Wenn das Deckwerk zu sehen ist

Die letzten Stürme haben den ostfriesischen Inseln ordentlich zugesetzt. Vor allem Wangerooge muss viel neuen Sand aufschütten. Aber nicht nur dort ist der Küstenschutz ein großes Thema.

Von Ulf Buschmann

Wenn Marcel Fangohr aus dem Fenster des Besprechungszimmers schaut, wirkt er ein wenig nachdenklich. Kaum 30 Meter vom Platz des parteilosen Bürgermeisters der Insel und Gemeinde Wangerooge wirkten Mitte Februar die Naturgewalten. Das Sturmtief „Sabine“ hatte mit fünf aufeinander folgenden Sturmfluten dafür gesorgt, dass die zweitkleinste der sieben ostfriesischen Inseln einen Großteil ihres Hauptstrandes eingebüßt hat. Rund 80 Prozent hat die Nordsee mitgerissen. Fangohr beziffert die Menge auf gut und gerne 80.000 Kubikmeter.

Ende April wird der verlorengegangene Sand wieder aufgefahren. Denn auch wenn wegen der Corona-Pandemie zurzeit nur Einheimische und Menschen mit Sondergenehmigung wie Handwerker auf die Insel dürfen, sollen die Schäden so schnell wie möglich beseitigt werden – allerdings nicht komplett. „Wir werden nur 60.000 Kubikmeter auffahren“, sagt Fangohr. Die Kosten dafür beziffert er auf etwa 350.000 Euro – im Gegensatz zu 500.000 Euro für das Ersetzen der kompletten Menge. Stattdessen habe sich die Gemeinde entschlossen, dass Strandprofil zu verändern.

Wichtig ist laut Bürgermeister in erster Linie, dass die gut 1.400 Strandkörbe, die die Gemeinde jedes Jahr in Eigenregie vermietet, den Touristen zur Verfügung stehen; immerhin 140.000 sind es pro Saison. Die Einnahmen für die Insel belaufen sich auf rund 2,3 Millionen Euro alleine aus den Kurbeiträgen. Hinzu kommen weitere 500.000 Euro aus der Strandkorbvermietung. Nicht eingerechnet hat Fangohr in seiner Auflistung die Umsätze und Abgaben durch das Hotel- und Gaststättengewerbe.

Marcel Fangohr, Bürgermeister von Wangerooge

Wangerooges Bürgermeister Marcel Fangohr muss die Strandverluste der Insel managen. Im Hintergrund ist ein Teil des Deckwerks zu sehen.

Schäden beseitigen

Auch wenn wegen der Corona-Pandemie der Tourismus in ganz Norddeutschland am Boden ist und niemand weiß wie es weitergeht, werden die Inselgemeinden die im Februar entstandenen Schäden beseitigen müssen. Dies betrifft nicht nur Wangerooge, auch die Nachbarinsel Langeoog hat das Sturmtief „Sabine“ massiv zu spüren bekommen. „Mehrere Hundert Meter Strand sind beschädigt. Und diesmal haben wir stellenweise sogar bis zu zehn Meter Düne verloren“, zitiert die Oldenburger Nordwestzeitung Bürgermeisterin Heike Horn, ebenfalls parteilos. Die Gemeinde wolle die betroffenen Stellen wieder aufschütten.

Auf Langeoog ist nicht gleich eine ganze Düne weggebrochen. Dafür ist so viel Sand vom Strand weggespült worden, dass an vielen Stellen das Deckwerk freigelegt worden. Es ist ein Teil des Hochwasserschutzes und besteht aus Beton oder massiven Steinquadern. Fangohr steht an einer Stelle und zeigt, wie es dort normalerweise aussieht: „Über dem Deckwerk befinden in der Regel zwei Meter Sand.“

An einer anderen Stelle ist auf mehreren Metern die Spundwand freigelegt worden. Auch bei diesem Anblick wird Fangohr ein wenig nachdenklich. Glücklicherweise sei der Wind aus West gekommen. Bei der klassischen Windrichtung Nordwest, „hätte das Ganze noch ganz anders ausgesehen“, weiß der Wangerooger Bürgermeister.

Kutter, Nordsee, Hafen, Wasser, Küste

Die Orte an der Küste wie Greetsiel mit seinem idyllischen Hafen sind in den kommenden Jahrzehnten auch vom ansteigenden Meeresspiegel betroffen.

