Rollende Angelegenheit(n)
Wenn die Autos am BLG-Terminal verladen werden, erfordert es präzise Planungen und Absprachen.
Von Ulf Buschmann
Kevin Dingerdissen macht fast nicht zu sehende Handbewegungen: ein Stück nach links, ein kleines bisschen noch nach rechts, dann ist es gut. Schon ist der nächste Wagen an der Reihe. Kevin Dingerdissen konzentriert sich ebenso wie der Fahrer im Auto, einem Mercedes-Benz GLK. Das wertvolle Stück muss rückwärts gestaut werden. Anders funktioniert es auf diesem Schiff nicht. Wo wieviel von welchem Auto steht, verrät Kevin Dingerdissen und seinen Kollegen der Stauplan. Gleich neben ihm steht Gerrit Kaup. Er macht die gleichen Bewegungen wie sein Kollege, nur etwas ausholender.
Genau 1355 Autos passen auf die „Danube Highway“. Das 2006 gebaute Schiff gehört einer finnischen Reederei, fährt aber unter der Flagge der Bahamas. Einmal in der Woche macht es am Autoterminal Bremerhaven der BLG fest. Dann werden die fahrbaren Untersätze verladen, die die richtig großen Pötte aus allen Teilen der Welt in die norddeutsche Tiefebene bringen. Übers Kattegat geht es im Bauch der „Danube Highway“ zu den Zielhäfen in der Ostsee wie dem finnischen Kotka oder dem estnischen Paldiski. Transshipment heißt diese Art der Logistik. Den sonst üblichen Weg über den Nord-Ostsee-Kanal nimmt die „Danube Highway“ nach Auskunft von Chief Sebastian Skorupinski nicht, um Wartezeiten zu vermeiden.
Transshipment Teil des Autoterminal
Transshipment gehört zu den Arbeitsfeldern des Autoterminals beziehungsweise der Menschen, die dort arbeiten. Angestellt bei der BLG sind sie indes nicht alle, auch Kevin Dingerdissen nicht. Sein Arbeitgeber ist seit März 2012 der Gesamthaven-Betriebsverein. Aber das stört den jungen Mann ganz und gar nicht. Im gefällt nach seinen Worten, „auf großen Schiffen und schönen neuen Autos“ zu arbeiten. In der Tat, es scheint, dass er darin aufgeht, seine Kollegen – Frauen und Männer – richtig einzuweisen.
Die 60 Fahrer dieser „Mittelschicht“ sind das Herzstück allen Verladens: Sie werden von den Taxis zu den Stellplätzen der Autos gebracht und fahren die wertvolle Fracht von dort vorsichtig und extrem vorausschauend zu den Schiffen. Bevor es an Bord geht, scannt ein Mitarbeiter einer Fremdfirma den zu jedem Fahrzeug gehörenden Code. Jetzt wissen die Disponenten im Operation-Center (OPC), in dem alle Fäden zusammenlaufen, dass das jeweilige Fahrzeug an Bord rollt.
Erst dann steuern die Fahrer den vorgesehenen Stellplatz im Schiffsbauch an. Gestaut werden kann auf der „Danube Highway“ nur rückwärts – „damit die Autos vorwärts wieder raus können“, sagt Decksvorarbeiter Sascha Zobel. Er ergänzt: „Sonst können wir Flowstow machen.“ Das heißt, die Autos rollen auch im Vorwärtsgang an ihren Platz. Wenn eine Gruppe ihre Autos abgestellt hat, besteigen sie eines der Taxis und das Spiel beginnt von vorne.
Jeder bewegt sich vorsichtig an Bord und alle Leute arbeiten hochkonzentriert – Sicherheit ist hier oberstes Gebot. Mit ein bisschen Autos durchs Hafengebiet kutschieren hat dieser Job nichts zu tun, im Gegenteil: Um auf dem Gelände einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, greifen viel kleine und große Rädchen ineinander. Die Betriebsabläufe sind hochkomplex und die Zeitfenster sind knapp kalkuliert, um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten
110.000 Pkw-Stellplätze
Das Autoterminal mit seiner Fläche von 240 Hektar und 110.000 Pkw-Stellplätzen gehört zum BLG-Geschäftsbereich Automobile. Er umfasst nicht nur den Fahrzeugumschlag, sondern auch Lagerung und technische Aufbereitung für den jeweiligen Zielmarkt. Selbst Transport- und Speditionsdienstleistungen sind Teil des Systems. Schließlich sollen die Autos die Händler erreichen.
