Von altem Schrott und neuem Schrott
Aus der Rubrik „Meine Lieblingsalben“: Element of Crime mit „Romantik“, einer ihrer deutschsprachigen Platten, die der Band den Durchbruch bescherten.
Von Frank Schümann
Das erste Mal stieß ich auf Element of Crime, als sie noch auf Englisch sangen: „The Ballad of Jimmy & Johnny“ hieß die Platte, schon ihre Dritte; 1989 war das. Der Titel klang spannend, das Cover sah auch gut aus, ich hörte im Fachgeschäft unterm Kopfhörer rein (damals machte man das so), aber die Musik erreichte mich noch nicht: Ich fand sie nett, aber mehr auch nicht.
Plötzlich auf Deutsch
Ganz anders ein paar Jahre später, als ich an der Uni studierte – Element of Crime sangen mittlerweile auf Deutsch und galten unter uns Geisteswissenschaftlern als der heiße Scheiß. War die erste deutschsprachige Platte „Damals hinterm Mond“ (1991) noch an mir vorbeigegangen, so traf „Weißes Papier“ (1993) absolut meinen Nerv – die Musik umarmte mich mit ihrer melancholischen, chansonhaften Art – und die Texte berührten mich, forderten mich heraus. In ihnen war der Literat schon sehr präsent, der Erfolgsschriftsteller, der Sven Regener in den folgenden Jahren auch werden sollte; aber das ist eine andere Geschichte. In den 80er- und 90er-Jahren widmete sich der Bremer aus der „Neuen Vahr Süd“ (so einer seiner Buchtitel) ganz seiner Band, Element of Crime. „Wir sind eine Rockband“ sagte er mir mal am Telefon, als ich ihn für eine Tageszeitung danach fragte, wie er selbst seine Musik beschreiben würde. „Okay“, dachte ich und zitierte ihn auch so; für mich waren Element of Crime aber immer mehr als das.
Singender Literat
Die Texte: überdurchschnittlich, das Innere nach außen transportierend, literarisch, kunstvoll, aber doch klar; die Musik: Stimmungen ausdrückend, die sich wunderbar deckten mit dem, was Regener da sang – besonders schön, wenn die Trompete des Frontmanns zum Einsatz kommt, was relativ häufig geschieht. Der Gesang dazu mit dieser rauen, manchmal ruppigen, aber doch auch zerbrechlich wirkenden Stimme vorgetragen. Bis heute schmücken sich die Bremer gerne mit ihm, obwohl er mit seiner Band längst in Berlin heimisch ist; die Hansestadt hat eben nicht so viele Stars, und der Sven ist eben einer von ihnen.
Trennung, Aufbruch, Neuanfang
Fragt man Fans und Experten nach der besten Platte von Element of Crime, so werden meistens die ersten beiden, oben schon erwähnten Platten genannt – oder auch das Album mit dem Titel „Mittelpunkt der Welt“ (2005), auf dem sich „Delmenhorst“ befindet, der wohl größte (aber vielleicht auch einzige) Radio-Hit der Band. Mein liebstes Album des Quartetts ist aber ein anderes, eines, das zeitlich dazwischen liegt: „Romantik“ aus dem Jahre 2001. Diese Platte, die stärker noch als jede andere von Element of Crime von Trennung und Abschied, Aufbruch und Neuanfang erzählt, von den Wellen des Lebens, geht häufig im Oeuvre des Gesamtwerks etwas unter, ist aber auch musikalisch eine der abwechslungsreichsten. Und textlich erst recht.
Mal rumpelnd, mal mit Streichern
Das Album fängt den Hörer schon mit den ersten Klängen ein – und dem Satz: „Ich weiß auch noch nicht, wohin wir gehen, ich bin schon froh, dass es noch Wege gibt“. Das Schlagzeug treibt den Opener an, der sich freudig rumpelnd geradewegs in die Gehörgänge schleicht – und dort so schnell auch nicht mehr herauswill. „Die Hoffnung die du bringst“ heißt das Stück, das mit seiner Direktheit den Weg desn Albums vorgibt. Mit „Narzissen und Kakteen“ nehmen Regener und Co. im darauffolgenden Song ordentlich Tempo raus (und Melancholie rein), um mit „Seit der Himmel“ kurz darauf wieder elegant, verspielt und lebensfroh zu werden – mit schön geschwungenen Bläsersätzen. „Warte auf mich“ fordert Geduld, „Alle vier Minuten“ schwärmt von letzten warmen Sommertagen, „Fallende Blätter“ zeugt von der Endlichkeit des Lebens und ist mit seinen wunderbaren Streichern – gespielt vom Filmorchester Babelsberg – zugleich zu den Höhepunkten des Albums zu zählen, ebenso wie das danach folgende „Bring den Vorschlaghammer mit“.
Der Teller aus Florenz
„Siehst du diesen Teller, den hab ich aus Florenz“, beginnt der Song, und wir alle ahnen, was mit ihm passieren wird, und singen bald lautstark den Refrain mit: „…der ganze alte Schrott muss raus, und neuer Schrott muss rein.“ Dass dieses Lied kein großer Hit wurde, hat der Autor dieser Zeilen nie so recht verstanden. Regener singt darin vom offensichtlichen Ende einer Beziehung und von dem, was jetzt kommen wird, wirkt dabei lustvoll, kraftvoll, jovial – und wissend. Zwar befeuert dieser Text nicht gerade die von Regener im Albumtitel postulierte Romantik, dennoch ist dieser Song eines der Kernstücke der Platte, vereint die beiden Kernelemente dieses Album in einem Song, Abschied und Neuanfang. „Jedem Abschied wohnt ein neuer Anfang inne“, heißt es im Volksmund – und es ist, als ob Regener dieser Weisheit eine ganze Platte widmen wollte.
Wie Gedichtzeilen
Die Sätze, die Regener singt, sind wie Zeilen aus Gedichten: mal skeptisch („Sag mir morgen früh noch mal, dass wir glücklich sind, wer zu lange in die Sonne sieht, wird blind“), mal euphorisch („Bei mir geht überhaupt nichts mehr, weil sich alles um dich dreht, seit der Himmel jeden Morgen deine Augenfarbe trägt“), mal verschlüsselt („Früher war ich klug, heute bist du schön, hinter uns verbrennen Narzissen und Kakteen“) und auch mal nüchtern-hart („Ich hab lang auf Dich gewartet, doch gelohnt, gelohnt hat es sich nicht“) – und immer legen sie Zeugnis ab über die Gefühlswelt des Texters. Dabei ist „Romantik“ auch durchaus als Konzeptalbum zu lesen (auch wenn es nie so geäußert wurde): am Anfang die Hoffnung, dann das Glück, die Geduld, das Ende, das Ausmisten, die Trauer – und zuletzt ein erneuter Aufbruch.
Albumtitel als Programm
Das letzte Stück „Wann kommt der Wind“ ist voller Sehnsucht und ein wunderbarer Schlusspunkt eines Albums, das auch nach Jahren immer wieder berührt. Sven Regener selbst scheint das ebenfalls so zu gehen: Sein Zwischenruf „Romantik“ mit hochgerissenen Armen ist längst ein immer wiederkehrendes Element aller Element of Crime-Konzerte – Aufforderung inklusive.