Ich will einfach nur malen

Mit der Sprühdose in der Hand und einer Idee im Kopf – so entstehen die Werke von „WOW123“. Seinen Sprayer-Namen, inspiriert von einer Litfaßsäule, trägt er immer noch. Heute malt der weltweit aktive Künstler nicht nur auf Fassaden, sondern auch auf Leinwand.

Von Daniela Krause

Breakdance war nicht so sein Ding, das merkte Markus Genesius schnell, als er es ausprobierte. Doch von der Hip-Hop-Kultur als solcher, die im Kern aus Graffiti, Breakdance, dem DJ und der Rapmusik besteht, war er als Teenager fasziniert. „Ich habe mich von der Musik und dem Lifestyle aus den USA sehr angezogen gefühlt“, erinnert sich der gebürtige Bremer. Das Gleiche galt für das Phänomen Graffiti – zum Leidwesen seiner Eltern. In der Anfangsphase ging es darum, seinen Namen irgendwo illegal zu platzieren, den er aber erstmal finden musste. Beim Blick auf eine Litfaßsäule blieb sein Blick an dem Wort „Wow!“ kleben. Dahinter hängte er „123“, sein Geburtsdatum 12.3.1974 – und der Sprayer „WOW123“ (gesprochen Englisch: Wow, one, two, three) war geboren.

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Silber auf Schwarz

Bei einer seiner ersten illegalen Spray-Aktionen hinterließ er auf einer schwarzen Wand ein silberfarbenes Bild mit brombeerfarbenen Outlines. „Durch einen dummen Umstand habe ich das meinem Vater erzählt. Die Konsequenz war, dass ich nachts mit schwarzen Spraydosen anrücken und es wieder wegmachen musste“, erzählt Genesius von den Anfängen. Zuerst sei es das Bestreben des Sprühers gewesen, sich aus dem Untergrund heraus im Stadtbild zu zeigen. Dann bekam er zusammen mit anderen Sprayern die Gelegenheit, sich ganz legal auf verschiedenen Flächen „kreativ auszutoben“ , etwa auf einer großen Lagerhalle des DRK in der Neustadt. „Da kamen Freunde aus anderen Städten und Ländern. Und natürlich war das auch eine Form von Competition – aber eben eine friedliche, was sicherlich dem Spirit der Hip-Hop-Kultur zu verdanken ist.“

Das Fernseh-Testbild ziert die Fassade dieses ehemaligen Philips-Gebäudes in Eindhoven.

Ein riesiges Fernseh-Testbild ziert die Fassade dieses ehemaligen Philips-Gebäudes in Eindhoven. Foto: Markus Genesius

Ein bekannter Name in der Graffiti-Szene

Markus Genesius machte sich als „WOW123“ in der Szene rasch einen Namen. „Ich hatte das Glück, dass ich zu Events und Festivals eingeladen wurde, wo ich meine Spuren hinterlassen durfte.“ Ein Schlüsselerlebnis war für ihn eine Hip-Hop-Jam in Hannover im Jahr 1993. Gemeinsam mit anderen Sprayern, darunter Freunde aus Berlin und Hamburg, gestaltete er eine Wand auf einem Schulgrundstück. Die Aktion wurde von einem Kamerateam begleitet.

Ich konnte es erst gar nicht glauben, dass ich in einer Doku mit Advance Chemistry, Absolute Beginner und anderen auftauche!

Monate später erhielt er einen Anruf: Noch am selben Tag lief im ZDF die später mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Doku „LOST IN MUSIC – HIP-HOP HOORAY!“  über die Hip-Hop-Bewegung in Deutschland. „Ich konnte es erst gar nicht glauben, dass ich in einer Doku mit Advance Chemistry, Absolute Beginner und anderen auftauche!“ Vor etwa 25 Jahren organisierten Freunde aus Hamburg dann die erste für Europa wichtige Street-Art-Ausstellung, bei der „WOW123“ mit dabei war. „Die haben Größen wie Banksy nach Deutschland geholt“, erinnert sich Markus Genesius. „Das war schon etwas Besonderes.“

Dieses Bremer Wohnhaus ziert ein Mural namens

Dieses Bremer Wohnhaus wurde durch ein Mural von Markus Genesius verschönert.

Werke im Bremer Stadtraum

Wenn man mit offenen Augen durch Bremen geht, kann man einige Werke von „WOW123“ entdecken: Zu den bekanntesten gehört das von ihm gestaltete Wasserpumpenhäuschen am Osterdeich, eine Kollaboration mit einem Freund aus Berlin. Im Viertel gegenüber von „Küche 13“ ist eine sehr präsente Arbeit zu finden und in der Überseestadt hat er gemeinsam mit 20 Künstlern die Außenwand eines Bunkers gestaltet. In der Bremer Karte von Street Art Cities gibt es eine von ihm zusammengestellte Tour.

