Schümann’scher Schlenker
Ganz nah dran
Manchmal gibt es Themen, die unerwartet zur Entschleunigung führen – und ganz nah dran sind, an einem selbst.
Von Frank Schümann
Es gibt Termine, da kann man gar nicht anders, als zu entschleunigen. Kürzlich hatte ich zwei davon, in einer Woche. Mitten in einer Phase, in der es hoch her ging – eine Abgabe jagte die nächste, das Telefon tat mir auch nicht den Gefallen, mal still zu sein. Okay, es gibt so Zeiten, das wissen wir alle, da heißt es dann: cool bleiben, einfach weitermachen und die Aufgaben abarbeiten. Ein schneller Blick auf die Uhr, da war doch gleich ein Termin, welcher noch gleich… ach ja, die Krebsberatung. Schnell auf die Homepage gucken, sich daran erinnern, was man die Woche zuvor schon recherchiert hatte, und dann ab in den Termin – via Zoom.
Krebs, da war doch mal was?
Mein Gesprächspartner ist auch schon drin in der virtuellen Konferenz, ein netter Typ. Wir klopfen erst einmal die Fakten ab, während es bei mir im Hinterkopf rumort – ein privater Anteil kämpft darum, gehört zu werden. Krebs, da war doch mal was?
Und da ist es auch schon passiert: Kaum, dass wir inhaltlich richtig eingestiegen sind, höre ich mich sagen: „Nur dass Sie Bescheid wissen, mich hat das Thema auch deshalb interessiert, weil ich selbst mal Krebs hatte. Zum Glück ist er lange raus und hat auch nicht gestreut.“
Die Folgen der Krankheit
Ups, das war auf diese Art eigentlich nicht geplant, aber jetzt ist es raus! Er fragt natürlich nach, und ich erzähle; erzähle gerne, wie ich einmal mehr feststelle, denn ich gehöre zu der Sorte Mensch, die darüber sprechen muss – im Gegensatz zum konträren Typus, der das so gar nicht kann (was genauso okay und nachvollziehbar ist). Während wir uns über die Folgen der Krankheit unterhalten, stelle ich fest, dass ich mich fast in einem Beratungsgespräch befinde – und dass es immer noch Dinge in diesem Kontext gibt, viele Jahre nach der Diagnose, die mich beschäftigen. Sehr beschäftigen.
Aus der Rolle gefallen
Ich merke, dass ich mich immer mehr in der Vergangenheit verstricke und gerade so gar nicht mehr journalistisch agiere. „Oh, ich fürchte, ich bin ein bisschen aus meiner Rolle gefallen“, konstatiere ich; er lacht und sagt so etwas wie „das kann schon mal passieren.“ Ich finde darüber aber auch den Weg zurück, stelle die Fragen, die ich im journalistischen Kontext fragen wollte, und führe ein gutes Gespräch mit ihm, das später in einem informativen Text mündet – wie geplant.
Der Tod als Thema
Zwei Tage später habe ich einen weiteren Termin für die Beilage, die sich mit mutmaßlich schweren Themen wie Tod und Vorsorge beschäftigt. Dieses Mal treffe ich mich mit einer jungen Frau, die Trauerreden schreibt. Auch dieser Termin verläuft anders als erwartet – denn so schwer, wie ich das Gespräch befürchtete hatte, verläuft es keineswegs. Diese Frau lacht gerne und viel, vermittelt hochgradig Empathie für die Menschen, deren Tod sie für die Angehörigen mit ihren Texten erträglicher machen will – und natürlich auch für die Angehören selbst. Sie erzählt, wie sie zu ihrer Profession gekommen ist, dass es ihre Sozialisation war, der diesen Weg vorgezeichnet hat, und dass sie den Tod keineswegs als Feind sieht – im Gegenteil, eher als einen Freund sieht, der eben eines Tages kommen müsse, alternativlos.
„Keiner kommt hier lebend raus“
Erneut habe ich ein gutes Gefühl in diesem Gespräch – diese Themen verändern mein Empfinden für die Zeit, entschleunigen, nehmen mir den Stress, den Druck. Wie lautet dieses Zitat von Anthony Hopkins? „Keiner von uns kommt hier lebend raus. Also hört auf, Euch wie Andenken zu behandeln.“ So ist es. Und wenn man bisweilen in einem leichten, empathischen Ton über diese Themen spricht, lebt es sich auch im Alltag etwas angenehmer.
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