Abschied bevor das Leben beginnt

Wenn ein Kind stirbt, bleibt für die Eltern die Zeit stehen. Marlene Krause begleitet Familien von Sternenkindern in ihrer Trauer.
Marlene Krause

Trauerbegleiterin Marlene Krause möchte Eltern und Geschwistern von Sternenkindern beistehen. Fotos: Daniela Krause

Eben noch schlug das kleine Herz im Bauch der Mutter. Bei der nächsten Untersuchung die schreckliche Gewissheit: Das Ungeborene ist tot. In solchen Momenten bleibt für werdende Eltern die Zeit stehen und der Kopf setzt aus, sagt Marlene Krause. Die zertifizierte Trauerbegleiterin aus Eydelstedt im Landkreis Diepholz hat es sich zur Aufgabe gemacht, Familien in der Trauerarbeit zu unterstützen. Mit ihrem Unternehmen „Herzenssterne Trauerbegleitung“ setzt sie sich für eine würdevolle Bestattung von Sternenkindern ein. Redakteurin Daniela Krause hat mit ihr ein Interview geführt.

Frau Krause, was verbirgt sich hinter dem Begriff „Sternenkinder“?

Marlene Krause: Der Wortschöpfung Sternenkinder liegt die Idee zugrunde, Kinder zu benennen, die den Himmel beziehungsweise poetisch die Sterne erreicht haben, bevor sie das Licht der Welt erblicken durften. Mittlerweile umfasst der Begriff alle Kinder, die im Laufe der Schwangerschaft, während oder nach der Geburt versterben.

Für Eltern, die ihr Kind verlieren, gerät die Welt aus den Fugen. Wie erleben Sie als Trauerbegleiterin diesen Ausnahmezustand?

Wenn Eltern die Diagnose bekommen haben, dass das Kind stirbt oder verstorben ist, hört für sie die Zeit auf. Sie nehmen nichts mehr richtig wahr. Oft können sie Informationen nicht aufnehmen und verarbeiten, weil sie sich in einem Schockzustand befinden. Da ist einzig der Gedanke: „Gott, mein Kind ist tot!“

Welche ersten Anlaufstellen gibt es für Eltern, die ein Kind verloren haben?

In den Krankenhäusern gibt es den Sozialen Dienst oder einen Seelsorger. Zu Hause gibt es verschiedene kirchliche Angebote, wie bei uns auf dem Land den katholischen Dienst. Man kann sich auch an Profamilia wenden, an den örtlichen Pastor, Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen.

Wie können Eltern, die im frühen Schwangerschaftsstadium ihr Kind verloren haben, Abschied nehmen?

Eltern können ganz in Ruhe Abschied nehmen: Das muss nicht im Krankenhaus sein. Eine Frau hat ihr Kind in der achten Woche verloren. Ich habe es aus der Pathologie geholt und in einem Nestchen zu ihr nach Hause gebracht. Ihr war es wichtig, einige Stunden mit ihrer Tochter verbringen zu können. Ich rate immer dazu, dem Kind einen Namen zu geben. Sternenkinder haben ein Anrecht auf einen Platz in der Familie. Man kann den Namen seit zwei Jahren übrigens in das Geburtenregister eintragen lassen.

Wissen Menschen, die zu Ihnen kommen, dass es statt einer Sammelbestattung durch die Krankenhäuser auch Einzelbestattungen für Sternenkinder gibt?

Leider nein. Ganz oft höre ich: Hätten wir das mal vorher gewusst. Natürlich sind mit einer individuellen Bestattung Kosten verbunden. Sternenkinder können aber mittlerweile auf einigen Friedhöfen preisgünstig oder sogar kostenlos beigesetzt werden. Genauso gibt es Sternenkinder-Felder oder Sternenkinder-Bäume in Ruheforsten und Friedwäldern.

In der Zeit des Verlusts und der Trauer begleiten Sie Paare und Familien. Welche Hilfe bieten Sie an?

Meine Aufgabe ist es, da zu sein, zuzuhören, darüber zu sprechen, den Eltern aufzuzeigen, was passieren kann und was passieren muss. Ab einem Gewicht von 500 Gramm muss beispielsweise eine Bestattung vorgenommen werden. Ich setze mich dafür ein, dass ein Sternenkind so beigesetzt wird, wie die Eltern es sich wünschen – egal in welchem Stadium der Schwangerschaft. Wie meine Unterstützung aussieht, ist individuell. Es kommt auf den Zeitpunkt an, an dem mich die Betroffenen kontaktieren – nach dem Abbruch der Schwangerschaft, nach einer Fehlgeburt, einer stillen Geburt oder dem Tod eines Neugeborenen. Ich habe auch schon Familien begleitet, in denen Kinder mit ein oder zwei Jahren eine tödliche Krebsdiagnose bekommen haben. Zu meinen Tätigkeiten gehört neben der Begleitung die Zusammenarbeit mit dem Bestatter und die Hilfe bei Anträgen auf finanzielle Unterstützung.

Wie muss man sich die Trauerarbeit vorstellen?

Manchmal reicht ein intensives Gespräch, und wir bleiben weiter telefonisch oder schriftlich in Verbindung. Manchmal brauchen Eltern mehr Nähe und haben großen Gesprächsbedarf. Da kann die Begleitung über Monate und Jahre gehen. Erinnerungsstücke sind für die Trauernden ebenfalls sehr wichtig.

Andenken Sternenkinder

Erinnerungsstücke wie diese helfen Eltern, den Schmerz und die Trauer zu bewältigen.

Welche Andenken helfen, den Schmerz und die Trauer zu bewältigen?

