Auf Lösungssuche
Seit Jahren wird über die Weservertiefung zwischen Brake und Bremerhaven gestritten. Die Wirtschaft will sie, der Kreistag des Landkreises Wesermarsch ist dagegen.
Von Ulf Buschmann
Mit Pinsel, Farbe und Schablone können Olaf Lies und Holger Banik umgehen. Gemeinsam haben Niedersachsens Wirtschaftsminister und der Geschäftsführer der landeseigenen Hafengesellschaft Niedersachsen Ports (NPorts) eine 57 auf einen der Poller der Südpier des Hafens Brake gemalt. Damit ist der für rund zehn Millionen Euro modernisierte Liegeplatz offiziell freigegeben. Dort können jetzt zwei Schiffe der sogenannten Panamax-Klasse gleichzeitig be- und entladen werden. Diese Schiffe sind maximal 294,3 Meter lang und 32,3 Meter breit. Der Tiefgang liegt bei 12,04 Metern.
Für Lies, Banik und zahlreiche geladene Gäste ist die neue Südpier ein Grund, an diesem Tag zu feiern. Allerdings bleibt bislang das Problem der Tiefe. Eigentlich ist die Weser auf Höhe des Braker Hafens zu flach. Deshalb fordern insbesondere Wirtschaftsvertreter die Vertiefung des Flusses. Fachleute sprechen von Fahrrinnenanpassung.
Von Brake und Bremerhaven beziehungsweise Weser-Kilometer 40,5 bis 65 soll die Sohle der Fahrrinne um bis zu einem Meter vertieft werden. Das Ziel: Schiffe mit einem sogenannten Abladetiefgang von 12,80 Metern sollen Brake tidenabhängig erreichen können. Bislang sind es 11,90 Meter. Das Vorhaben findet sich neben weiteren in der Rubrik „Vordringlicher Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans 2030 (BVWP) wieder und wird bislang mit 35,5 Millionen Euro veranschlagt.
„Brake ist systemrelevant“
Bei der Südpier-Einweihungsfeier soll die Flussvertiefung nach dem Willen der Redner nur eine Randnotiz sein. Und doch schwingt sie in allen Grußworten mit. Zu einem modernen Universalhafen wie Brake gehöre die Fahrrinnenanpassung, sind sich an diesem Morgen alle einig. „Wir müssen uns damit auseinandersetzen und eine Lösung finden. Und die Zeit drängt“, sagt Brakes Bürgermeister Michael Kurz (SPD). Immerhin würden rund 2.500 Arbeitsplätze direkt und indirekt vom Hafen Brake abhängen.
Auch Jan Müller, Vorstandsvorsitzender der J. Müller AG, ist ganz an Kurz’ Seite: „Die Weservertiefung ist und bleibt ein wesentlicher Bestandteil zur Sicherung des Standortes.“ Eben jene J. Müller AG ist der größte Akteur im Hafen Brake. Die mit Abstand höchsten Umsatzerlöse macht das Unternehmen laut dem aktuellsten Geschäftsbericht per 31. Dezember 2021 mit 38,374 Millionen Euro im Geschäftsbereich Agrar/Schüttgüter. Hierzu heißt es: „Die J. MÜLLER-Gruppe hat eine starke Marktposition im Geschäftsfeld Agrar, die von langjährigen Kundenverbindungen, basierend auf qualitativ hochwertigem Lagerraum, hoher Leistungsfähigkeit und Standortnähe, insbesondere zur deutschen Mischfutter- und Mühlenindustrie, geprägt ist.“ Die Abnehmer des Unternehmens haben vor allem im Oldenburger Land ihren Sitz.
Müller bekommt für seine Aussage, dass Brake unter anderem für die Ernährungssicherheit Deutschlands an Bedeutung gewonnen habe, Applaus. Die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer (IHK), deren Präses Müller ebenfalls ist, erklärt auf Nachfrage: „Der Seehafen Brake ist im Agrarsektor, insbesondere für die Versorgung des nordwestdeutschen Veredelungsgebietes, systemrelevant.“ Und Thomas Voigt, Geschäftsführer des Wirtschaftsverband Weser, ist überzeugt: Komme die Vertiefung nicht, bestehe die Gefahr, dass Verlader und Reeder „ihre Routen auf andere Häfen mit weniger Tiefgangsbeschränkungen verlagern“.
