Post für (Erst-) Wähler

Parteien dürfen Meldedaten bei den Gemeinden für den Wahlkampf abfragen. Von diesem Recht machen sie regelmäßig Gebrauch. Ein Blick auf den Landkreis Verden vor den niedersächsischen Kommunalwahlen 2026.

Von Ulf Buschmann

Nele B. aus Fischerhude wird Ende des Jahres volljährig – genauso wie Eric C. aus Emtinghausen. Damit dürfen die beiden Jugendlichen an den niedersächsischen Kommunalwahlen im September kommenden Jahres teilnehmen. Nele und Eric gibt es nicht wirklich. Sie stehen aber stellvertretend für die Jugendlichen, die zu den sogenannten Erstwählern gehören. Jene Altersgruppe könnte deshalb im kommenden Jahr gezielt von den in den Räten der Gemeinden, Samtgemeinden und Städte vertretenen Parteien angeschrieben werden.

Die Daten besorgen sich die Vertreter der lokalen Politik bei den Einwohnermeldeämtern der Kommunen. Dies ist nicht etwa illegal, im Gegenteil. Die Paragrafen 44 und 50 des Bundesmeldegesetzes (BMG) regeln diese sogenannte Melderegisterauskunft. Wenn Nele und Eric eventuell Post von den Parteien bekommen, geschieht das auf Basis des BMG-Paragraph 50. „Die Meldebehörde darf Parteien, Wählergruppen und anderen Trägern von Wahlvorschlägen im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen auf staatlicher und kommunaler Ebene in den sechs der Wahl oder Abstimmung vorangehenden Monaten Auskunft aus dem Melderegister über die in § 44 Absatz 1 Satz 1 bezeichneten Daten von Gruppen von Wahlberechtigten erteilen, soweit für deren Zusammensetzung das Lebensalter bestimmend ist“, heißt es in Absatz 1.

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Allerdings ist dies kein Freifahrtschein für die Parteien. Zulässig sind nur Auskünfte über Familiennamen, Vornamen, aktuelle Anschrift sowie der Doktorgrad. Auch die Auskunft über den Tod ist zulässig. „Die Geburtsdaten der Wahlberechtigten dürfen dabei nicht mitgeteilt werden“, ist im BMG außerdem nachzulesen. Und: Wenn Parteien die Meldedaten für den Wahlkampf einsetzen, sind diese „spätestens einen Monat nach der Wahl oder Abstimmung zu löschen oder zu vernichten“.

Aufmerksam geworden auf diese Praxis ist eine breitere Öffentlichkeit durch eine Veröffentlichung des Nachrichten- und Rechercheportals Correctiv. Dieses hatte berichtet, dass die weitgehend als gesichert rechtsextremistisch geltende Alternative für Deutschland (AfD) vor der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen Erstwähler-Daten in Dortmund abgefragt hat. Rund 26.000 Erst- und Jungwähler haben demnach Post von rechts bekommen. Die Kosten: rund 2.000 Euro.

In Verden hat es drei bis vier Abfragen der Parteien nach Meldedaten gegeben. Foto: Buschmann

Seit Jahren Praxis

Dies gehört seit Jahren zur Praxis bei Wahlkämpfen. Derartige Anfragen seien „nichts Ungewöhnliches“, bestätigt unter anderem Philipp Rohlfing, Leiter des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung der Stadt Verden, die Praxis auf Nachfrage: „Vor den Wahlen haben bisher in der Regel ein bis drei der in den jeweiligen Räten und Parlamenten vertretenden Parteien und Wählergruppen entsprechende Anfragen gestartet.“ Das gelte insbesondere „für Wahlen auf kommunaler Ebene“. Die Parteien hätten die Daten von Erstwählern angefragt.

So ist es in den vergangenen acht Jahren in der Stadt Achim geschehen. Laut Anja Gründel, Leiterin des Bürgerbüros, haben sich in den vergangenen acht Jahren beziehungsweise anlässlich der vergangenen Europa-, Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen die SPD, Die Grünen und die FDP dieser Praxis bedient. Langwedels Bürgermeister Andreas Brandt nennt konkret die Grünen und die SPD. Letztere haben demnach „die Informationen für die Europawahl angefragt“, die Grünen zusätzlich für die Bundestagswahl 2021.