Küstenschutz im Haushalt

Nun also heißt es, den verlorenen Sand wieder aufzufahren – ein für die Inselgemeinden nach den Sturmfluten von Herbst bis Frühjahr üblicher Vorgang. „Die Arbeiten machen wir mit unseren Bauhof-Leuten und unseren Strandläufern selbst“, sagt Langohr, „die Geräte dafür müssen wir natürlich leasen.“ Dafür gehen alljährlich einige hunderttausend Euro drauf. Sie werden allerdings bei der Aufstellung des Haushalts gesondert verbucht. Eigentlich müsse der ausgeglichen sein, sagt Fangohr. Aber: „Sandfahrmaßnahmen sind davon ausgenommen.“ Geld gibt es überdies vom Landkreis Friesland. Sprecherin Nicole Karmires teilt mit, dass in diesem und im vergangenen Jahr „jeweils Zuwendungen in Höhe von 100.000 Euro für Sandfahrmaßnahmen“ eingeplant worden sind. Das verschafft der Gemeinde etwas Luft.

Den Sand an ihren Stränden aufzufahren ist die einzige Aufgabe, im Rahmen des Küstenschutzes, die den Kommunen zufällt. Haushaltstechnisch wird die Erneuerung der Strände als Maßnahme zur Förderung des Tourismus verbucht.

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Ein Schild weist auf die Gefahren am Wangerooger Hauptstrand hin. Fotos: Ulf Buschmann

Küstenschutz im Grundgesetz

Damit die Landschaft im Norden nicht im Meer versinkt greifen Bund und Land in ihre Kassen. Dies ist im Grundgesetz-Artikel 91a Gemeinschaftsaufgabe festgeschrieben. „Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben)“, heißt es dort. Laut Satz 1 ist es die „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Satz 2 nennt die „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Auch die Kostenverteilung ist grundsätzlich geregelt, und zwar in Absatz 3: „Der Bund trägt in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 die Hälfte der Ausgaben in jedem Land. In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 trägt der Bund mindestens die Hälfte; die Beteiligung ist für alle Länder einheitlich festzusetzen. Das Nähere regelt das Gesetz.“

Der aktuelle Bundeshaushalt weist nur für den reinen Küstenschutz 25 Millionen Euro aus. Das Geld gehört zum bereits im Jahr 2009 verabschiedeten sogenannten Sonderrahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe. Es ist bis 2025 für die Länder Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vorgesehen, um damit Maßnahmen gegen den Klimawandel in Angriff nehmen zu können. Weitere 100 Millionen Euro sind für „präventiven Hochwasserschutz“ eingeplant.

Fachlich ist der Haushalt in Sachen Küstenschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) von Julia Klöckner (CDU) angedockt. Darin ist aufgelistet, was laut Gesetz gefördert werden kann. Hierzu zählen „Neubau und Verstärkung von Hochwasserschutzwerken einschließlich Deichverteidigungs- und Treibselräumwege“, „Sperrwerke und sonstige Bauwerke in der Hochwasserschutzlinie“, „Buhnen, Wellenbrecher und sonstige Einbauten in See“, „Vorlandarbeiten vor Seedeichen bis zu einer Tiefe von 400 m“ sowie „Sandvorspülung“ und „Uferschutzwerke“. Und: „Auch die Ausgaben der infolge von Küstenschutzmaßnahmen durchzuführenden Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind förderfähig.“

80 Millionen für den Küstenschutz

Steht im Grundgesetz noch, dass der Bund für Küstenschutzmaßnahmen mindestens die Hälfte der Kosten übernimmt, sind es in der Realität 70 Prozent. So steht es im Haushalt 2020 des Landes Niedersachsen. Danach sind für den Küstenschutz 80,018 Millionen Euro veranschlagt, von denen der Bund 54,770 Millionen Euro trägt. Vom Land kommen laut Haushaltsplan 26,248 Millionen. Darüber hinaus sind bereits Verpflichtungsermächtigungen von 50,924 Millionen Euro unterschrieben. 34,199 Millionen Euro überweist der Bund, 16,725 Millionen trägt das Land Niedersachsen.

Diese Zahlen wirken auf den ersten Blick gewaltig. Doch Experten bezweifeln, dass das Geld auf lange Sicht ausreichen wird. Allen voran: Niedersachsen Umweltminister Olaf Lies (SPD). Er und seine Kolleginnen und Kollegen der anderen norddeutschen Küstenländer fordern mehr Engagement von Berlin. „Der Aufwand für den Küstenschutz überschreitet langfristig die finanziellen Möglichkeiten der Küstenländer“, erklärt das Niedersächsiche Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz: „Da es sich beim Klimawandel um ein weltweites Phänomen handelt, wird der Küstenschutz immer mehr zu einer nationalen Aufgabe. An dieser Kraftanstrengung müssen sich alle beteiligen – der Bund ebenso wie die Bundesländer.“

