ist es hart.

Von Ulf Buschmann

Die Frau ist am Ende ihrer Kräfte. Seit einigen Jahren arbeitet sie als Pflegefachkraft in einer Bremer Einrichtung. Eigentlich ist sie gerne in ihrem Beruf tätig, doch die vergangenen knapp zwei Jahre haben bei der Frau zur physischen und psychischen Erschöpfung geführt – Dienstschichten von bis zu 14 Stunden, keine Pausen und fehlende Ruhezeiten gehören seit Beginn der Coronapandemie zu ihrem Alltag. Heraus aus diesem Hamsterrad kommt die Fachfrau nur, wenn sie kündigt. Und das mit allen wirtschaftlichen Folgen.

Mit diesen und ähnlich gelagerten Fällen mussten sich die Mitarbeitenden der Arbeitnehmerkammer Bremen im vergangenen Jahr befassen. Der rote Faden war die Corona-pandemie. Diese hat vor allem bei Beschäftigen der Pflege- und der Logistikbranche Spuren hinterlassen. Die Ratsuchenden kamen vor allem mit Fragen zum Arbeitsschutz und zu psychischen Belastungen. In der Statistik schlägt es sich mit einem Plus von rund 20 Prozent an Beratungen nieder. „In der Krise haben wir Hochkonjunktur“, sagt Hauptgeschäftsführer Ingo Schierenbeck.

Ein Pflegerin betreut eine alte Dame.

In der Pflege ist die Belastung so hoch, dass viele Arbeitnehmer den Beruf wechseln. Foto: Ulf Buschmann

Dabei zeichnet sich gerade bei den psychischen und physischen Belastungen ab, dass es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schlechter geht als einst. Zunehmende Arbeitsverdichtung und höherer Arbeitsdruck machen den Beschäftigten zu schaffen. Hinzu kommen existenzielle Fragen. Als Beispiel nennt Kaarina Hauer, Leiterin der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer, das Auslaufen von Krankengeldzahlungen nach einem Burnout, Mobbing im Betrieb und die Ausnutzung von Leiharbeitern – hauptsächlich dann, wenn sie kein Deutsch sprechen und ihre Rechte nicht kennen. Alles das lässt sich in der Statistik ablesen: Im Bereich der psychischen und physischen Belastungen war das Wissen der Kammer 2021 öfter gefragt als 2020 – ein Plus von 17 Prozent von 2020 zu 2021.

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Saarländische Homeoffice-Studie

Psychische und Physische Belastungen können aber auch anders aussehen. Dies legt eine Studie der Arbeitskammer des Saarlandes zum Homeoffice nahe. Hierzu hatte die Kammer erstmals Betriebs- und Personalräte im Juni 2020 befragt. Eine zweite Runde folgte im März 2021. Über die Funktionäre seien rund 62.000 Beschäftigte erreicht worden, erklärt Arbeitskammer-Geschäftsführerin Beatrice Zeiger. Laut der Studie ist die Anzahl derer, die das Homeoffice als psychische und physische Belastung empfinden, angestiegen. 2020 hatte demnach der Wert bei 28,7 Prozent gelegen, im Juni 2021 waren es schon 32,9 Prozent.

Als Begründung hatten die Funktionäre die Entgrenzung von Berufs- und Privatleben beziehungsweise die Doppelbelastung von Familie und Beruf angegeben. Viele würden die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz vermissen. „Man sieht die Kollegen nicht mehr so häufig“, sagt Zeiger. Auch die körperlichen Belastungen sind ihren Angaben zufolge mehr geworden: 2020 hatten noch 12,5 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice über Rückenprobleme und Co. geklagt. Ein Jahr später waren es 16,1 Prozent.

Papiere vor einem Laptop.

Durch das Homeoffice schwindet die Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben. Foto: Ulf Buschmann

Fragen zum Arbeitsschutz

Spuren hinterlässt die Coronapandemie nach wie vor auch beim Arbeitsschutz – dieser hatte vor Jahren im Beratungsgeschehen der Bremer Arbeitnehmerkammer eine untergeordnete Rolle gespielt. Doch seit Frühjahr 2020 ist es anders. Mit Beginn der Pandemie 2020 waren die Zahlen auch hier in die Höhe gegangen. Den Anstieg im vergangenen Jahr beziffern die Kammervertreter um 20 Prozent. Allerdings, hätten sich die Fragen der Beschäftigten verändert.