Alles, was irgendwie erinnert. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Ideen. Es gibt zum Beispiel das „Sternenbärchen“ oder den „Sternenwal“, ein Stofftierchen, das in die Handfläche passt. Es gibt größere Kuscheltiere, die aus Baby-Kleidungsstücken genäht werden. Wir nehmen, wenn möglich, den Hand- und den Fußabdruck, den man sich auf einen Schmuckanhänger prägen lassen kann. Für Fotos arbeiten wir mit Sternenkinder-Fotografen zusammen. Wenn Kinder noch einige Zeit im Krankenhaus verbracht haben, heben Eltern die Armbänder oder Aufkleber von den Messgeräten als Erinnerung auf.

Können sich Partner in ihrer Trauer gegenseitig Halt geben?

Das ist etwas schwierig: Männer trauern von Grund auf anders als Frauen. Manche Frauen spüren schon vor dem positiven Test, dass sie schwanger sind, der Körper verändert sich, genauso die Psyche. Für Männer ist es erstmal nicht sichtbar und greifbar. Sie freuen sich auf das Kind, aber sie erleben den Hormoncocktail in uns nicht mit. Wir Frauen haben den Männern durch die Schwangerschaft einiges an Bindungsarbeit voraus. Die meisten Frauen weinen im Gespräch hemmungslos. Es gibt beim Trauern kein richtig und kein falsch. Ich kenne Männer, die furchbar geweint haben, als sie ihr Kind verloren haben. Aber viele reden nicht unbedingt gerne darüber.

Wie können Angehörige und Freunde helfen?

Sie können fragen, wo Unterstützung gebraucht wird, da sein und zuhören. Wenn sie unsicher sind, was sie sagen sollen, können sie das ehrlich zugeben. Am meisten helfen sie den Betroffenen, wenn sie akzeptieren und aushalten, dass Trauer Zeit braucht. Häufig erlebe ich, dass nach einem Jahr gesagt wird: Jetzt kannst du wieder zur Normalität zurückkehren. Vielleicht fühlen sie sich gar nicht dazu bereit. Oder wenn es darum geht, das Kinderzimmer auszuräumen – das müssen die Eltern allein tun als Bestandteil der Trauerarbeit. Es ist aber auch gut, wenn man ein Auge auf die Situation hat: Manchmal kommt es vor, dass Frauen äußern, sie möchten nicht mehr leben. Dann sollte man hellhörig werden.

Ursprünglich hatten Sie „Herzenssterne“ gegründet, um Kinder und Jugendliche in ihrer Trauer zu begleiten. Wie kann man diese in die Trauerarbeit einbinden?

Selbst ein zweijähriges Kind kann verstehen, dass das verstorbene Geschwisterchen nicht mehr wiederkommt. Es hat genauso jemanden verloren wie die Eltern und sollte in jedem Fall mit einbezogen werden. Ältere Kinder können die Trauerfeier aktiv mitgestalten, Lieder aussuchen, die Urne bemalen, ein Bild oder einen Brief in den Sarg legen. Das ist wichtig, um das Erlebte verarbeiten zu können. Sie dürfen sehen und merken, wie traurig ihre Eltern sind. Ich arbeite gerne mit Kinderbüchern und verschiedenen Gegenständen, um Kindern das Thema Tod zu erklären.

Würden Sie sich in der Gesellschaft mehr Unterstützung und Akzeptanz für Sternenkinder-Familien wünschen?

Das Thema ist zum Glück langsam auf dem Vormarsch, insbesondere durch große Vereine wie „Hope’s Angels“ und „Sternenbärchen“, die viel verändern. Bis 2015 sind Kinder unter 500 Gramm medizinischer Müll gewesen. Wir haben Unterschriften gesammelt und Krankenhäuser angeschrieben. Da hat ein Umdenken stattgefunden. Etwa jede dritte Schwangerschaft endet vorzeitig mit einer Fehlgeburt. Das macht deutlich, wie viele Betroffene es gibt.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Arbeit, die Sie mit Herzenssterne Trauerbegleitung leisten?

Für mich waren kleine Menschen schon immer ganz wichtig, darum bin ich Erzieherin geworden. Der Tod war in meinem Leben auch immer präsent. Mein Mann ist seit 2015 Bestatter, meine drei Kinder (15, 9 und 6) wachsen mit diesem Thema auf: Sie sehen, wenn wir den Sarg umladen und wissen was ist tue, wenn ich unterwegs bin. Sie beerdigen jedes Tier, das auf unserem Hof tot rumliegt.
Durch die Arbeit meines Mannes und den Tod meines Schwiegervaters wurde mir bewusst, dass Kinder in der Trauer mehr Unterstützung brauchen. Bei einem Infoabend im Kindergarten habe ich den Vater meines ersten Sternenkindes kennengelernt, der mich später gebeten hat, sein Kind zu bestatten. Diese Begegnung hat mir so viel gegeben, dass ich gesagt habe: Das ist das, was ich machen will.

Zur Person

Marlene Krause ist seit 2019 unter dem Namen „Herzenssterne Trauerbegleitung“ zertifizierte Trauerbegleiterin für Kinder und Jugendliche. Dank einer weiteren Ausbildung zur Sternenkinder-Arbeit über den Verein „Hope’s Angels“ begleitet die 38-Jährige Familien zukünftig bei Schwangerschaftsabbruch, stiller Geburt und Neugeborenentod. Zudem arbeitet die dreifache Mutter und Kleinstkindpädagogin als Erzieherin und unterstützt ihren Mann in seiner Firma Krause Bestattungen.

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