Über 100 Projekte und Ausstellungen

Dank mehr als 100 Projekten und Ausstellungen sowie zahlreicher Auftragsarbeiten hat der Bremer im Laufe der Zeit Reisen in 48 Länder unternommen – unter anderem nach Marseille, wo er ein über 800 Quadratmeter großes Basketballfeld gestaltet hat. Klassisches Graffiti spielt für ihn jedoch längst nicht mehr die Hauptrolle in seinem künstlerischen Schaffen. „Vor etwa zwölf Jahren habe ich gemerkt, dass ich mit dieser Bildsprache für mich eigentlich alle Fragen beantwortet habe“, sagt er. „Ich habe mich vom Kopf her freigeschwommen und überlegt, was für mich auf dem Medium Leinwand funktionieren könnte.“

Ein Werk von Markus Genesius mit Graffiti auf Leinwand.

Das Testbild hat es dem Künstler angetan. Dieses hier reiste unter anderem mit ihm nach Australien. Foto: Markus Genesius

Von Buchstaben zum Testbild

Seit ungefähr 15 Jahren arbeitet er in der Ateliergemeinschaft „Plantage 9“ in Bremen-Findorff und hat die zeitgenössische Kunst für sich entdeckt – „obwohl meine Lehrer mich früher nicht wirklich für Kunst begeistern konnten.“ Das erste Motiv, das er mit Spraydosen auf Leinwand brachte, waren Buchstaben. Einen bunten Mix dieser Werke präsentierte er im Jahr 2000 in seiner Ausstellung in einer Galerie im Neustädter Bahnhof. „Da gab es aber noch keinen roten Faden“, sagt Genesius. Diesen wob er ein, als er auf das Testbild stieß: „Ich fand dieses Motiv extrem stark. Mir gefiel, dass es sich aus Rechtecken, Quadraten und dem Kreis zusammensetzt und auch die Konstellation der Farben. Das war ein Aha-Moment, als ich dachte: Das Thema kann ich besetzen, alles auseinandernehmen, wieder zusammenbauen und mit der eigenen Bildsprache interpretieren. Seit etwa zwölf Jahren ist es nun das Kernthema.“

Die riesige Skulptur Inner Conflict II war im Hafenmuseum Bremen zu sehen.

Die Installation „Inner conflict“ war 2018 im Hafenmuseum Bremen zu sehen. Foto: Markus Genesius

Skizzen gibt es selten

Es entstanden auch Reliefarbeiten und Skulpturen. Eine Skulptur, die den Namen „inner conflict II“ trägt, hat für ihn einen besonderen Stellenwert, weshalb sie das Cover seines Buches „Inner Conflict“ ziert, das auf rund 300 Seiten seinen Weg aus der Graffiti-Szene über Murals bis in den klassischen Kunstmarkt beleuchtet. Die Skulptur, die sich heute gut verpackt im Atelier befindet, hat er 2018 im Hafenmuseum in der Überseestadt gezeigt – nach zwei Monaten Aufbauarbeit. „Es besteht aus drei Elementen wie drei Meter hohen Leisten und einem ein Meter mal ein Meter breiten Würfel“, so Genesius. Skizzen? Fehlanzeige! „Bei mir gibt es selten Skizzen. Ich mache mir Gedanken, habe eine Idee, das meiste spielt sich im Kopf ab. Und dann wächst es mit der Zeit. Auch der Zufall spielt eine große Rolle oder ich lasse das Umfeld auf mich wirken. Begegnungen und Gespräche fließen ebenfalls in das Werk mit ein.“

Eine mit Graffiti-Kunst bemalte Hausfassade.

„WOW123 – My Art is based on a true Story, called Graffiti“ ist dem verstorbenen Schriftsteller und Künstler Daniel D’Tagno gewidmet. Foto: Markus Genesius

Große Ausstellung 2026 im Syker Vorwerk

Vor rund 20 Jahren durfte Markus Genesius die Fassade der Eissporthalle „PARADICE“ bemalen. „Im Zuge des Umbaus konnte ich jetzt ein neues Konzept realisieren“, erzählt der Künstler. Darin treffen die Blauwelten Wasser und Eis aufeinander, aber auch die Straßenkarten von Gröpelingen und Walle und die Hafenszenerie finden sich darin wieder.

Es wird auf jeden Fall eine extreme visuelle Reizüberflutung geben!

Dass er nach einer Fußverletzung, die ihn fast sechs Monate außer Gefecht setzte, nun endlich wieder arbeiten kann, empfindet Genesius als großes Geschenk. „Ich will einfach nur malen!“, unterstreicht er. Und so freut er sich schon auf das, was vor ihm liegt: „Im Sommer 2026 habe ich eine große Soloausstellung zusammen mit der ein oder anderen Künstlerkollegin und dem ein oder anderen Künstlerkollegen. Dann werde ich acht Räume im Syker Vorwerk bespielen. Ein konkretes Konzept gibt es schon, aber da will ich noch nicht die Katze aus dem Sack lassen. Nur so viel: Es wird auf jeden Fall eine extreme visuelle Reizüberflutung geben!“

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