„Fatale Entwicklung“ für den Inseltourismus
Der Tourismus auf den ostfriesischen Inseln brummt – doch es gibt zahlreiche Risiken für die Zukunft der Branche. Für Borkum werden die geplanten Gasbohrungen negative Auswirkungen haben.
Von Ulf Buschmann
Es ist ein lauschiger Sommerabend. Tausende Menschen haben es sich entlang der Borkumer Strandpromenade gemütlich gemacht oder flanieren. Viele fotografieren den Sonnenuntergang. Auch am nächsten Morgen ist er Gesprächsthema. „Der Himmel über der Nordsee sah gigantisch aus!“, sagt eine Frau beim Frühstück in einer der zahlreichen Pensionen. Zu diesem Zeitpunkt ist der nahe Südstrand bereits voll. Touristen und einige Einheimische genießen die ungewöhnlich hohen Temperaturen um die 30 Grad.
Alles scheint gut, Borkum kann in der Gegenwart und Zukunft gut von seinem wichtigsten Wirtschaftszweig, dem Tourismus, leben. Doch der Insel droht Ungemach. Am Horizont vor dem Nordstrand kreuzt ein Spezialschiff. Es ist Vorbote eines Projekts, das den Borkumern Angst macht. Das niederländische Unternehmen One-Dyas plant, ein Gasfeld vor der Küste auszubeuten. Ein Teil davon liegt auf deutschem Hoheitsgebiet. Das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) hat das Projekt bereits im August genehmigt. Das letzte Wort hat jedoch die Bundesregierung.
Ein Unitarisierungsabkommen zwischen Berlin und Den Haag ist notwendig. „Das Abkommen regelt nicht die Genehmigung des Vorhabens, das entscheidet die zuständige Behörde. Die Bundesregierung ist hierzu mit der niederländischen Seite in Kontakt. Die Gespräche dauern noch an“, teilt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums mit.
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Negative Auswirkungen auf den Tourismus
Auf Borkum spüren die Menschen bereits negative Auswirkungen. „Die Medienberichterstattung über das Erdgasfördervorhaben wirkt schon jetzt“, schreibt Dennis Möller, Sprecher der Nordseeheilbad Borkum GmbH: „Unabhängig von einer möglichen Schädigung der intakten Natur des Weltnaturerbes Wattenmeer haben wir bereits jetzt einen Imageschaden als touristisches Reiseziel.“
Bestätigung kommt von Uwe Reimer. Er und seine Frau Ellen betreiben im Osten der Insel eine Pension und Kreativwerkstatt. „Die Ängste sind riesig“, sagt Reimer mit Blick auf die Gasbohrungen. „Für die Menschen, die hier leben und Urlaub machen, ist es eine paradoxe Situation.“ Einerseits sei aufgrund der strengen Nationalparkregeln vieles im Wattenmeer nicht möglich, andererseits dürfe ein Unternehmen nach Erdgas bohren. Zudem schädige dieses Projekt die Umwelt schon jetzt. Reimer verweist auf Berichte über Bauschäden und Erdbeben aus den Niederlanden.
Nicht nur die Verantwortlichen auf Borkum gehen von „verheerenden Auswirkungen“ für die Branche und die ganze Küste aus. Sollte es zur Gasförderung kommen, hat die UNESCO bereits klargemacht, dass dem Wattenmeer der Weltnaturerbe-Status aberkannt wird – und damit das stärkste Marketingargument des Küstentourismus, der mit rund 52.000 Beschäftigten laut Industrie- und Handelskammer (IHK) für Ostfriesland und Papenburg „eine zentrale Säule der Wirtschaft“ ist.