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Menschen auf dem Achimer Marktplatz. Das Rathaus (im Hintergrund) hat regelmäßig Meldedaten an Parteien weitergegeben. Foto: Buschmann

„Gesamte Parteienlandschaft“

Für die Gemeinde Oyten waren es in den vergangenen Jahren ebenfalls „vorrangig Anfragen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen“, sagt Sprecherin Kerstin Kempermann. „Darüber hinaus haben auch CDU, SPD und FDP im Zusammenhang mit Kommunal- und Direktwahlen entsprechende Anfragen gestellt.“ Aus der Samtgemeinde Thedinghausen heißt es: „Die Anträge kommen aus der gesamten ,Parteienlandschaft’.“ Derartige Abfragen jedoch nicht überall Praxis. Ottersbergs Bürgermeister Christian Heinrich spricht von „Einzelfällen“. Sein Kirchlinteler Kollege Stefan Schulz schreibt auf Anfrage in seiner Mail: „Zu den vergangenen Wahlen wurden selten Anfragen gestellt.“

Nicht alle Parteien machen jedoch von ihrem Recht Gebrauch – zumindest gilt dies für die Kommunalwahl 2026. Das teilt der hiesige Kreisverband der Linken mit. Demnach „ist nicht vorgesehen, Meldedaten von Wählerinnen und Wählern zu nutzen“. Auch die Freien Wähler Kirchlinteln haben laut Auskunft von Sprecher Roger Mathewes „nicht vor, beim nächsten Wahlkampf Daten zu kaufen oder gekaufte Daten zu verwenden“. CDU, SPD und Grüne haben darüber noch nicht entschieden, teilen sie mit. Eine Anfrage der AfD ist unbeantwortet geblieben.

Kritik der Datenschützer

Die Weitergabe von Meldedaten ist zwar gesetzlich geregelt. Dennoch sehen die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder dieses Thema kritisch. Die Bürger müssten vor allem über ihr Widerspruchsrecht informiert werden. Wegen der verfassungsrechtlich verankerten Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung erkennen die Datenschützer zwar die gesetzliche Ausnahme für politische Parteien an. Gleichwohl müsse es eine größtmögliche Transparenz und einen sorgsamen Umgang mit den Daten geben.

In Langwedel haben sich die Grünen und die SPD Meldedaten besorgt. Foto: Buschmann

Damit stehen sie nicht ganz alleine auf weiter Flur. Unterstützung bekommen die Datenschützer aus dem Langwedeler Rathaus. „Vor dem Hintergrund der Datenschutzbestimmungen in anderen Bereichen ist die Herausgabepflicht von Meldedaten an Parteien zu Wahlkampfzwecken mindestens bedenklich“, sagt Bürgermeister Brandt. Er ergänzt: „Mit Printmedien oder über Soziale Netzwerke können Erstwähler auch mit der allgemeinen Wahlwerbung angesprochen werden.“

Über die Wahlwerbung beschweren sich laut einer Medienmitteilung von Denis Lehmkemper, Landesbeauftragter für den Datenschutz Niedersachsen, regelmäßig zahlreiche Bürger. Dafür sei ein Widerspruch notwendig. „Nur ein solcher Widerspruch verhindert effektiv die persönlich adressierte Wahlwerbung. Aufkleber am Briefkasten mit Aufschrift ,(Wahl-)Werbung verboten’ greifen in diesem Fall nicht.“

Widerspruch einlegen

Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte empfiehlt das Bundesportal für Verwaltungsdienstleistungen. Dies erleichtert die Suche nach dem richtigen Formular per Eingabe der eigenen Postleitzahl. Wichtig: Dafür werden unter Umständen Gebühren fällig. Einen weiteren Beitrag zur Kommunalpolitik gibt es hier.