Gin – warum er so beliebt ist

Gin ist eines der Getränke der Stunde: Gin-Tastings werden in jeder größeren Stadt in allen Variationen angeboten, Bars haben in der Regel eine große Auswahl. Wenn dies wie zu Corona-Zeiten nicht geht, lässt sich Gin natürlich auch gut zuhause trinken.

Von Frank Schümann

Gerade junge Leute haben das Wacholder-Getränk längst für sich entdeckt, das noch vor zwanzig, dreißig Jahren ein etwas anderes, derberes Image hatte – manche machen aus dem Gin-Trinken heute eine regelrechte Passion. Praktisch dafür: Fast täglich kommen neue Sorten auf den Markt.

Denn Gin ist eben nicht gleich Gin: Es gibt unterschiedliche Kategorien, die verschiedensten Geschmacksrichtungen, mittlerweile viele kleine Destillerien und – wie bei fast allen Produkten – die guten und günstigen einerseits und die hochwertigen und hochpreisigen andererseits. Und dann gibt es noch die große Frage: Mit oder ohne Tonic? Doch dazu später mehr.

Tim Kalbhenn in seinem Geschäft.

Tim Kalbhenn in seinem Geschäft. Foto: Frank Schümann

„Hendrick’s“ als Starter

Der große Vorteil beim Gin ist zunächst einmal die große Auswahl und die damit verbundene Vielseitigkeit des Getränks. Doch woher kommt der Hype? Tim Kalbhenn, Geschäftsführer des Bremer Unternehmens „Julius Kalbhenn, Weine und Spirituosen“, nennt die Markteinführung des „Hendrick’s Gin“ vor knapp 20 Jahren als entscheidenden Punkt: „Das war der Starter. Ohne diesen Gin hätten wir diesen Hype heute nicht. Der war schon besonders, mit Gurke, Rosenblüten, nicht so wacholderlastig. Und dann folgten andere nach, in schicken Flaschen, mit schicken Tonics dazu.“

Da habe sich dann auch die Barszene draufgestürzt, so Kalbhenn weiter: „Als Barkeeper konntest Du plötzlich ganz andere Drinks machen.“ Auch er selbst erhielt immer mehr Anfragen von Bartendern, die nach exotischen, modernen Gins gefragt haben. Der Gin sei vorher eine verstaubte Spirituose gewesen, sagt Kalbhenn heute: „Die hat man eher mit alten Damen in Verbindung gebracht. Dabei ist die Vielfalt von Gin so schön, es gibt so viele Geschmackskompositionen und Botanicals.“

Sascha Mühlenbeck gibt Tipps.

Sascha Mühlenbeck gibt Tipps. Foto: Duda

Der regionale Markt zog nach

Der Erfolg heizte dann auch den regionalen Gin-Markt an. Viele Obstbrenner kamen auf die Idee, einen eigenen Gin zu machen, so Kalbhenn weiter, der außerdem sagt: „Heute ist Gin-Tonic absolut ‚in‘ – wenn Du eine Party schmeißt, brauchst Du das, so wie früher nur Wein und Sekt.“

Gin ist gegenwärtig auch deshalb so beliebt, weil für jeden Geschmack etwas dabei ist: Es gibt sie mit erdigen Noten, dann welche mit Zitrus- oder mit fruchtigen Noten und solche, die nach Pfeffer schmecken. Es gibt jene mit Kräuternoten, mit floralen Noten und dann auch noch die besonders extravaganten mit seltenen Botanicals wie Safran. Einer von denen, die sich immer wieder mal einen leckeren Gin aufmachen, ist der 34-jährige Rafael Stiens – „ich mag den Wacholder-Geschmack und vor allem eben auch, dass man eine große Vielfalt hat“. Zu Hause hat er meistens vier bis fünf verschiedene Sorten stehen. Welches der beste Gin ist? „Der, der am besten schmeckt“, sagt er lachend; wobei das Urteil an verschiedenen Tagen auch schon mal unterschiedlich ausfallen könne.

Eine Aufststellung von Ginflaschen.

Für jeden Geschmack etwas dabei: verschiedene Gin-Marken. Foto: Schümann

Große Vielfalt

Stiens schaut regelmäßig, was es auf dem Markt gibt, probiert bisweilen auch mal auf einer Messe einen Gin aus; an einem Gin-Tasting hat er auch schon mal teilgenommen. Zur Kaufentscheidung sagt er: „Wenn man um die 40 Euro ausgibt, macht man selten etwas falsch.“ Aber zu Impulskäufen komme es auch in günstigeren Preiskategorien: „Je nach Laune kann das schon passieren, dass mich gewissermaßen einer anspringt – und dann nehme ich den mit.“ Zuhause wird dann gemeinsam mit seiner Frau Wiebke auch schon mal ein „Blind Tasting“ gemacht. Da könne es dann durchaus passieren, „dass der Zehn-Euro-Gin plötzlich viel besser schmeckt als der, der das Vierfache gekostet hat.“ Visuelle Erlebnisse, räumt er ein, hätten ihn schon einige Male mehr „gecatcht“ als das Geschmackliche. Bleibt noch die Frage: Tonic oder pur? „Pur“. Warum? „Die Süße des Tonics überdeckt oft den Gin-Geschmack – da nippe ich doch lieber am puren Gin, da kann ich ihn besser genießen.“

Auch Sascha Mühlenbeck teilt diese Haltung vom Grundsatz her: Der Gastronom und Händler kann aber auch den Tonics einiges abgewinnen – entscheidend sei eben, welcher Tonic zu welchem Gin getrunken werde. Der 42-jährige betreibt mit seiner Frau unter dem Namen „Heimathaven“ zwei Geschäfte in Oldenburg und Bremen, in denen er Manufaktur-Produkte verkauft, aber auch Tastings anbietet. Die Idee dahinter war, dass es gerade beim Gin-Genuss (und -Verkauf) vieles zu erklären gäbe – also habe man diese Tastings angeboten, so Mühlenbeck. „Wir wollten es eigentlich nur alle drei Monate machen“, sagt er, „aber die Nachfrage wurde groß und größer, so dass wir es jetzt an jedem Wochenende in Oldenburg und in Bremen machen.“ In normalen Zeiten, versteht sich.