Rund 2,13 Millionen Fahrzeuge wurden 2013 umgeschlagen. In der Abteilung „High & Heavy“, also Groß und Schwer, waren es 1,135 Millionen Tonnen. Möglich ist dies durch zehn Liegeplätze für die großen Autotransporter, die über die Weltmeere fahren – auch Deep-Sea-Carrier genannt. Den Feederdienst, das Transshipment übernehmen die Short-Sea-Carrier wie die „Danube Highway“. Für sie gibt es acht Liegeplätze am Autoterminal, das außerdem über 14 Gleichanschlüsse mit Direktverbindungen zu den Kunden wie Daimler, VW und BMW verfügt, sowie vier Lkw-Tore.
Vom Treiben dort bekommen die Männer an Bord der „Danube Highway“ nichts mit, sie konzentrieren sich aufs Verladen. Einige der Männer an Bord haben Schablonen dabei. Sie dienen nach Auskunft von Decksvorarbeiter Sascha Zobel dazu, den von den Kunden vorgegebenen Abstand zwischen den Stoßstangen einzuhalten. Er schaut immer wieder nach, ob die Leute aus seinem Team alles richtig machen. Doch ein Lächeln verrät: Hier geht alles glatt. Ab und zu kommt einer der Gruppenleiter zu Sascha Zobel und informiert ihn, dass eines der Decks beladen ist.
Autoterminal-Vorarbeiter gibt grünes Licht
Der Vorarbeiter gibt grünes Licht, einen Teil der Mannschaft schon abzuziehen, um das nächste Deck zu beladen. Zeit ist schließlich Geld. Das schlägt auch dann zusätzlich für die Auftraggeber zubuche, wenn die Fahrzeuge zusätzlich gesichert, also gelascht, werden müssen. Aber jetzt, im Sommer, müsse es nicht sein, denn die See sei weitgehend ruhig, weiß Sascha Zobel.
Bis 22.30 Uhr muss die „Danube Highway“ beladen sein. Aufgehen wird der Zeitplan sicherlich, denn bevor auch nur ein Auto an Bord rollt, haben die BLG-Fachleute im Operation Center, dem OPC, ganze Arbeit geleistet. „Unsere Schiffe werden sehr genau berechnet“, sagt Helge Brouwer. Zuständig dafür ist die sogenannte Steuerung, zu der das OPC gehört. Der Supervisor und seine Fahrer müssen das Ganze dann umsetzen.
Als Basis dafür, jeden Platz auf den Schiffen auszunutzen diene eine Datenbank und ein riesiger Erfahrungsschatz, erläutert Helge Brouwer. So müsse bei der Kalkulation des benötigten Fensters unter anderem die Fahrzeit bedacht werden. Denn die Autos sind über das komplette 240 Hektar große Areal verteilt. „Teilweise stehen sie gleich am Schiff wie der ,Danube Highway‘, teilweise müssen wir sie drei Kilometer heranholen“, informiert der Supervisor.
Wer eines der Autos über das Gelände bewegt, fährt langsam und vorausschauend – schließlich sollen die Kundenstücke ja ohne Beschädigungen am Bestimmungsort ankommen. Bevor die Stück an Deck rollen, werden sie gescannt. Somit wissen die Verantwortlichen: Der Wagen ist verladen beziehungsweise vom Lagerplatz abgeholt worden.
Meeting vor der Schicht
Was während ihrer Schicht zu tun ist, erfahren die Frauen und Männer zu Beginn ihrer Schicht in einer Vorbesprechung. Die Instruktionen gibt es durch Supervisor Helge Brouwer. Welches Schiff wird heute beladen? Wo kommt welche Marke hin? Alles das sind Fragen, die geklärt werden. „Gang 1: E-Klasse, Deck 1 nach oben. Gang 2: GLK, Deck 7, nach unten. Gang 3: GLK, Deck 3“, gibt der Supervisor die Infos in die Runde.
Dann seien da noch 380 Honda. Auf dessen Eigenart weist Helge Brouwer besonders hin: „Nach dem Abstellen müsst Ihr den Zündschlüssel ganz herausziehen und dann zur Hälffte wieder ins Zündschloss stecken.“ Nicht zu vergessen seien bitte die 38 A-Klasse-Autos, die vom Kaiserhafen herübergeholt werden müssen.
Die Mitarbeiter wollen sich fast schon auf den Weg machen, da kommt eine Funkdurchsage vom OPC: „Die G-Klasse könnte Ihr streichen, die habe ich schon verladen. Helge Brouwer antwortet grinsend: „Uwe, mit Dir kann man arbeiten.“ Fragen gibt es keine mehr, die Frauen und Männer machen sich an die Arbeit. Sie gehören übrigens zur Mittelschicht. Sie umfasst 60 Fahrer plus knapp 30 Leute des sogenannten Anhangs. Hierzu gehören Qualitychecker, Lascher, Einweiser und die Decksvorarbeiter.