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Tourismus: „Fatale Entwicklung“
Von einer „fatalen Entwicklung für den Nordsee-Tourismus“ spricht Mario Schiefelbein, Geschäftsführer der Tourismus-Agentur Nordsee GmbH (TANO). Er verweist auf eine Studie der Nationalpark-Verwaltung Niedersächsisches Wattenmeer von 2023. Diese besagt, dass 15,3 Prozent der Urlauber ihren Aufenthalt in Abhängigkeit vom Nationalpark-Status gebucht haben. Die IHK zählte für ihren Bezirk im Jahr 2023 genau 1.502.462 Gäste. Knapp 230.000 kamen wegen des Nationalparks. Diese Menschen würden sich nach Einschätzung von Möller „auf dem Reisemarkt anderweitig umschauen.“
Was tun, wenn die größte der ostfriesischen Inseln nicht mehr mit dem Nationalpark-Image punkten kann? Längst haben die betroffenen Menschen und die NBG ihre Forderungen an die Landesregierung in Hannover herangetragen. Dazu gehören Unterstützung von Infrastrukturmaßnahmen, „mit denen sich der touristische Attraktivitätsverlust Borkums (…) durch Attraktivitätsgewinne an anderer Stelle zumindest teilweise kompensieren lässt“, so Möller. Eine Antwort steht aus. Auch eine Anfrage der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ließ das zuständige Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Speziell für die Borkumer ist die Diskussion über die möglichen Gasbohrungen und der damit verbundene Imageschaden ein zusätzliches Problem. Hintergrund: Die Frühjahrsumfrage der IHK in der Branche fällt bescheiden aus. Der Grund dafür ist die unsichere gesamtwirtschaftliche Lage. Das größte Risiko seien hohe Energie-, Lebensmittel- und Rohstoffpreise. Entsprechend werden die Aussichten für 2025 eher verhalten bewertet.
TANO-Geschäftsführer Schiefelbein nennt weitere Gründe: „Hinzu kommt eine chronische Unterfinanzierung der touristischen Organisationen.“ Er fordert deshalb, dass Tourismus nicht mehr nur eine freiwillige Leistung der Kommunen sein darf. Immerhin betrage die Wertschöpfung allein an der niedersächsischen Nordseeküste innerhalb der TANO-Region 4,3 Milliarden Euro jährlich „mit einem Äquivalent von rund 90.000 Vollzeitarbeitsplätzen.“ Die Forderungen reichen von der Unterstützung der Krabbenfischer über eine bessere Anbindung der Küstenregion bis hin zur umfassenden Digitalisierung.
Probleme auf Wangerooge
Die Inselgemeinde Wangerooge hat andere Sorgen. Sie kämpft um den Ausgleich zwischen den Anforderungen des Tourismus und den Wünschen der Einheimischen. Die zweitkleinste der ostfriesischen Inseln leidet wie alle unter dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum für die Insulaner. Zudem belasten die massiven Sandabträge am Hauptstrand jeden Herbst und Winter sowie das Schwimmbad und das Kurmittelhaus die Gemeinde.
Statt jedes Jahr hunderttausende Euro für die Sandaufspülung auszugeben, brauche es eine langfristige Lösung, betont Rieka Beewan, kommissarische Bürgermeisterin. Sie nennt das Sedimentmanagement als Beispiel für die notwendigen Maßnahmen. Dabei gehe es nicht um das Know-how, sondern um die Zuständigkeiten von Bund, Land, Europäischer Union und „anderen Stellen“. Ihr Trost: „Das gilt für alle Inseln.“
Anders sieht es beim Kurmittelhaus „Oase“ und dem Schwimmbad aus. Beide Einrichtungen wurden während der Pandemie geschlossen. Das aktuelle Problem: Es fehlen Fachkräfte. „Politisch streben wir an, ein Freibad zu erhalten“, formuliert die Inselchefin eine Minimalforderung. Doch die Technik und das Interieur beider Einrichtungen sind veraltet.
Kurmittelhaus: Charme der 90er-Jahre
Das Kurmittelhaus versprüht den Charme der 1990er-Jahre, so Beewan. Eine im Sommer in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie soll die Möglichkeiten einer Wiedereröffnung aufzeigen. Immerhin: Die Mehrheit der Inselbewohner möchte ihre „Oase“ und das Bad erhalten. Beewan bleibt realistisch: „Ich sehe keinen Baubeginn vor 2026.“
Nicht nur der Zustand der Anlagen bereitet den Insulanern Sorgen. Auch der fehlende Wohnraum für die 1300 Einwohner ist ein großes Thema. Deshalb erarbeiten Bewohner, Politik und Verwaltung gemeinsam ein Tourismus- und Lebensraum-Konzept. Darin sollen alle Belange vereint werden. Das Glück der Insel: Der Großteil der Bevölkerung steht laut Beewan dahinter. Der nächste Schritt soll die Instandsetzung der Oase sein. Es folgen die Schaffung von Hotelbetten und bezahlbarem Wohnraum. „Mit etwas Glück“, so die Verwaltungschefin, „hat sich Wangerooge bis 2020 neu aufgestellt. Wenn uns das nicht gelingt, sind wir bei der Konkurrenzfähigkeit abgeschlagen.“