Erst waren es Fragen zur Maskenpflicht und zu Abstandsregeln. „Im zweiten Coronajahr ging es vor allem ums Homeoffice, um Test- und Impfregelungen oder um Quarantänevorschriften“, sagt Rechtsberatungs-Leiterin Hauer. Und: „Wenn eine neue Verordnung kommt, brennen bei uns die Leitungen heiß.“

Ein typischer Fall: Eine an Corona erkrankte Ratsuchende meldet sich nach der Quarantäne-Anordnung des Gesundheitsamts Bremen. Der Betroffenen geht es nicht gut, deshalb fragt sie bei ihrem Hausarzt nach einer zusätzlichen Krankschreibung an. Der Mediziner lehnt dies jedoch mit Verweis auf die Quarantäne-Anordnung ab – diese bedarf keiner Krankschreibung, so seine Auffassung. „Was der Arzt dabei verkennt, ist, dass eine Quarantäne-Anordnung und eine Krankschreibung unterschiedliche Folgen hat“, klärt die Arbeitnehmerkammer auf.

Ein neues Auto wird auf einen Transporter verladen.

Der Autoumschlag in Bremen gehört zur Logistik. Hier waren die Arbeitnehmer stark belastet. Foto: Ulf Buschmann

Arbeitnehmerkammer-Geschäftsführer Ingo Schierenbeck

Ingo Schierenbeck. Foto: Stefan Schmidbauer.

„Untypische Entwicklungen“

Das vergangene Jahr habe über den erneuten Anstieg der Beratungen hinaus einige Überraschungen gebracht, sagt Hauptgeschäftsführer Ingo Schierenbeck. Er nennt zwei „untypische Entwicklungen“, mit denen er selbst in der Form nicht gerechnet habe. So hätten mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um Rat nachgesucht, die von sich aus ihr Arbeitsverhältnis beenden wollten. Laut Schierenbeck waren es 2020 noch 2.750, im vergangenen Jahr 3.270 Menschen – eine Zunahme von 15,9 Prozent. „Dies betrifft alle von Corona betroffenen Branchen: Pflege, Logistik, Gastronomie und Einzelhandel“, so Schierenbeck.

Die zweite für den Hauptgeschäftsführer „untypische“ Entwicklung: 2021 scheuten sich die Arbeitgeber, ihren Mitarbeitenden zu kündigen. Dies macht Schierenbeck am Rückgang der Beratungen um mehr als 20 Prozent in diesem Bereich fest. Für 2020 hatten die Statistiker noch einen Anstieg notiert. Als Gründe für den Rückgang nennt Schierenbeck die verbesserten Kurzarbeit-Regelungen, die Coronahilfen für die Unternehmen und den Fachkräftemangel.

Unabhängig von Hilfen für die Unternehmen hat die saarländische Arbeitskammer-Geschäftsführin Zeiger ein „besonderes Problem“ ausgemacht: Insbesondere in kleineren Unternehmen gebe es „Führungsdefizite“ wie fehlende Entscheidungsfreudigkeit und mangelnde Kommunikation.

Arbeitnehmerkammer und Arbeitskammer

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen eine unabhängige Anlaufstelle – diese Philosophie steht hinter der Arbeitnehmerkammer Bremen und ihrem Pendant, der Arbeitskammer des Saarlands. Bremen legte dafür den Grundstein am 8. Juli 1921. Damals wurden die Kammergesetze von der Bürgerschaft beschlossen. Allerdings gab es zunächst zwei Einrichtungen: die Arbeiterkammer und die Angestelltenkammer. Letztere hatte ihre konstituierende Versammlung vor 100 Jahren, am 16. Januar 1922. Die Arbeiter schafften es am 27. Dezember 2021. Mit der Machtergreifung der Nazis wurden beide Kammern aufgelöst und erst 1945 wiedergegründet. Alte Vorschläge, Arbeiter- und Angestelltenkammer zu fusionieren, wurden erst im Jahr 2000 umgesetzt.

Im Saarland war es schwieriger, denn es stand nach dem Ersten Weltkrieg unter der Verwaltung des Völkerbundes. Bestrebungen zur Durchsetzung von mehr Mitbestimmung der Beschäftigten waren schwierig, da das Betriebsrätegesetz der Weimarer Republik im Saarland nicht galt. An der Saar wurde deshalb 1925 durch die Regierungskommission im Auftrag des Völkerbundes die erste Arbeitskammer geschaffen. Diese war damals noch paritätisch besetzt. Erst am 30. Juni 1951 ließen die Abgeordneten des Landtages das „Gesetz über die Einrichtung einer Arbeitskammer im Saarland“ passieren.

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