Ein Leben für den Fußball
Werder Bremens Ehrenpräsident Klaus-Dieter Fischer blickt zurück auf die Zeit als junger Mann bei Werder Bremen – und warum er nicht zum Bremer SV ging.
Von Ulf Buschmann
Klaus-Dieter Fischer hat den Großteil seines Lebens Werder Bremen gewidmet. Heute ist er Präsident und Geschäftsführer der Profiabteilung. Geboren wurde Klaus-Dieter Fischer 1940. Vier Jahre später wurde die Familie ausgebombt, der Junge kam nach Stolp in Pommern, gelangte dann auf der Flucht nach Ratzeburg und kehrte erst 1949 nach Bremen zurück. Klaus-Dieter Fischers Mutter starb bei der Geburt, der Vater war Polizist und Zollbeamter. Sie lebten nach dem Kriege an der Stader Straße ganz in der Nähe des Weserstadions – ein Beitrag aus dem Buch „Geschichten aus der Kindheit“ von Ulf Buschmann. Es ist ist im Wartberg-Verlag erschienen.
Mein Vater ging jedes Wochenende zum Fußball. Am Wochenende gab es meistens zwei Spiele: Einmal spielte der Bremer SV, dann spielte Werder Bremen. Als ich acht Jahre alt war, nahm mich mein Vater das erste Mal mit. An diesem Wochenende spielte eine blaue Bremer Mannschaft gegen eine Hamburger Mannschaft. Die blauen Bremer verloren gegen die Hamburger mit 2:3, obwohl die Hamburger mit zehn Mann spielten. Damals durfte man sich nicht ergänzen, wenn ein Spieler verletzt war. Die blaue Mannschaft war der BSV, die Gegner waren Concordia Hamburg.
Am nächsten Tag nahm mein Vater mich wieder mit ins Stadion. Da spielte dann eine grüne gegen eine ausländische Mannschaft und gewann 4:1. Damit war für mich klar, dass ich nur noch zu der grünen Mannschaft gehen wollte. Wenn die Blauen gewonnen hätten, wäre ich vielleicht BSVer geworden.
Das Weserstadion sah natürlich ganz anders aus als heute. Damals gab es noch eine Laufbahn. Werder hatte nämlich auch eine starke Leichtathletik-Abteilung. In den Halbzeitpausen der Fußballspiele fanden sogar Wettbewerbe statt. Und wenn Fußballspiele stattfanden, stand ich immer hinter dem Zaun und habe mitgefiebert. Man muss es sich so vorstellen: Um das Spielfeld gab es einen Zaun, der etwa 1,10 Meter hoch war.
Pinkeln in den Bierbecher
Die Seite zum Osterdeich war offen, während die andere Seite, also zur Weser rüber, eine Stehtribüne war. Nur oben gab es Sitzplätze. Die beiden Seiten, Ost- und Westkurve waren offen. Ich weiß noch aus meinen Erinnerungen, dass die Leute dort standen und in ihre Bierbecher pinkelten, weil es keine Toiletten gab. Den Becher warfen sie einfach nach draußen – dorthin, wo die anderen Zuschauer ins Stadion pilgerten.
Dort am Zaun zu stehen, fand ich immer toll. Es gab natürlich auch traurige Momente. Einmal verlor Werder zum Beispiel gegen Holstein Kiel 2:1. Wenn Werder gewonnen hätte, wäre die Mannschaft in die Endrunde der Deutschen Meisterschaft gekommen. Damals gab es ja noch keine Bundesliga wie heute, sondern nur fünf Regionalligen. Die jeweils Erstplatzierten spielen die Meister aus. Das war um die Zeit zwischen 1950 und 1952. Damals war ich noch nicht Werder-Mitglied. Die Mannschaft spielte damals noch nicht ganz oben mit, das war eher der Hamburger SV. Werder entwickelte sich erst. Das wechselte eine zeitlang auch mal mit Bremerhaven 93.
Mitglied bei Werder 1955
Im Jahr 1955, als 14-Jähriger, wurde ich Werder-Mitglied. Damals wurde ich auch sehr schnell Schiedsrichter. Ich pfiff unter anderem Vorspiele zum Beispiel beim legendären Spiel Werder Bremen gegen Eintracht Frankfurt. Ich erlebte den ebenso legendären István Sztani aus Ungarn. Er stellte sich auf den Ball, nahm die Hand an die Stirn, schaute, wo seine Leute standen und spielte dann erst weiter.
