„Ziii“ – der Ruf der Eisvögel
Berufs- und Hobby-Naturfotograf Markus Hibbeler flattern seltene Vogelarten vor die Linse. Wir waren mit ihm auf Fotopirsch am Dümmer See und am Aper Tief.
Von Daniela Krause
Fliegende Edelsteine werden sie genannt, die farbenprächtigen Eisvögel, die man nur mit viel Glück zu Gesicht, geschweige denn vor die Linse bekommt. Der Fotojournalist und Naturfotograf Markus Hibbeler aus Oldenburg hat schon etliche Fotos dieser Tiere in seinem Archiv. Darunter ist ein preisgekrönter Schuss von einem tauchenden Vogel bei der Fischjagd am Gartenteich seiner Eltern in Varel-Obenstrohe.
An diesem Tag besuchen wir mit ihm ein Eisvogelpärchen am Aper Tief im Landkreis Ammerland, das am Ufer des Flusses in das Wurzelgeflecht einer umgestürzten Weide seine Brutröhren gräbt.
Der 40-Jährige hat diese faszinierenden Geschöpfe schon viele Male fotografiert. Alles begann damit, dass er im vergangenen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie den Großteil seiner Aufträge verlor. Seitdem beschäftigt er sich als Hobby intensiv mit der Naturfotografie.
Keine Bewegung!
Vorsichtig sondiert Markus Hibbeler die Lage: „Sie sind gerade nicht zu sehen. Ich baue schnell das Tarnzelt auf.“ Gesagt, getan. Nach wenigen Minuten steht das Zelt auf der anderen Uferseite und wir legen uns darin mit der Kamera auf die Lauer. Leise unterhalten können wir uns weiterhin, nur die Bewegungen müssen wir auf ein Minimum reduzieren. Darauf reagieren Eisvögel besonders empfindlich. Wenn sie aufgrund einer Unachtsamkeit des Menschen ihre Bruthöhle aufgeben, hat dies für den Nachwuchs fatale Folgen.
„Brutplätze sind rar“, weiß der Naturfotograf. „Normalerweise brüten Eisvögel in Steilwänden. Aber durch die Begradigung vieler Bäche und Flüsse sind diese kaum noch vorhanden.“ Ein umgestürzter Baum wie dieser sei da für die Tiere ein echter Glücksgriff.
Interessant: Die Vögel sind Schachtelbrüter. Das heißt, das Weibchen sitzt bereits auf neuen Eiern, während das Männchen noch mit der Aufzucht der Küken aus dem ersten Gelege beschäftigt ist. Die hohe Fortpflanzungsrate hilft den Eisvögeln, die großen Verluste in kalten Wintern auszugleichen.
Fliegender Wechsel
Wir brauchen gar nicht lange warten, da taucht das Männchen am Höhleneingang auf und fliegt auf einen im Wasser liegenden schmalen Baumstamm unterhalb des Wurzeltellers. Der Eisvogel, gerade mal so groß wie ein Sperling, präsentiert sein blaugrün schillerndes Gefieder, indem er uns den Rücken zudreht. Nun ist auch das Weibchen in unser Blickfeld geflogen. Beide Vögel setzen sich auf den Stamm.
Zuerst flattert wieder das Männchen zur Höhle und schmeißt beim Graben Erdbröckchen ins Wasser. Das Weibchen lässt ihn dabei nicht aus den Augen. Dann kommt der Wechsel, und das Weibchen macht sich an der Brutröhre zu schaffen. Zwischendurch baden die beiden und lassen ihr helles, durchdringendes „Ziii“ ertönen, das wie ein lautes Pfeifen klingt.
Der gebürtige Friese kennt den Tagesablauf des Pärchens inzwischen in- und auswendig. Er kann sogar vorhersagen, was als Nächstes passiert: „Gleich holt er ihr einen Fisch. Und wenn ihr das Geschenk gefällt, könnte es vielleicht zur Paarung kommen.“
Wie eine Soap
Der „Königsfischer“ macht den Abflug, um schon nach wenigen Minuten mit einem Fischlein im Schnabel zurückzukehren. „Die beiden zu beobachten, ist jedes Mal wie eine Soap zu gucken“, meint der Fotograf schmunzelnd. Das Weibchen sitzt auf dem Stamm und beäugt interessiert ihren Partner, der sich mit dem Fisch ehrerbietig an sie herantastet. Er macht eine kleine Verbeugung und überreicht ihr den Fisch, den sie mit ihrem langen, spitzen Schnabel entgegennimmt und verspeist.
Markus Hibbeler drückt auf den Auslöser: Klack, klack, klack, klack, klack – die Bilderreihe von der Übergabe des Brautgeschenks ist im Kasten. Beim zweiten ersehnten Motiv hat der Fotograf das Nachsehen: Zwar kommt es bei den Eisvögeln wie prophezeit zur Paarung, diese möchten dabei jedoch – verständlicherweise – nicht gestört werden und verziehen sich in das herabhängende dichte Geäst einer benachbarten Weide.
Spoiler: Den Akt der Eisvogel-Liebe im Bild festzuhalten, auch wenn er nur Sekunden dauert, soll Hibbeler wenige Tage nach unserem Treffen noch mit Bravour gelingen.