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Proteste und erfolgreiche Klage
Doch so einfach ist es dann doch nicht. Die bisherigen, bis ins Jahr 2006 zurückreichenden, Planungen sind nach einer Klage des Bremer Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) vom Bundesverwaltungsgericht kassiert worden. Anfang 2022 hat die für die Planungen federführende Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) des Bundes beziehungsweise das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Weser-Jade-Nordsee von vorne angefangen. Doch am Widerstand gegen das Projekt hat sich letztlich nichts geändert.
Umweltschützer, Wassersportler, Landwirte und andere Gruppierungen befürchten noch immer die Verschiebung der salzhaltigen Brackwasserzone um bis zu einem Kilometer flussaufwärts Richtung Bremen. Die Folgen sind zum Beispiel die Versalzung der Marschwiesen und ihrer Organismen und die Verschlickung der Häfen vor allem im Butjadinger Land. Nachzulesen ist das alles in „Die Wirkungen der Weservertiefungen auf die Natur“. Das Gutachten haben Dr. Michael Schirmer und Dr. Eike Rachor im Auftrag des BUND bereits 2011 erstellt.
Der Blick von Rot-Grün
Auch auf politischer Ebene hat sich der Wind gedreht. War die SPD-CDU-Landesregierung noch glücklich, dass die Weservertiefung aufgrund des 2020 vom Bundestag verabschiedeten Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz ohne aufwendiges Planfeststellungsverfahren kommen konnte, hat die SPD bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen eine Kröte schlucken müssen. Der kleinere Bündnispartner ist nicht gerade ein Freund der Fahrrinnenausbaggerung. Also haben sich beide Parteien in ihrem Koalitionsvertrag auf einen Kompromiss geeinigt: „Wir werden beantragen, die Vertiefung der Unterweser (Nord) aus dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz herauszunehmen.“
Ein Aus für das Projekt Fahrrinnenanpassung ist es jedoch nicht. Vielmehr bedeute der Kompromiss „einen Verfahrenswechsel hin zu einem regulären Genehmigungsverfahren (Planfeststellungsverfahren)“, betont das Wirtschaftsministerium in Hannover. Minister Lies legt in Brake nach: Bei diesem „schwierigen Thema“ sei der „Dialog“ mit Befürwortern und Gegnern notwendig. Denn bei einem Planfeststellungsverfahren würden alle beteiligt.
Immerhin: Die zuständige WSV Weser-Jade-Nordsee muss laut Claudia Thoma, Sprecherin der übergeordneten Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, nicht wieder von vorne beginnen. „Das Anhörungsverfahren wird so durchgeführt, dass stets auch ein Wechsel in ein Planfeststellungsverfahren möglich ist.“ Gespräche zwischen dem Wirtschaftsministerium und der WSV soll es im Lauf dieses Quartals geben.
Gegenwind aus dem Landkreis
Die Überlegungen über das weitere Vorgehen in Sachen Fahrrinnenanpassung dürften noch einiges an Gehirnschmalz erfordern. Denn SPD und Grüne haben sich nicht nur auf den Wechsel zurück zu einem Planfeststellungsverfahren inklusive gesamtwirtschaftlicher Betrachtung der Weservertiefung verständigt. Sie sehen laut Koalitionsvertrag gerade auch Berlin in der Pflicht: „Darüber hinaus wollen wir den Bund verpflichten, für die durch diese und vorangegangene Weservertiefungen entstandenen Schäden die Kosten zu tragen und sichern die uneingeschränkte Nutzbarkeit der Sielhäfen entlang der Weser und in Butjadingen zu.“
Ein nicht zu übersehenes Zeichen hat der Kreistag des Landkreises Wesermarsch im Oktober 2022 gesetzt: Mit den Stimmen der Gruppe von CDU, FDP und Grünen verabschiedete das Kommunalgremium eine Resolution dagegen. Die Fraktionen von SPD und Unabhängiger Wählergemeinschaft (UW) Wesermarsch enthielten sich. Die vergangenen zehn Weservertiefungen hätten unter dem Strich zum Verlust der Lebensqualität in der Wesermarsch geführt und seien durch den Bund und das Land nie ausgeglichen worden, ist darin zu lesen.
