Hits und Sehnsucht
Mit „SchlagerWelle – vom Kai bis zur Mauer“ hat das Bremer Hafen Revue Theater nach zweieinhalb Jahren Coronapause seine erste Produktion auf die Bühne gebracht. Ein Stück mit Lacheffekt, Hits vor allem aus den 80er- und 90er-Jahren und über Menschen mit Sehnsüchten.
Von Ulf Buschmann
Die Bauchmuskeln können nicht mehr. Zu viel gibt es zu lachen. Vor allem Tina ist umwerfend komisch. Diese in quietschpinkfarbene Klamotten gekleidete Frau scheint Hummeln im Popo zu haben, fegt sie doch wie ein aufgezogener Spielzeughase über die Bühne. Dabei kann sie die kleinen, sehr charmanten Zweideutigkeiten nicht lassen. Die Bauch- beziehungsweise Lachmuskeln müssen einfach in Wallung geraten. Doch eigentlich hat Tina nicht viel zu lachen – sie muss auf dem Straßenstrich für Porno-Paule anschaffen gehen. Tina träumt von einem Studium.
Wenigstens hat sie Rita, die Inhaberin des „Hafencasino“. Und da ist Willi, der Wetteransager, der so gerne echte Nachrichten sprechen möchte. Auch Rita hat einen Traum: Sie möchte endlich ihre große Liebe Heiner wiedersehen. Den musste Rita nach dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 in der DDR zurücklassen.
Die Mauer fällt
Doch an diesem November 1989 geschieht etwas – die Mauer fällt. Heiner meldet sich endlich nach 28 Jahren. Rita ist zum Schluss auf dem Weg zu ihm. Willi ist sozusagen mittendrin statt nur dabei. Endlich hat er seinen Chef rumgekriegt. Willi spricht die Nachrichten, die das Nachkriegseuropa für immer verändern sollten. Deutschland wird wieder eins, die Sowjetunion bricht zusammen. Der Eiserne Vorhang ist Geschichte.
Es ist der Plot von „SchlagerWelle – vom Kai bis zur Mauer“, der ersten Produktion des Hafen Revue Theater nach mehr als zwei Jahren Zwangspause wegen der Corona-Pandemie. Claudia Geerken als Rita und Oma, Antonia Schwingel als Tina und Heidi sowie Martin Gresselmeyer nehmen die Zuschauer mit auf eine musikalische Zeitreise. Ein bisschen 70er-Jahre hier, vor allem aber 80er- und 90er-Jahre. Drei starke Stimmen und Charaktere singen sich durch die Zeit. Es sind Stücke, die im Prinzip alle mitsingen können und die einfach nur Spaß machen. „Guten Morgen, liebe Sorgen“, „Der Kommissar“ oder der „Sternenhimmel“ landen auf den Ohren der Besucher.
Verdampt lang her
Natürlich ließe sich die Rahmenhandlung wunderbar um die musikalischen Knaller der vergangenen Jahrzehnte stricken. Doch so einfach haben es sich die beiden Autorinnen von „SchlagerWelle“ nicht gemacht. Claudia Geerken und Christina Handke haben vielmehr kleine, aber durchaus charmante textliche Veränderungen vorgenommen. So wird aus „Verdamp lang her“, dem Song, in dem BAP-Sänger Wolfgang Niedecken das Verhältnis zu seinem Vater aufarbeitet, etwas ganz anderes. Rita erinnert sich an die schöne Zeit mit ihrer großen Liebe Heiner – die leider schon so lang her ist.
Oder da ist der Berliner, der sich ordentlich uffregt, wa! Nüscht will so richtig im „Hafencasino“ funktionieren. Also erinnert sich der Typ aus der Hauptstadt, ebenfalls gespielt von Martin Gresselmeyer, an seine wilden Zeiten: an die „Kreuzberger Nächte“ von Gebrüder Blattschuss. Logisch, dass fast alle Besucher diesen Gassenhauer aus dem Jahr 1978 mitsingen können. Gleiches gilt übrigens für „Westerland“ von den Ärzten, „Ohne Dich“ von der Münchner Freiheit oder „Über sieben Brücken“ von Karat. Selbst als der ganze Saal „Wahnsinn“ von Wolfgang Petry gröhlt, lässt sich der Mensch mitreißen, der eigentlich keine Schlager mag.
