Eingefroren im arktischen Eis
Die Bremer Fotografin Esther Horvath dokumentierte dreieinhalb Monate lang die MOSAiC-Expedition des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts in die Arktis. Eine Auswahl ihrer Bilder ist noch bis zum 15. August in der Sonderausstellung „Polarnight“ im Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg zu bestaunen.
Von Daniela Krause
Dieses Bild ging um die Welt: Es zeigt das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“, in einer unwirklichen Kulisse, festgefroren im Eis vor einem tiefschwarzen Nachthimmel. Von allen Aufnahmen, die die Fotografin Esther Horvath aus der Arktis mitgebracht hat, gefällt diese Marla am besten. „Sie spiegelt für mich perfekt das Thema der Fotoausstellung wider“.
Die 13-Jährige geht auf die Graf-Anton-Günther-Schule und besucht mit ihren Mitschülern an diesem Tag die „Polarnight“ im Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg. „Die Bilder vermitteln eindrucksvoll, wie die Wissenschaftler und die Crew während der Expedition gelebt haben“, findet Marla. „Gleichzeitig weisen sie auf den Klimawandel und seine Auswirkungen hin.“
Die Gymnasiastin engagiert sich mit Leidenschaft für die „Fridays for Future“-Bewegung und hat die MOSAiC-Expedition des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), mit Spannung in den Medien verfolgt. Sie weiß, dass den Eisbären das Eis unter den Pfoten wegschmilzt. „Der Klimawandel betrifft uns alle“, so die Schülerin. „Es geht um unsere Zukunft und um die der Kinder.“
Menschen für Wissenschaft begeistern
Genau dort setzt die Ausstellung an: „Wir möchten so viele Menschen wie möglich für die Wissenschaft begeistern, aber natürlich auch auf die Problematik des Klimawandels aufmerksam machen“, sagt Museumsdirektorin Dr. Ursula Warnke. „Es bedeutet uns unendlich viel, die Fotos von Esther Horvath zeigen zu können.“ Die Ausstellung „Polarnight“ entstand in Kooperation mit der Oldenburger Agentur Mediavanti und Photo Op.
„In dieser Form wird sie deutschlandweit nur in Oldenburg bis zum 15. August zu sehen sein“, betont Mediavanti-Geschäftsführer Claus Spitzer-Ewersmann. Umrahmt wird die Schau von Vorträgen, Führungen, Diskussionsrunden, Online-Workshops und der Versteigerung eines preisgekrönten Eisbären-Fotos, mit dem Esther Horvath den World Press Photo Award gewann.
Größte Arktis-Expedition aller Zeiten
Im Mittelpunkt der „Polarnight“-Ausstellung steht die größte Arktis-Expedition aller Zeiten, die am 20. September 2019 ihren Lauf nahm. Vom norwegischen Tromsø aus trat der Eisbrecher „Polarstern“ seine Reise an, um angedockt an eine Eisscholle ein Jahr lang durch den Arktischen Ozean zu driften. Ziel war es, den Einfluss der Arktis auf das Weltklima besser zu begreifen und zukunftsfähige Modelle für den Klimaschutz zu erarbeiten.
Wissenschaftler aus 20 Ländern nahmen verschiedene Messungen des Eises, des Schnees und des Ozeans vor und untersuchten die Organismen vor Ort. Am 12. Oktober 2020 kehrten sie schließlich mit mehr als 150 Terabyte Datenmaterial wieder nach Bremerhaven zurück. Die Auswertung, teilte damals Expeditionsleiter Markus Rex mit, wird noch viele Jahre in Anspruch nehmen.
Erste Ergebnisse lassen jedoch erahnen, wie ernst es um die Wetterküche Arktis steht: So registrierte die MOSAiC-Expedition im Frühjahr 2020 einen Rekordverlust von Ozon in der arktischen Stratosphäre. „Eine umfassende Analyse hat ergeben, dass dies auch das Resultat von Klimaveränderungen war“, sagt Polar- und Atmosphärenforscher Markus Rex: „Unsere Arbeiten zeigen leider, dass trotz des weltweiten Verbots der ozonzerstörenden Substanzen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts mit weiter zunehmenden Ozonverlusten über der Arktis zu rechnen ist, wenn der Klimawandel ungebremst weiter voranschreitet.“
Das Eis schmilzt schneller als jemals zuvor
Hinzu kommt der besorgniserregende Rückgang des arktischen Eises: So habe sich das Eis im Frühjahr schneller zurückgezogen als jemals zuvor seit Beginn der Messungen. Im Sommer sei die Ausdehnung des Eises nur noch halb so groß gewesen, dasselbe gelte für die Eisdicke. Diese sei, im Vergleich zu den Aufzeichnungen des Polarforschers Fridtjof Nansen vor etwa 130 Jahren, ebenfalls um die Hälfte zurückgegangen.
Zudem wurden im Winter fast durchgehend zehn Grad Celsius höhere Temperaturen gemessen. Die Forscher waren aufgrund des dünneren Eises und einem veränderten Wind-Zirkulationsmuster viel schneller durch das Eis gedriftet, als erwartet. Während Nansen damals drei Jahre gebraucht hatte, waren es für die „Polarstern“ lediglich um die 300 Tage gewesen.
Die Folgen dieser Veränderungen: Unser Wetter könnte in Zukunft häufiger verrücktspielen – von extremen Hitzewellen bis zu verheerenden Unwettern. So wie die Wissenschaftler die Arktis zum Zeitpunkt ihrer Expedition erlebt haben, wird sie vielleicht nie wieder ein Mensch zu sehen bekommen.
