Özge Kadah: Frau mit anderem Blick
Die Kommunalpolitik wird jünger und weiblicher. So in Verden, wo Özge Kadah Vorsitzende der SPD ist. Ein Porträt.
Von Ulf Buschmann
Kultur ist für alle da. Davon ist Özge Kadah fest überzeugt. Deshalb rührt sie im Gespräch ordentlich die Werbetrommel für einen Beschluss des Verdener Stadtrats. Das Gremium stellt laut Beschluss vom 14. November ab 2024 jährlich 25.000 Euro zur „Förderung öffentlicher kostenfreier Kulturveranstaltungen in der Fußgängerzone“ zur Verfügung. Außerdem können Vereine für eigene Aktionen in der City „eine Kostenerstattung bis 2.500 Euro pro Veranstaltung erhalten“.
Zustande gekommen ist die Entscheidung durch einen Antrag der SPD-Fraktion. Der gehört Özge Kadah an. Aber nicht nur das, sie ist mit 27 Jahren außerdem Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Verden. Damit ist sie Teil der neuen Generation, die trotz aller Klagen die Richtung in der Kommunalpolitik bestimmt – diese wird langsam aber sicher nicht nur jünger, sondern auch weiblicher. Frauen wie die Verdenerin haben einen anderen Blick auf die Lage und Erfordernisse vor Ort.
Als Jesiden nach Deutschland gekommen
Özge Kadah geht es unter anderem um kulturelle Teilhabe von Menschen, die nicht viel Geld im Portemonnaie haben. Dies hat in erster Linie mit der Biografie der Sozialdemokratin zu tun. Sie und ihre Familie sind Jesiden. Wegen der damals schon allgegenwärtigen Unterdrückung ihrer Volksgruppe verließen die Kadahs Anfang der 1990er-Jahre ihr Heimatland, die Türkei, und beantragten in Deutschland Asyl. Die SPD-Frau ist die jüngste von acht Geschwistern – bei solch einer großen Familie fand kulturelle Teilhabe eher nicht statt.
„Mein Vater hat sich das Lesen und Schreiben selbst beigebracht“, sagt Özge Kadah. Sie ist glücklich darüber, dass sie die Möglichkeit hatte, ihr Abitur am Verdener Domgymnasium zu machen und an der Universität Bremen Wirtschaftsingenieurwesen im Bereich der Elektrotechnik zu studieren. Aktuell absolviert Özge Kadah das 3. Semester ihres Master-Studiums.
Dass es junge Leute in der SPD gibt, sorgt bei vielen für Verwunderung. Hat die Partei doch oftmals mit dem Ruf zu kämpfen, sie ist eine Ansammlung von Senioren – wie auch die CDU. Vor diesem Hintergrund ließ die Wahl von Özge Kadah aufhorchen: Eine junge Frau von Mitte 20 an der Spitze des Verdener Ortsvereins? Und dann auch noch mit solch einer Biografie? Ein Generationenwechsel sei wohl doch noch möglich, staunten Menschen, nicht nur in Verden.
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2016 in die SPD eingetreten
Politisiert worden sei sie recht früh, erzählt Özge Kadah. Wenn sie einmal in eine Partei eintreten sollte, dann komme nur die SPD infrage. Grüne, Die Linke oder andere Parteien seien „nie eine Option gewesen“. Allerdings hatte ihr der entscheidende Impuls zum Eintritt gefehlt. Den gab es 2016: In Sachsen-Anhalt hatte die AfD bei den Landtagswahlen 20,8 Prozent eingefahren. Für die kommenden fünf Jahre wurden die Rechten zweitstärkste Kraft im Magdeburger Landtag.
Einen Tag nach der Wahl füllte Özge Kadah ihr Eintrittsformular in die SPD aus. „Zu dem Zeitpunkt hat mich das Ergebnis schockiert“, sagt sie. Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen am 1. September 2024 könnte es noch dicker kommen. In allen Umfragen liegt die AfD vorne. In Sachsen erreicht die Partei 35, in Thüringen 34 und in Sachsen-Anhalt 33 Prozent.
Solche Verhältnisse möchte die Verdener SPD-Chefin in ihrer Heimatstadt nicht sehen. Sie setzt auf die Grundwerte ihrer Partei, die sie mit Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität umschreibt. Sie selbst sei mit dem Solidargedanken aufgewachsen. Von daher weiß Özge Kadah: „Solidarität wird nicht verwaltet, man muss sie im Alltag leben.“ Ihr Anliegen sei es deshalb, diese in die Politik hineinzutragen und die Welt mit den Möglichkeiten vor Ort ein bisschen besser zu machen. „Das war der Sprung in die Kommunalpolitik“, blickt Özge Kadah auf die vergangenen Jahre zurück.
Zuhören und umsetzen
Ganz praktisch sieht es für sie so aus: „Es ist wichtig, Gespräche vor Ort zu führen.“ Die Leute müssten gehört werden. Aber es sei auch wichtig, nicht nur den Menschen zuzuhören, sondern sie ernst zu nehmen, aus den Wünschen konkrete Beschlüsse zu formulieren – und diese umzusetzen. Dass dieser Weg praktischer Politik auch noch in einem gesellschaftlich vergleichsweise aufgeheizten Klima mit emotionaler Polarisierung möglich ist, davon ist Özge Kadah überzeugt: „Polarisierung gehört zur Demokratie dazu.“
Aber sie macht keinen Hehl daraus, dass sie „auch schon komische Menschen“ am Infostand erlebt. Hin und wieder werde ihr empfohlen, dass sie zurück in die Heimat ihrer Eltern gehen soll – in die Türkei. Aber damit könne sie inzwischen ganz gut umgehen: „Man darf sowas an sich nicht heranlassen.“
Für die Zukunft wünscht sich die 27-Jährige mehr Frauen mit Migrationsgeschichte in der Politik. Aber Özge Kadah weiß selbst, wie schwer es ist, dieses Ziel wenigstens teilweise zu erreichen. Sie selbst habe sich auch lange nicht getraut, weil im Fernsehen fast nur alte weiße Männer zu sehen waren. Die gesellschaftliche Realität müsse auch in der Kommunalpolitik abgebildet werden – in den Räten und Ausschüssen.
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