Die Weservertiefung war eines der beherrschenden Themen im Kommunalwahlkampf 2021. „Die Menschen – vom Fischer über Wassersportler bis zu Landwirten oder einfachen Anliegern – drückten uns ihre Sorgen aus“, sagt Torsten Lange, CDU-Fraktionsvorsitzender im Kreistag Wesermarsch. Argumente und Gedanken seien in mehreren Ausschusssitzungen ausgetauscht worden. „Die Resolution ist das politische Ergebnis dieser Ausschussarbeit“, sagt der Christdemokrat. Stellvertretend für die FDP-Kollegen erklärt er: „Die Liberalen vor Ort haben schon 2012 auf die Probleme der Weservertiefung hingewiesen und sich deutlich gegen weitere Eingriffe ausgesprochen.“
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SPD: Nicht mit dem Bund verscherzen
Dass sich SPD und UW bei der Abstimmung über die Resolution enthalten haben, habe nichts mit ihrer grundsätzlichen Position zu tun. CDU, FDP und Grüne seien nicht zu textlichen Kompromissen bereit gewesen. „Der vom Kreistag beschlossene Resolutionstext enthält unter anderem die an die Landesregierung gerichtete Forderung, ihr Einvernehmen zur Vertiefung von vornherein zu verweigern. Diese Vorgehensweise halten die Fraktionen der SPD und Unabhängigen für falsch“, sagt Hans Francksen, Vorsitzender der SPD-Fraktion: „Denn hierdurch würde man sich die Chance verbauen, sich mit dem Bund als Träger des Planungsverfahrens auf zeitnahe Maßnahmen zur Beseitigung von Folgeschäden aus den bisherigen Weservertiefungen zu verständigen.“
Auch die UW sei „tendenziell“ gegen die Weservertiefung, ergänzt der Fraktionsvorsitzende Olaf Michalowski. Auch er kritisiert das Vorgehen von CDU, FDP und Grünen. Im Umkehrschluss zeigt sich eine breite Mehrheit des Kreistages gegen die Weservertiefung.
„Generalplan Wesermarsch“
Einträchtig fordern alle Parteien endlich die Umsetzung des sogenannten „Generalplans Wesermarsch“. Dieser sieht die Zuführung von Frischwasser aus dem Oldenburger Raum über die Hunte vor, um den Salzgehalt des Brackwassers zu reduzieren. Entsprechende Planungen gibt es bereits – die Federführung hat der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). „Im Zuge der geplanten Weservertiefung plant der NLWKN Maßnahmen zur Neuordnung der Be- und Entwässerung in der Wesermarsch. Ziel ist es, das weitverzweigte Gewässersystem der Region nutzbar zu halten“, heißt es auf seiner Internetseite.
Anlass seien die „Erfahrungen aus vergangenen Weservertiefungen, die immer auch mit einer Verschiebung der Brackwassergrenze ins Landesinnere und daraus resultierenden veränderten Salzgehalten einhergingen“. Und: „Die anstehende Weservertiefung lässt ähnliche Auswirkungen auch für die Standorte der an der Weser gelegenen Mündungsbauwerke des Entwässerungsverbandes Butjadingen, der Stadlander und der Braker Sielacht erwarten.“ Um den Auswirkungen etwas entgegenzusetzen, sieht die „Vorzugsvariante“ des NLKWK eine Verbindung der Grabensysteme von nördlicher und südlicher Wesermarsch vor. Die Kosten dafür setzt der Landesbetrieb mit rund 40 Millionen Euro an.
Die Planung geschehe in Abstimmung mit den drei betroffenen Entwässerungsverbänden. Diese haben sich zum „Planungsverband Generalplan Wesermarsch“ zusammengeschlossen, der als Maßnahmenträger für die Umsetzung des Plans fungieren solle. Ob es allerdings jemals dazu kommen wird, daran gibt es zumindest unter Kommunalpolitikern Zweifel – wenn diese auch erst einmal hinter vorgehaltener Hand geäußert werden.
Informationen zum Projekt
Das federführende Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Weser-Jade-Nordsee hat alle Informationen zur Fahrrinnenanpassung unter dem Link www.weseranassung.wsv.de zusammengefasst. Mehr zum Thema Weservertiefung, Flussbaggerung und Hafen gibt es hier.
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