Älter werden

Unser Autor Frank Schümann ist gerade mal wieder ein Jahr älter geworden, hat die nächste 0 vor Augen und macht sich so seine Gedanken über das Altern. Und das Ende des Alterns.

Von Frank Schümann

Es ist ja so eine Sache mit den Geburtstagen – je älter man wird, desto normaler werden sie; und dann irgendwann auch wieder nicht. Die erste 0 wird als solche noch gar nicht wahrgenommen, auf die zweite freut man sich, weil: hey, endlich erwachsen! Bei der dritten knirscht es dann schon ein bisschen – nach dem Motto, oh Gott, die Jugend ist vorbei. Mit der vierten hat man es, wenn es gut läuft, akzeptiert, in der Mitte des Lebens angekommen zu sein, und mit der fünften – nun ja.

Von nun an geht’s bergab?

Mir kam seinerzeit gleich ein Lied von Hildegard Knef in den Sinn: „Von nun an geht’s bergab“. Das hörte ich dann allerdings eher augenzwinkernd – zumal ich zu diesem Zeitpunkt schon eine schwere Erkrankung hinter mir hatte und froh war, überhaupt noch da zu sein.

Dankbar und demütig

Froh darüber bin ich bis heute, dankbar und demütig; aber auch hin- und hergerissen zwischen dieser Demut einerseits und dem Bewusstsein, dass der Körper in früheren Jahren doch deutlich frischer aussah als heute; was sich unlängst etwa in dem Satz eines Kumpels bemerkbar machte. Der sagte angesichts eines alten Fotos von mir: „Das bist Du? Wow, Du sahst ja mal richtig gut aus.“ Ja, vielen Dank auch!

Der 60ste kann wehtun …

Doch Spaß beiseite – insgesamt überwiegt die Dankbarkeit, auch wenn die nächste 0 quasi vor der Tür steht und die Knochen deutlich morscher geworden sind. Und man ist ja nicht alleine mit den Gedanken – vor einigen Tagen beehrten uns zwei alte Bekannte bei unserem alteingesessenen Stammtisch, einer sichtbar gut gelaunt, der zweite eher nicht. Wir fragten den ersten, was los sei, der sagte über den zweiten: „Hör mir bloß auf, der ist gerade 60 geworden, der jammert schon den ganzen Abend rum“. Was mir von rechts auch prompt bestätigt wurde.

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Die Angst vor Verlusten

Einen Grund zum Jammern gibt es allerdings tatsächlich – und das sind die vielen Verluste, die man in diesem Alter zu beklagen hat. Und die Angst vor den Verlusten. Die Angst um die Liebsten, die Eltern, um enge Freunde.

Hatte ich mich während meiner Zeit als Zivi im Altenheim vor fast 40 Jahren noch lustig gemacht über die Menschen, die sich bei der morgendlichen Zeitungslektüre als erstes um den Teil mit den Todesanzeigen rissen, so kann ich sie heute verstehen. Auch ich studiere diesen Teil heute regelmäßig (wenn auch, zum Glück, noch nicht als erstes) und muss immer wieder erschrocken feststellen, dass ich viel zu viele von den Namen kenne, die ich da Samstag für Samstag lese. Viele immerhin, die ein hohes Alter erreicht haben, aber auch viele aus der gleichen Generation und leider auch manch jüngere. Auch ich habe im Laufe der Jahre einige gute Freunde verloren – wie auch Menschen, die mich beruflich geprägt haben.

Trauer um viele Künstler

Als jemand, der dreizehn Jahre am Theater gearbeitet hat, musste ich zuletzt einen Großen nach dem anderen betrauern: Hans Kresnik, Klaus Pierwoß, Norbert Kentrup, Frank-Patrick Steckel – alle nicht mehr da.

Ich habe sie alle vier gekannt – zum Teil recht gut; auch gearbeitet habe ich mit allen, teils auch gestritten. Und oh ja, das konnte man mit ihnen. Alle vier waren sie hochpolitisch unterwegs, immer bereit, sich zu streiten, wenn es der Sache diente – Kresnik und Steckel zeigten dies vor allem in ihren Inszenierungen, Pierwoß und Kentrup eher mit der Art, ihre Theater zu leiten – sowie in ihrer Art, sich den Widerständen von außen teils vehement zur Wehr zu setzen (was indes auch die anderen beiden taten). Es waren allesamt Begegnungen, die besonders für mich waren – und teils prägend.

Die Summe der Bekanntschaften

Vor einer Woche starb mit Gabriele Möller-Lukasz eine herausragende Schauspielerin des Theaters Bremen, die ich ebenfalls gut kannte – seit ihrem Wechsel nach Bremen vor über 30 Jahren. Gabi wurde nur 69 Jahre alt, hat aber bis zuletzt mit vollster Leidenschaft gelebt, wie die anderen genannten auch; auch das ist etwas, was man bei aller Traurigkeit mitnehmen kann in die eigene Biografie. Ich danke den Genannten und gedenke ihrer – ich bin froh, sie gekannt zu haben, was auch für alle anderen gilt, die ich in meinem Leben getroffen und irgendwann wieder verloren habe. Das eigene Leben ist ja immer auch die Summe der Bekanntschaften, die man im Laufe der Jahrzehnte gemacht hat.

Carpe diem!

Wenn ich dann also wieder einmal vor dem Spiegel stehe, neue Falten entdecke und noch weniger Haare, dann sage ich mir: Freue Dich über die schönen Dinge – darüber, dass Du immer noch da bist, dass es Dir gut geht, dass Du viele Deiner Liebsten noch hast! Dass Du gesund bist, selbstständig und den Menschen helfen kannst, die Du liebst und die Deine Hilfe brauchen.

Und genieße einfach – jeden – verdammten – Tag.