Eine Perücke auf Rezept
Wenn Krebspatientinnen ihre Haare verlieren, finden sie bei Margit Lochowicz in Thedinghausen Beratung und passende Hilfsmittel – vom Haarteil bis zur Perücke.
Von Daniela Krause
Brustkrebs und Chemotherapie – als Jutta Ringe diese Diagnose bekam, war für sie klar: „Ich werde mir eine Perücke zulegen.“ Denn: Einige der bedeutendsten Krebsbehandlungen wie Chemo- oder Strahlentherapie können Haarausfall zur Folge haben. Sie wandte sich an Margit Lochowicz, die seit April 2022 als Haarwuchs- und Zweithaarspezialistin das Unternehmen „3Werk“ in ihrem Heimatort Thedinghausen leitet. „Wichtig war mir, dass die Perücke mit meiner Frisur ziemlich identisch ist“, sagt Jutta Ringe.
Nur mit Perücke aus dem Haus
Seit Mai 2024 trägt sie nun ihre hochwertige Kunsthaarperücke in drei Farbnuancen, die sie voraussichtlich noch bis in den Winter hinein begleiten wird, und ist mit dieser sehr zufrieden. „Meine Familie und auch meine Freunde sind begeistert. Die Perücke ist vom Schnitt und von der Farbe her meiner vorherigen Frisur sehr, sehr ähnlich. Wann immer ich das Haus verlasse, setze ich sie auf und habe mich mit ihr von Beginn an wohlgefühlt.“
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Zugelassen für die Abrechnung mit den Krankenkassen
Margit Lochowicz rät den Kundinnen, vor Therapiebeginn zu ihr zu kommen. „Dann sehe ich die ursprüngliche Frisur und Haarfarbe und kann der Kundin eine Lösung vorschlagen, die ihrem normalen Haar am nächsten kommt. Denn die meisten möchten sich nicht verändern. Am besten ist, wenn man gar nicht merkt, dass es eine Perücke ist“, sagt Lochowicz und ergänzt: „Das Rezept über eine Perücke kann nur bei präqualifizierten Zweithaarspezialisten eingelöst werden, da diese für die Abrechnung mit den Krankenkassen zugelassen sind.“
Kunsthaar- oder Echthaarperücke?
Wenn die Frauen zum Erstberatungstermin kommen, wüssten sie oft nicht, wie es weitergeht. „Sie sitzen da mit ihrer Diagnose, sind geschockt und überfordert.“ Margit Lochowicz erklärt dann einfühlsam den Ablauf und die Möglichkeiten. Kunsthaarperücken sind zum Beispiel leichter zu pflegen. Nach dem Waschen mit einem speziellen Pflegemittel kann man sie aufschütteln und wieder aufsetzen. Eine Echthaarperücke hingegen muss gestylt werden, ist aufwändiger in der Pflege und teurer als Kunsthaar.
Nicht nur Aufsetzer, auch Friseure
Margit Lochowicz berät individuell, sucht passende Perücken aus und bestellt sie. Zwischen neun und zwölf verschiedenen Modellen können die Kundinnen wählen. „Die Perücke muss eine optimale Passform haben. Sie darf zum Beispiel nicht rutschen oder auf den Ohren klemmen. „Dann schauen wir, ob die Farbe hinkommt. Alles andere können wir zurechtschneiden, damit es so gut wie möglich aussieht. Wir sind ja nicht nur Aufsetzer, sondern auch Friseure, reparieren Perücken und bereiten sie wieder auf“, so die Spezialistin. „Wenn die Haare anfangen auszugehen, schneiden wir sie ganz kurz und passen die Perücke an.“
Friseurin verlor selbst fast alle Haare
Ihre Ausbildung zur Friseurin begann Margit Lochowicz im Alter von 14 Jahren. Mit 21 war sie schon Friseurmeisterin. Zwei Jahre später machte sie sich mit ihrem ersten eigenen Friseurgeschäft selbstständig. Nach einem Unfall und einer Rheuma-Erkrankung erlebte sie am eigenen Leib, was es heißt, wenn die Haare ausfallen. „Durch das Rheuma-Medikament habe ich fast alle meine Haare verloren.“ Sie vertraute sich einem Experten an und absolvierte, beflügelt durch den Behandlungserfolg, selbst eine Ausbildung zur Haarwuchsspezialistin.