In erster Linie Beobachter
Zurück zu unserem Pärchen: Um die beiden zu beobachten, hocken wir fast zwei Stunden in dem schmalen Tarnzelt. Als wir unsere Käsebrötchen mümmeln, nehmen die Vögel von dem Knistern der Papiertüte kaum Notiz. Dafür flüchten sie als eine Frau mit Hund hinter dem Tarnzelt vorbeispaziert. Kurze Zeit später sind sie wieder emsig mit dem Bau der Bruthöhle beschäftigt. Das putzige Schauspiel geht weiter.
Zwischendurch rät Markus Hibbeler, mal die Beine auszustrecken, damit diese nicht einschlafen. Unzählige Stunden hat er schon so in diesem Zelt verbracht, um seltene Vogelarten, aber auch Hirsche und Kreuzottern vor die Linse seines getarnten 580 mm-Zoom-Objektives zu bekommen. „Die Eisvögel haben es mir besonders angetan“, sagt er. Dabei komme es ihm nicht jedes Mal auf den perfekten Schuss an: „Ich sehe mich in erster Linie als Beobachter.“
Er selbst möchte aber nicht von den Vögeln gesehen werden, weil er sie auf keinen Fall stören will. So passen wir einen Moment ab, in dem sich das Pärchen weit genug von der Bruthöhle entfernt, um Zelt und Equipment zusammenzupacken und aufzubrechen.
Der frühe Vogel
Für die Fototour sind wir an diesem Morgen in aller Herrgottsfrühe aufgestanden – getreu dem Sprichwort „Der frühe Vogel fängt den Wurm“. Unser erstes Ziel ist allerdings nicht das Aper Tief, sondern das Naturschutzgebiet Ochsenmoor am Dümmer See, das Markus Hibbeler als „eines der letzten Vogelparadiese“ beschreibt. Im Frühjahr brüten hier dank der Wiedervernässung und behutsamen Bewirtschaftung, in enger Abstimmung mit der Naturschutzstation, unter anderem über 20 zum Teil stark bedrohte Wiesenvogelarten, die man anderswo kaum noch zu sehen bekommt.
Einige seltene Arten machen in dem rund 45 Quadratkilometer großen Feuchtgebiet des Dümmerlandes Station auf der Reise in den Süden, andere wiederum haben sich dort ganzjährig eingenistet. „Das ist hier wie ein riesiger gedeckter Tisch für die Vögel“, erklärt der Fotograf. Sogar ein Seeadlerpaar wurde am Dümmer gesichtet. Laut dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) haben Ornithologen bislang rund 280 Vogelarten nachgewiesen.
Von liebestollen Moorfröschen
Wir können das Naturschutzgebiet mit dem Auto auf einer Einbahnstraße langsam durchfahren. Sogar Spaziergänge sind auf den gekennzeichneten Wegen möglich. Beim Aussteigen aus dem Auto umfängt uns eine erstaunliche Geräuschkulisse: Es keckert, schnattert, quakt, schreit und zwitschert von allen Seiten.
Zuletzt war Markus Hibbeler zur Paarungszeit der Moorfrösche hier, die sich vor Liebeslust blau färben. Diesmal hat er es auf die hübschen Blaukehlchen abgesehen, welche sich meist im schützenden Schilfgürtel verbergen und nicht so leicht zu entdecken sind. Während ihrer melodischen Singflüge tauchen sie kurz auf, lassen sich dann aber wieder schnell ins Schilf fallen. Drei Blaukehlchen sehen wir tatsächlich.
Wir schauen Höckerschwänen beim Nestbau zu. Wir bestaunen balzende Kiebitze, während Markus Hibbeler erklärt, dass diese Vögel in anderen Gegenden unter anderem durch Trockenlegung von Mooren und Feuchtwiesen, Pestizide, Flurbereinigung und intensive Landwirtschaft aus ihrem ursprünglichen Lebensraum vertrieben wurden. Im Ochsenmoor kann man sie noch in unmittelbarer Nähe zu Uferschnepfen, Regenpfeifern, Lachmöwen, Rotschenkeln und anderen Vögeln beobachten.
Schlüsselerlebnis im Garten der Oma
Seine Begeisterung für Vögel entwickelte Markus Hibbeler im Kindesalter: „Das Schlüsselerlebnis hatte ich bei meiner Oma im Garten, als ich den Buchfink gehört habe“, erinnert er sich. „Außerdem hatte ich einen naturbegeisterten Grundschullehrer, der mich diesbezüglich sehr geprägt hat. So fing ich an, mich für Vögel, aber auch Insekten, Amphibien und Reptilien zu interessieren.“
In Friesland trat er in die NABU-Jugend ein, baute dort an Krötenzäunen und Eisvogelsteilwänden mit, engagierte sich vielfältig für den Naturschutz – und tut dies bis heute: „Ich möchte die Menschen dafür sensibilisieren, Kleinode wie den Dümmer See zu bewahren. Viele Arten kommen mit dem Wandel, den die Welt in den letzten Jahren vollzogen hat, nicht klar. Darauf möchte ich aufmerksam machen.“
Ob Hirsche am Darß, Kraniche auf der Durchreise am Dümmer oder eben die faszinierenden Eisvögel im Aper Tief – mit seinen Bildern will Markus Hibbeler zeigen, wie einzigartig und schützenswert die Natur ist.
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