„Ein Erlebnis, wie wir es schon lange nicht mehr hatten“
Alles in allem hat das Hafen Revue Theater eine Produktion auf die Beine gestellt, die sich durch Kurzweil und eine wunderbare Leichtigkeit auszeichnet. Die Akteure tragen ihre Zuschauer so furios durch die zweimal 45 Minuten, dass kaum einer merkt, wie schnell die Zeit vergeht. Doch es sind nicht nur die Schauspieler und das Skript von Claudia Geerken und Christina Handke. Denn ohne eine starke Regie funktioniert selbst so eine bescheidene Produktion nicht.
In dieser Hinsicht haben das Hafen Revue Theater und am Ende die Zuschauer mit Gordon Golletz nicht nur großes, sondern riesengroßes Glück gehabt. Logisch, dass die Feier nach der Premiere ziemlich lange ging. „Die Premiere war ein Erlebnis, wie wir es schon lange nicht mehr hatten“, freut sich Claudia Geerken denn auch.
Endlich wieder auf der Bühne
Die Spielfreude ist einfach groß. „Alle sind froh, wieder auf der Bühne zu stehen“, sagt Claudia Geerken. Sie ist nicht nur Schauspielerin und Autorin, sondern auch Geschäftsführerin des Hafen Revue Theater. Als solche sieht sie auch die Probleme nach zwei Jahren Pause durch die Corona-Pandemie. Zwar seien alle froh gewesen, dass der Betrieb wieder angelaufen sei. Jedoch: „Die Leute kommen noch nicht wieder.“
Mit dieser Zurückhaltung des Publikums hat nicht nur das Hafen Revue Theater zu kämpfen. Vielmehr geht es allen Kultureinrichtungen in Bremen und Deutschland so. Sie alle merken es in erster Linie am stagnierenden Kartenvorverkauf für Theaterstücke oder Konzerte. „Wer kommt, freut sich, es sind aber zu wenig Menschen“, sagt Claudia Geerken. Was dies am Ende bedeutet, ist eindringlich in einem Facebook-Post von „Clubverstärker“, dem Zusammenschluss der Bremer Clubs, Livemusikspielstätten und Veranstalter, vom 5. Oktober beschrieben: „ABGESAGT liest man derzeit leider viel zu oft, dabei sollte es doch eigentlich AUSVERKAUFT heißen.“
Kein Geld mehr vom Land
Aktuell geht es für die Kulturszene und -einrichtungen um alles oder nichts – zumal bei vielen die Reserven aufgebraucht sind und die sogenannte Fehlbedarfsdeckung ab 2023 wegfällt. In den vergangenen zwei Jahren hatte das Land Bremen der Kultur unter anderem mit dem Ausgleich von durch die Corona-Pandemie wegbrechenden Einnahmen unter die Arme gegriffen. Ergo ist das Hafen Revue Theater auf hohen Umsatz beziehungsweise viele Besucher angewiesen. Hinzu kommt, dass für das Parallelprojekt des Hafen Revue Theater, den „Hafentraum“, nach zweijähriger Aussetzung der Tilgung jetzt die Rückzahlung eines Darlehens beginnt.
Doch schwarz sehen mag die Geschäftsführerin ganz und gar nicht. Immerhin läuft das Projekt nach Auskunft von Claudia Geerken recht gut. Auch der Betrieb des „Schwarzlichthof“ ziehe langsam wieder an. Wahrscheinlich trauten sich die jungen Leute eher wieder raus, mutmaßt sie. Die Älteren würden eher den Weg ins Hafen Revue Theater finden. Und da gibt’s zurzeit ja mächtig was zu lachen.