Ich bin erst relativ spät zu Werder Bremen gekommen. Mein Vater schaute zwar gerne zu, doch er hatte wohl ein gespaltenes Verhältnis zum Fußball. Er sagte immer: „Da verletzt Du Dich.“ Aber meine Oma schenkte mir zu meinem Geburtstag im Dezember 1954 ein Paar Fußballschuhe. Damit war klar, dass ich zu Werder gehe. Am 4. Januar 1955 wurde ich Mitglied im Verein. Vorher hatten wir in der Straße immer gebolzt. Wir sind immer gleich nach der Schule raus zu den Vorplätzen am Weserstadion, wie sie heute noch existieren.
Ich begann meine Karriere in der Altersklasse „Schüler“. Werder hatte damals eine tolle Mannschaft, die über zwei Jahre ungeschlagen war. Damals war Werder so stark, dass der Verein drei erste Mannschaften stellte. Ich spielte in der dritten „Ersten“. Ich merkte gleich, dass es etwas Besonderes ist, in einem Verein zu sein. Es hatte mit unserer Bolzerei nichts mehr zu tun. Wir lernten zum Beispiel etwas Ordnung: Man musste zum Training kommen. Wer nicht kam, war raus aus der Mannschaft.
Die Besonderheit ist ein zweiter Punkt: Beim letzten Spiel in der „Schüler“-Altersklasse hatten wir ein Turnier. Ich spielte Verteidiger, wollte mir den Ball schnappen, wurde unterlaufen, fiel hin und brach mir den Arm. Damals, in der Nachkriegszeit um 1956, musste man mit einem Armbruch noch ins Krankenhaus. Der Arm wurde geschient und richtig doll eingegipst. Ich durfte zum Glück nach Hause. Abends klingelte es an der Haustür: Der Jugendleiter von Werder Bremen, Hermann Stoltenberg, erschien und überbrachte mir einen Urlaub mit Werder in Clausthal-Zellerfeld.
Mit 15 Funktionär
Ich selbst war völlig baff, zumal wir bis dato nie in den Urlaub gefahren waren. Mein Vater war nur ein kleiner Zollbeamter und das „Wirtschaftswunder“ hatte ja erst begonnen. Die Reise nach Clausthal-Zellerfeld fand im darauffolgenden Jahr statt. Dort habe ich erlebt was es bedeutet, in einer Gemeinschaft zusammen zu sein und Verantwortung zu übernehmen.
Was mir allerdings erst später bewusst wurde ist der Umstand, dass einiges so aufgezogen worden war, wie man im Nationalsozialismus Jugendarbeit machte: mit Disziplin, Belohnungssystem und einheitlicher Kleidung. Das Belohnungssystem sah so aus, dass man danach bewertet wurde, was man für die Gemeinschaft gemacht hatte. Und wir mussten einen Aufsatz über die Zeit in Clausthal-Zellerfeld schreiben. Ich gewann diesen Wettbewerb. In diesem Moment war ich automatisch auf der Funktionärsebene gelandet. Das war mir völlig unklar, ich war ja erst 15 Jahre alt.
Die Funktionärsebene sah so aus, dass derjenige, der dieses Lager gewann, im kommenden Jahr Lagerhelfer wurde. Da ich fußballerisch sowieso nicht so stark war, nahm ich das Angebot dankend an. Ich wurde danach gefragt, ob ich nicht auch noch Betreuer sowie später Schiedsrichter werden möchte. So kam es, dass ich schon mit 18 Jahren ein eigenes Lager leitete. Über diesen Weg bin ich in die Funktionärslaufbahn bei Werder gekommen.
Eltern wissen alles besser
Als Schiedsrichter habe ich im Kinder- und Jugendbereich keine Probleme mit den Eltern gehabt. Heute wissen sie ja alles besser als die eigenen Trainer und die Schiedsrichter. Es war alles ruhiger. Was ich allerdings erlebt habe: Ich musste ein Herrenspiel zwischen AGSV und Tura Bremen leiten. Da ging es ziemlich hoch her und dann musste ich in der letzten Minute einen Elfmeter geben – für Tura bei AGSV. Dabei hörte ich, wie einer der Spieler von AGSV sagte: „Der Schiedsrichter hat ’nen Arsch offen!“ Ich stellte ihn vom Platz und AGSV verlor. An diesem Nachmittag verzichtete ich darauf, mir im Vereinsheim vom AGSV mein Schiedsrichtergeld abzuholen.