Ein Unternehmen, drei Gewerke
Heute wird sie im „3Werk“ von Zweithaar- und Haarwuchsspezialistin Heike Lilienthal unterstützt, die sich auch auf Massagen spezialisiert hat. Die Schwester der Inhaberin, Gudrun Glander, ergänzt das Portfolio als gelernte Kosmetikerin mit medizinischer Kosmetik. „Es gibt so viele Frauen und Männer, die unglücklich sind, weil ihnen die Haare ausfallen, weil die Kopfhaut stark juckt oder brennt oder weil sie durch eine Chemotherapie die Haare verlieren“, sagt Margit Lochowicz. Den Betroffenen zu helfen, versteht sie als ihre Berufung. „Und zu sehen, wie die Haare dann wieder wachsen, ist jedes Mal eine große Freude.“
Alternative Hilfsmittel bei Haarausfall
Neben Perücken gibt es noch andere Hilfsmittel, um Haarausfall zu kaschieren. „Einiges können wir selbst anfertigen, das meiste beziehen wir vom Hersteller.“ Jüngere Krebspatientinnen würden sich oft für ein Echthaarband entscheiden, eine Kombination aus Stoffband und Naturhaar, die per Klettverschluss am Hinterkopf fest gemacht wird. Dann gibt es Topper, die mit Clipsen befestigt werden oder Ponyteile, die zusammen mit Mützchen oder Tuch getragen werden.
Es ist alles sensibler und der Kontakt mit den Frauen auch inniger.
Je nachdem, wie stark man an der Kopfhaut schwitzt und wie sauer der Schweiß ist, halten die Perücken etwa ein halbes bis ganzes Jahr. Es gibt Frauen, die Haarteile oder eine Perücke nur vorübergehend benötigen, weil die Haare wieder nachwachsen. Andere sind Dauerträgerinnen – zum Beispiel aufgrund von erblich bedingtem Haarausfall.
Ganz andere Gespräche
Die Gespräche, die Margit Lochowicz mit Krebspatientinnen führt, sind inhaltlich ganz anders als die Gespräche mit Frauen im damaligen Friseuralltag. „Es ist alles sensibler und der Kontakt mit den Frauen auch inniger“, beschreibt die 65-Jährige. „Gerade, wenn es junge Menschen sind, die eine solche Diagnose bekommen, tut mir das furchtbar leid. Ich hatte auch schon ein Kind hier sitzen. Da ich selbst Oma bin, geht mir so etwas sehr nah, auch wenn Kinder mit der Diagnose ganz anders umgehen als Erwachsene.“
Mit Perücke auf den Jakobsweg
Es kommt zwar selten vor, aber manchmal wird auch gelacht. So erinnert sich Margit Lochowicz an eine Kundin, die mit ihrer Perücke auf den Jakobsweg ging: „Sie hatte die Perücke leicht schief aufgesetzt, das fiel ihr aber erst auf, als sie in der Jugendherberge ankam. Darüber haben wir uns beide köstlich amüsiert.“ Eine andere Kundin, die zuvor Haarclips getragen hat, besitzt inzwischen acht oder neun Perücken in allen möglichen Farben und Formen. „Sie trägt sogar nachts eine Perücke, weil sie sich so wohl damit fühlt.“
Haare spenden
Der Bundesverband der Zweithaar-Spezialisten ruft seit 2009 jedes Jahr zur Haarspende auf. Bei der Charity-Aktion „Rapunzel“ wird das zum Zopf geflochtene Echthaar mit einer Mindestlänge von 30 Zentimeter an den meistbietenden Haarwarenhersteller versteigert. Der Erlös wird dann an eine gemeinnützige Institution gespendet. Auch „3Werk“ sammelt abgeschnittene Zöpfe und schickt sie einmal im Jahr ein. Der Erlös der Sammelaktion 2023/2024 fließt in die Arbeit der Stiftung Deutsche Kinderkrebshilfe.
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