Fotos dokumentieren die Forschung
Einen beeindruckenden Einblick in die vielschichtigen Forschungsarbeiten der AWI-Wissenschaftler, aber auch in das Leben an Bord geben die Fotos von Esther Horvath, die die Expedition dreieinhalb Monate lang mit ihren Kameras begleitete. Wie die Fotografin ihre Arbeit in der Arktis erlebt hat und was sie über die Ausstellung denkt, erzählt sie im folgenden Interview mit Redakteurin Daniela Krause:
Frau Horvath, was war für Sie die größte Herausforderung oder Schwierigkeit, die Sie während Ihrer Arbeit für die MOSAiC-Expedition in der Arktis bewältigen mussten?
Esther Horvath: Eine große Herausforderung für mich war diese Kälte. Ich habe ständig an den Händen gefroren. Dann bekam ich Hilfe von einem Kamerateam, das den Film „Expedition Arktis“ vor Ort produziert hat. Wir haben meine Kamera umgebaut und Schaumklebeband auf alle Metallteile der Kamera geklebt. Zum Fotografieren habe ich Fäustlinge ausprobiert, die jedoch sehr groß waren. Das Problem haben wir so gelöst, indem wir auf den Auslöser weitere Stoffe geklebt haben, so dass ich den Knopf drücken konnte.
Gleichzeitig war die Dunkelheit eine Herausforderung, auch wenn es das war, was mir am meisten gefallen hat. Die Dunkelheit war für mich extrem spannend! Mein einziges Licht auf dem Eis kam von der „Polarstern“ und den Kopflampen der Teilnehmer. Ich hatte zwar auch externes Licht dabei, das war aber eher für das Studio oder wärmere Temperaturen geeignet und hat bei dem eisigen Wind nicht lange durchgehalten.
Abgesehen von den frierenden Händen kamen Sie mit der arktischen Kälte aber gut zurecht, oder?
Ja, ich liebe diese Kälte! Wenn ich sie spüre, dann weiß ich, dass ich in der Umwelt bin, die ich liebe und in die ich immer wieder zurückkehren möchte.
Wenn Sie an die Expedition zurückdenken – welcher Moment hat sich bei Ihnen besonders ins Gedächtnis eingebrannt?
Das war tatsächlich diese große Dunkelheit. Ich war jeden Tag draußen auf dem Meereis. Und dort zu sein, in dieser Dunkelheit, das war, als würde ich auf der Mondoberfläche stehen oder auf einem anderen Planeten. Es war ein außerirdisches Gefühl. Wir hatten Tage, an denen es sehr bewölkt war. Die Wolken konnten wir nicht sehen, aber wir wussten, dass sie da waren, weil man den Mond und die Sterne nicht sehen konnte. Der ganze Himmel war schwarz, nur die Oberfläche des Eises schien grau durch das Licht der Polarstern.
Dann gab es noch diesen fantastischen Augenblick, als die Eisbären kamen und die Forschungsstation auf dem Eis erkundet haben. Wie war das für Sie?
Das passierte ganz am Anfang der Expedition. Bevor ich auf diese Reise gegangen bin, habe ich einen Wunsch ans Universum geschickt. Ich wollte so gerne Eisbären fotografieren mit mehreren Schichten in einem Foto. Ich wollte zeigen: Wir sind in der Polarnacht, es ist dunkel, es gibt Installationen von Menschen auf dem Eis und eben die Eisbären, die dort leben. Ich hatte sofort das Gefühl, dass dieses Foto ein sehr wichtiges der Expedition sein wird, und dass ich diesen Moment wahrscheinlich so nicht wieder erleben werde. Denn in der Winterzeit im arktischen Ozean zu sein, ist etwas ganz Besonderes.
Als Sie die Arktis nach dreieinhalb Monaten wieder verlassen mussten – was ging Ihnen da durch den Kopf?
Als das russische Versorgungsschiff am Horizont erschien, war das ganz merkwürdig. Ich hatte das Gefühl, die Arktis ist in den vergangenen Wochen mein Zuhause geworden: die Dunkelheit, das Schiff, die Arbeit, die Kälte. Ich wollte nicht zurück. Alles andere war in dem Moment so weit weg. Wenn ich auf so einer Reise bin, sind meine Gedanken komplett im Hier und Jetzt. Als ich auf das Schiff gestiegen bin, habe ich erst richtig gemerkt, wie müde ich war und was wir dort alle in der Arktis für eine körperliche und geistige Leistung vollbracht haben.
Sie haben aus der Arktis rund 34.000 Aufnahmen mitgebracht und davon 50 für die Ausstellung in Oldenburg ausgewählt. Das war sicherlich keine einfache Aufgabe, oder?
Das war gar nicht so schwer. Ich habe jeden Tag an den Bildern gearbeitet. Täglich habe ich circa 300 bis 400 gemacht und daraus die besten ausgewählt. Als die Expedition zu Ende war und wir wieder zu Hause, hatte ich schon das Best Of.
Was war Ihnen bei der Auswahl der Bilder besonders wichtig?
Bei jedem Foto, das ich fotografiere, ist für mich die Schönheit sehr wichtig und die Geschichte, die es erzählt. Beides hat für mich den gleichen Wert und muss bei jedem Bild dabei sein.
Wenn Sie in diesen Tagen die „Polarnight“-Ausstellung besuchen und sich Ihre Bilder anschauen, was fühlen Sie dabei?
Als ich vor der Eröffnung zum ersten Mal die Ausstellung angeschaut habe, dachte ich nur: Habe ich diese Fotos wirklich gemacht? Habe ich das alles erlebt? Es ist wie der Blick von außen, ganz schwer zu erklären. Ich bin dann wie ein kleines Kind, das sich staunend die Bilder anschaut. Ich fühle dabei ganz große Dankbarkeit und fühle mich sehr geehrt, weil ich weiß: Ja, das sind tatsächlich meine Fotos und meine Ausstellung.
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