Ich legte die Schiedsrichterlaufbahn sehr schnell zu den Akten und wurde unter Arnold Neuhaus Trainer. Unsere Ausbildung bestand damals schon aus einem theoretischen und praktischen Teil. Während der praktischen Prüfung bekam ich durch einen Zufall einen Ball genau vor die Füße und haute ihn genau oben den Knick des Tores. Damit hatte ich meine praktische Prüfung schon bestanden.
Später begann ich, bei Werder Mannschaften zu betreuen und zu trainieren – unter anderem unter Hans Lossmann, dem ersten hauptamtlichen Jugendleiter. Wir waren eine ganze Reihe junger Männer so um die 19, 20 Jahre,denen immer die unteren Mannschaften zugeteilt wurden.
Alte Säcke als Trainer
Und so machten wir eine kleine Revolution. Wir waren nämlich der Meinung, dass alle ersten Mannschaften von alten Säcken trainiert würden. Das wollten wir uns nicht bieten lassen. Also standen wir mit etwa 20 Leuten beim Vorstand auf der Matte und machten Vorschläge, wie wir uns das Training bei Werder Bremen dachten und wie wir die Mannschaftsaufteilung haben wollten. Der Amateurvorstand ließ sich darauf ein – heute würde ich sagen, er hat sich erpressen lassen, denn wir drohten mit unserem Austritt. So kam ich dazu, auch erste Mannschaften zu trainieren.
Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich nicht auch in den Vorstand wollte. Zunächst wurde ich in den Amateurvorstand gewählt. Da habe ich auch mal zwei Jahre unterbrochen, weil ich überlegte, politisch tätig zu werden. Es war zur Zeit Wilhelm Kaisens und als es darum ging, die Bundeswehr auch mit Atomwaffen auszurüsten. Damals war die „Ohne-mich-Bewegung“ sehr stark. Hinzu kam, dass ich SPD-Ortsvereinsvorsitzender war und ich den Distrikt aufbaute, wie es damals hieß. Da wohnte ich aber schon in Horn-Lehe. Aber ich habe mich schließlich doch von Werder zurückholen lassen, und das war gut so.
„Dem Verein etwas zurückgeben“
Alles in allem war das Erlebnis, wegen meines gebrochenen Arms vom Verein in den Urlaub eingeladen zu werden, so unglaublich für mich, dass ich bis heute den Gedanken in mir trage, „Du musst dem Verein etwas zurückgeben!“. Deshalb hauten mich Dinge, die ich als negativ empfand, nicht um. Zum Beispiel der Umstand, dass man mir die Leitung eines Jugendlagers in England nicht übertragen wollte.
Damals hatte ich für mich so etwas wie ein Lebensmotto in Bezug auf Werder Bremen zurechtgelegt: Erstens möchte ich dem Verein immer etwas zurückgeben und zweitens: „Wenn es Dir zu 51 Prozent Spaß macht und 49 Prozent nerven, dann bleib dabei.“ Das ist auch das, was ich heute unseren Jungen vermittele. Wirklich negative Erlebnisse hatte ich in den 40er- und 50er-ahren nicht. Ebenso wenig toll empfand ich die Aufteilung in erste und zweite Mannschaft. Ich habe immer gesagt, bei Werder geht es gerecht zu.
Mitfahrt auf dem Kohlenwagen
In Erinnerung geblieben ist mir auch eine Geschichte, die mit einem Auswärtsspiel in Bremerhaven zusammenhängt: Größere Strecken legten wir mit dem VW-Bulli eines Freundes zurück. Aber wo es ging, nahmen wir das Fahrrad, zum Beispiel zum VfB Oldenburg, aber eben auch nach Bremerhaven. Wir waren auf dem Rückweg und es wurde schon dunkel und wir kamen an ein Rasthaus. Dort unterhielten wir uns mit einem Mann, der mit seinem Laster unterwegs war. Er bot uns an, uns mitzunehmen: „Schmeißt man Eure Räder hinten rauf, setzt Euch ein bisschen eng ans Führerhaus. Dann geht das schon.“
Das war irgendwo in der Nähe von Wulsdorf. Damals gab es die Autobahn noch nicht, und man kam nur über die alte Bundesstraße B6 nach Bremerhaven. In Walle setzte uns der Mann ab. Mein Freund und ich schauten uns an: Wir waren beide völlig schwarz, denn das war ein Kohlenwagen. Zuhause wurden wir erstmal von unseren Eltern ausgeschimpft und mussten dann in die Badewanne.