Gin-Tastings

Tim Kalbhenn vor einem Ginregal.

Tim Kalbhenn ist Kenner, Händler und Fan vom Gin.

Mühlenbeck macht diese Tastings häufig selbst, und er weiß, wovon er spricht: Von den 60 bis 80 verschiedenen Gins, die er in seinen Läden verkauft, hat er „99 Prozent“ probiert – „aber nur in der Breite, nicht in der Menge“, lacht er, „meistens sind es nur 1-2 cl vom Gin.“ Überhaupt verkaufe er nur, was ihm und seiner Frau auch schmecke, dafür probiere er viel: „Wir versuchen die Sachen anzubieten, die man noch nicht gesehen hat, überwiegend konzernunabhängige Produkte.“

Wie Mühlenbeck bietet auch Kalbhenn Gin-Tastings an – und er hat mittlerweile sogar sehr erfolgreich seinen eigenen Gin auf dem Markt. Angefangen hat er damit vor sechs Jahren, erzählt er: „Ich war der Meinung, uns fehlte noch ein eigener Gin. Mein Opa hat früher schon einen eigenen Korn gehabt, der aus einer kleinen Brennerei aus der Lüneburger Heide kam. Die habe ich angerufen und gefragt, könnt Ihr eigentlich auch Gin? Da haben die gesagt, die ganze Lüneburger Heide ist voller Wacholder, na klar können wir!“ Die Idee sei gewesen, einen klassischen Wacholder-Gin mit etwas Zitrus und Koriander zu machen, so Kalbhenn weiter: „Daraus wurde dann der Tim Gin, rückwärts gelesen MITNIG, davon haben wir mittlerweile fünf Geschmacksrichtungen. Der Beliebteste ist der schwarze Tim Gin Black mit 45 Prozent, der schmeckt fast allen, weil er so unkompliziert ist – und er ist auch nicht teuer, das kommt auch dazu.“ In seinem Geschäft bietet der Händler aber auch eine Box mit anderen Bremer Gins an.

Sacha Mühlenbeck erklärt die Kultur des Gin und hält dabei die Arme hoch.

Sacha Mühlenbeck erklärt die Kultur des Gins.

Mit oder ohne Tonic?

Zur Frage Tonic oder Pur sagt Kalbhenn: „Ich glaube, dass der Gin heute zu 95 Prozent im Tonic landet. Weil die Gins so modern geworden sind und nicht mehr so kratzig, kann man ihn aber gut auch als Digestif nehmen. Ein paar Kunden habe ich, die das so machen, aber die meisten trinken ihn doch mit Tonic. Allerdings: Um dem Gin auf die Spur zu kommen, musst du ihn immer erst mal pur trinken. Dann schmeckst du raus, wie sauber er destilliert ist.“

Grundsätzlich unterscheidet man den Gin in die Kategorien Gin, Destillierter Gin und London (dry) Gin. Darüber hinaus gibt es weitere Kategorien wie Old Tom Gin und fassgereiften Gin, die aber lebensmittelrechtlich nicht definiert sind. Zudem müsse man, wie Sascha Mühlenbeck erklärt, in der Kategorie London (dry) Gin unterscheiden zwischen Handwerk und Industrie – die Unterschiede seien teils immens, die Möglichkeiten auch. Vieles habe sich im Laufe der Jahre geändert: „Früher war es so, dass ein Gin unbedingt eine bestimmte Menge Wacholder enthalten musste, um ein Gin zu sein“, sagt Sascha Mühlenbeck, „heute wird sogar ein Himbeergeist mit drei Noten Gin schon dazugerechnet“.

Bei seinen Gin-Tastings ist Mühlenbeck die Wissensvermittlung sehr wichtig – allerdings passiert dies bei ihm meistens in spielerischer Form. „Die Gins, die wir anbieten, sind sehr unterschiedlich, und die Tomics sind es auch, manches ist super speziell. Ich will einfach zeigen, was der Gin alles kann!“ Das Verrückte sei, so Mühlenbeck weiter: „Viele Gin-Trinker mögen eigentlich gar keinen Wacholder – sie mögen aber die Tonics.“ Entsprechend müsse man ihnen zeigen, welcher Tonic zu welchem Gin passe. So kann es bei ihm durchaus mal die Tagesaufgabe sein, Gins mit drei verschiedenen Tonics zu probieren. Sein Credo: „Es gibt viel Schönes, man muss nur nach links und rechts gucken“.

„Der Rahmen ist wichtig“

Bei der Geschmacksempfindung spiele übrigens auch immer der jeweilige Rahmen eine Rolle, und was man gegessen habe. Außerdem: „Wir lassen uns auch vom Kopf den Geschmack vorschreiben“, so der Gin-Experte weiter. „Damit experimentiere ich auch gerne: Wenn ich sage, das ist eine bestimmte Fruchtnote wie etwa Himbeere oder Pfirsich, dann glaubt man mir das – es kann aber eine völlig andere drin sein.“ Zu dieser Einschätzung kommt übrigens auch Rafael Stiens: „Es ist schon spannend, wenn man bei der Blindverkostung eine Note nicht mehr schmeckt, von der man vorher überzeugt war, dass man sie schmecken würde.“