Landschaftspfleger auf vier Beinen

Wanderschäferin Anna Kimmel begleitet eine Schafherde unter anderem bei der Beweidung der Kirchdorfer Heide. Seit etwa 30 Jahren arbeitet sie in diesem Beruf, der immer noch zu wenig wertgeschätzt wird.

Von Daniela Krause

Wer ans Schafehüten denkt, hat oft ein Szenario wie aus dem Bilderbuch vor Augen: Der Schäfer (Achtung, Klischee!) steht auf den Wanderstab gestützt da, während die Schafe im Hintergrund friedlich grasen. „Ganz so romantisch ist es dann doch nicht“, sagt Anna Kimmel, die seit September 2022 für die Schäferei des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gemeinsam mit weiteren Schäferinnen und Schäfern zwei Herden im Hochmoor- und Heidepflegeeinsatz betreut. Knapp 30 Jahre lang arbeitet die 47-Jährige als Schäferin – mit allen Höhen und Tiefen, die dieser traditionsreiche, aber auch kräftezehrende Beruf mit sich bringt.

An dem Tag, als wir uns mit ihr treffen, wird sie von Luisa Stemmler von der Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz und Landschaftspflege (agnl) des BUND Diepholzer Moorniederung über eine kurze Etappe beim Beweidungsdurchgang der Kirchdorfer Heide begleitet. Einige Tage zuvor ist Anna Kimmel in der Kuppendorfer Heide unterwegs gewesen. Ihre tierische Begleitung besteht aus über 550 Schafen, 80 Ziegen und ihren beiden selbst ausgebildeten altdeutschen Hütehunden Ylva und Lillebror.

Ein Määäh-r aus Schafen und Ziegen.

Die Herde als eigener Organismus

Die Schafe verhalten sich ruhig, scheinen sich wohl und sicher zu fühlen. Anna Kimmel gibt das Tempo vor, schreitet langsam weiter, während sich die Tiere in Bewegung setzen und mit ihr ziehen. Wenn sie pfeift, weiß jedes Schaf, dass es seine Position überprüfen muss. Mit einem „Koooom, koooom!“ fordert sie die Schafe auf, ihr zu folgen. „Die Herde ist wie ein eigener Organismus, der auf mich ausgerichtet ist“, erklärt sie. Ab und zu tanzt mal eine Schnucke aus der Reihe. Dann sind Ylva und Lillebror zur Stelle, um sie wieder zur Herde zu treiben.

Bei ihrem Vater, dem dienstältesten Wanderschäfer Schleswig-Holsteins, der vor mehreren Monaten in Rente gegangen ist, hat Anna Kimmel das Schafehüten gelernt. Von Kindesbeinen an war sie fasziniert von der Wanderschäferei im Allgemeinen und von Schafen im Besonderen. „Schafe sind die zweitältesten Haustiere und einzigen Nutztiere, die noch in Freiheit leben. Gemeinsam mit den Hütehunden und dem Hirten bilden sie eine perfekte Einheit.“

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Zwischendurch hält Anna Kimmel an, damit sich die Schafe den Flächen intensiver widmen. Sie knabbern an Heide, Traubenkirsche und Birke. „Kiefern mögen sie nicht. Aber gerade diese breiten sich massiv aus und wuchern die Heideflächen zu.“ Was die Schafe und Ziegen an Gehölzen nicht antasten, wird später unter Einsatz von Maschinen und in Handarbeit beim sogenannten „Entkusseln“ entfernt.

„Die Beweidung ist eine wesentliche Pflegemaßnahme“, berichtet Luisa Stemmler. „Die Mahd und die Imitation des historischen Abplaggens sind weitere wichtige Faktoren bei der Landschaftspflege. Das Ziel ist, die strukturreiche Heide als gewachsene Kulturlandschaft zu erhalten. Die Pflegemaßnahmen in der Kirchdorfer Heide werden im Übrigen zu einem großen Teil mit Geld aus dem Haushalt der Samtgemeinde Kirchdorf finanziert.“

Diese Schnucke macht sich über das Heidekraut her.

Ziegen mit Quatsch im Kopf

Während sich die Schnucken eher um das Fressbare unter ihren Klauen kümmern, stellen sich die Ziegen auch auf die Hinterbeine, um an höhere Triebe heranzukommen – das hilft gegen die Verbuschung. „Allerdings haben Ziegen viel Quatsch im Kopf“, sagt Anna Kimmel lachend. „Sie haben nicht das Herden-Gen wie die Schafe und testen mit Vorliebe die Hunde aus.“ Die Schafe zu hüten heiße in erster Linie, sie zu halten. „Wenn ich das nicht tue, würden sie einfach losrasen und sich das Beste rauspicken.“ So achtet die Schäferin darauf, dass die Tiere erst an die alten Gewächse gehen, bevor es junges, frisches Futter gibt. Die Beweidungskarte weist ihr dabei den Weg durch das Gelände. Abends werden die Tiere eingepfercht und die Herdenschutzhunde übernehmen die Wache.

Lillebror hat stets ein wachsames Auge auf die Herde.