Das BMEL hingegen verweist auf Nachfrage auf den im Herbst vergangenen Jahres veröffentlichten Sonderbericht des Internationalen Klimarats, IPCC. Dieser habe „zwischenzeitlich neueste wissenschaftliche Erkenntnisse über den zu erwartenden Meeresspiegelanstieg geliefert“, erklärt eine Sprecherin. Und: „Die von den Küstenländern zu beschließenden Eckdaten für die Küstenschutzpolitik und die Beschlüsse für das weitere Vorgehen der Küstenländer stehen noch aus. Sobald diese vorliegen, werden die Planungen und Beratungen über die weitere Ausgestaltung und finanzielle Ausstattung der GAK-Küstenschutzförderung aufgenommen.“

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Die Buhnen instandzuhalten ist Aufgabe des Bundes. Das Land Niedersachsen und die Inselgemeinden fordern ein größeres Engagement Berlins.

100 Millionen für Niedersachsen

Niedersachsens Umweltminister indes geht schon jetzt von Kosten in Höhe von rund 100 Millionen Euro alleine für Niedersachsen aus. Doch das ist nur eine Zahl, die im Raum steht. Weitere rund 300 Millionen Euro kostet es, die dringend notwendige Erneuerung von Deichen, Schutzdünen und Deckwerken in Angriff zu nehmen. Dies hat der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) ausgerechnet und bereits 2010/2011 in den „Generalplan Inselschutz“ hineingeschrieben. Dieser ist eine Ergänzung des seit dem Jahr 2007 existierenden „Generalplan Küstenschutz“ der Länder Niedersachsen und Bremen.

Das sich der Bund zu wenig engagiert, ist nicht nur Lies‘ Eindruck. Auch Wangerooges Bürgermeister sieht das Dilemma sozusagen täglich vor seiner Haustür. Fangohr nennt als eines der Beispiele die kaputten Buhnen auf der Insel. Sie würden vom Bund beziehungsweise seinen Behörden nur unzureichend instand gehalten. Irgendwann, so Fangohr, könnten die Buhnen ihre Aufgabe, die Wellen zu brechen, nicht mehr erfüllen. Zum Beweis zeigt Fangohr auf eines des Bauwerke gleich am Wangerooger Hauptstrand: „Die Buhne dort ist zum Teil im Meer verschwunden.“

Fangohr nennt weitere Beispiele. Hierzu gehören die Düne Harle-Hörn und das Deckwerk im Westen. Letzteres müsse saniert werden, um die natürliche Inseldrift von West nach Ost zu unterbinden. Mehr als einmal weist Fangohr, selbst Wasserbau-Ingenieur, darauf hin, dass der Schutz der Insel aus mehreren Gründen notwendig ist. Neben den wirtschaftlich-touristischen Aspekten hebt der Inselbürgermeister insbesondere den Schutz des Festlandes hervor. Gebe es die Inseln nicht, würden Unwetter ungebremst auf Jadebusen und Co. treffen.

Küstenschutz, Teil III

Die Länder Bremen und Niederachsen haben im Januar den dritten Teil ihres gemeinsamen „Generalplanes Küstenschutz“ auf den Weg gebracht – kurz: GPK III. Die Teile I und II waren 2007 und 2010 beschlossen worden. In Teil eins sind das Ausbauprogramm für die Festlandküste sowie an Elbe, Weser und Ems festgelegt worden. Teil zwei befasst sich mit den Maßnahmen für die Ostfriesischen Insel.

Fluss Lesum Ufer Idylle

Das Küstenhinterland wie die Lesumniederung kann auch zur Bedrohung werden – in diesem Fall vor allem für Bremen.

Im GPK III stehen notwendige Maßnahmen im Landesinneren im Mittelpunkt – für Niedersachsen sind dies die Polderdeiche sowie die Landstriche hinter den Sperrwerken an Ochtum, Hunte und Ems. Bremen muss die Bereiche hinter dem Lesumsperrwerk, dem Wesersperrkwerk und auch dem Ochtumsperrwerk schützen. Hintergrund: Wenn die Anlagen aufgrund von Hochwasser geschlossen sind, kann das Wasser aus dem Hinterland nicht abfließen – es droht auch dort „Land unter“.

Laut GPK III sind von notwendigen zusätzlichen Schutzmaßnahmen 400 Kilometer Deichlinie betroffen. Die Gesamtlänge beträgt 598 Kilometer. Die Kosten werden von Niedersachsen mit rund 625, von Bremen mit 13 Millionen veranschlagt. Bremen will frühestens 2015 mit dem Umbau anfangen. Weitere Informationen gibt es beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und bei der Senatspressestelle Bremen.