Sorge um die Zukunft des Berufsstandes

Spaziergänger freuen sich, wenn sie Anna Kimmel und die Schnucken sehen. Auch, wenn sich einige schon einmal über den „Dreck“ beschwert haben, den die Tiere hinterlassen. „Damit kann ich leben und den Leuten erklären, dass der Kot ein natürlicher Dünger ist.“ Fremde Hunde sind jedoch mitunter ein Problem: „Ein Hund ist mal auf die Herde zugestürmt. Die Schafe waren nach diesem Vorfall wie traumatisiert.“

Wenn ein Schaf hinkt, holt sie es mit dem Fanghaken an ihrem Stab zu sich, um einen Dorn aus der Klaue zu ziehen und die Wunde zu desinfizieren. Lässt ein Schaf unglücklich die Ohren hängen oder verweigert das Fressen, schaut die Wanderschäferin genauer hin. Anna Kimmel fühlt sich mit den Tieren verbunden und liebt ihre Arbeit sehr. Und doch treibt sie die Sorge um die Zukunft ihres Berufsstandes um.

Ylva ist die zweite treue Hundeseele an Anna Kimmels Seite.

Schäfereien haben ein Nachwuchsproblem

In den vergangenen sieben Jahren war sie deutschlandweit als Aushilfe, Betriebshelferin und Urlaubsvertretung in den unterschiedlichsten Schäfereien im Einsatz. Aus dieser Zeit berichtet sie: „Es gibt kaum noch festangestellte Schäfer, und die Betriebe haben ein Nachwuchsproblem. Es ist eben kein Acht-Stunden-Job, nach dem man alles abstreifen und nach Hause gehen kann. Außerdem ist es harte körperliche Arbeit.“ Wirtschaftlich sei der Beruf ebenfalls schon lange nicht mehr, denn heute ist die Schafhaltung in Deutschland eine landwirtschaftliche Nische.

Die Löhne lagen in der Vergangenheit oft unter dem Mindestlohn. Die Erlöse aus Wolle und Lammfleisch reichen zur Existenzsicherung kaum aus. Gestiegene Kosten und hohe Auflagen, aber auch Risse durch Wölfe erschweren den Schäfern zusätzlich die Arbeit. Fördermittel könnten sie zwar beantragen, der bürokratische Aufwand hierfür sei jedoch hoch. Deshalb seien private Landschaftspflegeschäfereien mittlerweile sehr selten geworden.

Kurze Pause für die Wanderschäferin und ihren treuen Begleiter Lillebror.

Beweidung erhält Lebensraum

Dabei müsste die Arbeit der Hirten mehr wertgeschätzt werden, findet auch Luisa Stemmler: „Die Beweidung hält nicht nur die Landschaft offen, sie erhält auch den Lebensraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Schafe transportieren Samen im Fell, im Darm und auch an den Klauen. So etablieren sich die Flächen, ohne dass zusätzliches Saatgut eingebracht werden muss.“ Auf den nährstoffarmen Magerrasenflächen, die es dank der Beweidung noch gibt, wachsen seltene Pflanzen wie Filzkraut, Vogelfuß und Bergsandglöckchen. In der Sandheide haben verschiedene Insektenarten, aber auch Eidechsen und Schlangen ihr Zuhause.

Die Beweidung ist eine wesentliche Pflegemaßnahme.

Die Schäferei in Vollzeit zu betreiben, das wäre für Anna Kimmel zu anstrengend, körperlich wie psychisch. Für die BUND-Schäferei, die weitere zwei Vollzeit-Schäfer beschäftigt, übernimmt sie mit einer halben Stelle die Beweidungsgänge in Heide und Moor zwischen Mai und Oktober. In der Wintersaison sind die Schafe auf der Koppel und bringen im Stall ihre Lämmer zur Welt. Auch dann packt sie tatkräftig mit an. Der nächste Hüte-Einsatz ist voraussichtlich Anfang Mai, wenn es mit den Schnucken und Ziegen ins Hochmoor geht und die Hüte-Saison beginnt.

Hüten heißt in erster Linie halten, sagt Anna Kimmel.

Lämmer kennen noch nichts

Erst vor ein paar Tagen wurde ausgetrieben. Das sei ein großes Tohuwabohu gewesen. „Die Lämmer kannten bislang ja nur den Stall, sie kennen noch kein Grün und keinen Elektrozaun. Hinzu kommen die Mutterschafe, die sich Sorgen um ihren Nachwuchs machen und deshalb sehr aufgeregt sind. Aber das wird sich in den nächsten Wochen ändern, wenn sich die Lämmer nach und nach an alles gewöhnt haben und auch mit den Hütehunden Bekanntschaft geschlossen haben.“ Man sieht: Für Anna Kimmel wird es nicht langweilig. Und selbst in der hütefreien Zeit fällt ihr genügend ein. Dann genießt die zweifache Mutter das Zusammensein mit ihrer Familie in Lübeck, engagiert sich ehrenamtlich in einem Jugendprojekt und frönt ihrer weiteren Leidenschaft: dem Schreiben von Fantasy-Romanen.

Anna Kimmels Blog

Über ihr Leben als Wanderschäferin schreibt Anna Kimmel auf ihrem Blog.

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