Fußbruch beim Open Air in Bruchhausen-Vilsen

Erinnerungen an ein bemerkenswertes Festival: Rory Gallagher, James Brown, Udo Lindenberg und die Pogues spielten dort – Sechs Auflagen zwischen 1983 und 1988.

Von Frank Schümann und Andree Wächter

Die Erinnerung ist noch sehr lebendig. Mit zwei Wagenladungen musikbegeisterter Freunde sind wir in einen Ort gefahren, der… wie noch einmal hieß? Ach ja, Bruchhausen; Bruchhausen-Vilsen. Ich weiß noch, wie wir in meinem alten Käfer Witze darüber machten, als wir dahin fuhren – BRUCHHAUSEN? Wer sich wohl was bricht? Und das Gelände suchten. Uns erst einmal verfuhren. Dann aber auch schon die Horden (für damalige Zeiten) sahen, die Horden, die zum Ort des Geschehens pilgerten, in ihren bunten Pullis, Palästinenser-Tüchern, Karo-Hemden und angeranzten Lederhosen. Okay, es war zwar Anfang Juni, aber es war kalt.

„The Mission“ sollten dort spielen, die in unserer Clique gerade angesagt waren. Kaum dort angekommen, erfuhren wir: „The Mission“ spielten nicht, Krankheitsfall in der Band. Die Gesichter meiner Freunde verzogen sich, meines kam aber nicht bis ganz nach unten, denn im gleichen Atemzug hieß es: „The Pogues“ spielen als Ersatz!

Festival-Feeling beim Bruchhausen-Open-Air 

Ich jubilierte, denn ich hatte diese verrückten Iren in den vergangenen Monaten rauf und runter gehört, ihre zweite Platte „Rum, Sodomy and the lash“ war kurz zuvor herausgekommen; ich schrie laut auf und spielte eine sehr schlechte Luftgitarre. Dabei stieß ich jemanden versehentlich in die Hüfte, der sich – viel später – als Hannah vorstelle; da wurde es dann auch nett. Erst einmal war sie aber nur sauer. Sie fuhr mich an, „pass doch auf“, rief sie, ich sagte, „ey, tut mir leid, die Pogues spielen hier, die Pogues“, und sie: „Ja scheiße, die spielen hier, weil The Mission nicht kommen. Ist doch kacke.“

Die gerade erwachte Sympathie war sofort wieder weg. Wir starrten uns feindselig an, ehe ein Freund von ihr die Situation rettete – oder zumindest änderte: „Peace“, sagte ein langhaariger, hagerer Mensch mit Nickelbrille und einer Selbstgedrehten im Mundwinkel, und pustete lässig Rauch zwischen uns hindurch. „Bier?“, fragte er? Wir nickten. Und er holte welches.

So war das damals, in Bruchhausen-Vilsen. Mitte der 80er-Jahre.

Festivals damals: Ganz andere Dimensionen

Schnitt. Bruchhausen-Vilsen? Festival? Wer sich jetzt genau diese Frage stellt, weil er davon noch nichts gehört hat, hat nichts falsch gemacht – denn so groß war dieses Festival nie. Niemand,  der damals dabei war, hätte jemals von den Dimensionen geträumt, wie sie sie 25 oder gar 35 Jahre später beim Rock am Ring oder auch nur beim Hurricane oder Southside Festival normal waren. Aber damals war es besonders – und die, die dabei waren, denken bis heute gerne daran zurück. Weil sie jung waren. Und weil die Festivals – gemessen an ihrer Zeit – tatsächlich gut waren.

Los ging es Anfang der 1980er-Jahre. Damalige Festivals wären heute nicht mehr denkbar, jeder TÜV-Prüfer würde das Gelände sofort schließen lassen. Die Anforderungen an Technik und Sicherheit waren gänzlich anders als heute.

Wer alles beim Open Air spielte!

Zwischen 1983 und 1988 fanden sie statt, diese Festivals, jeweils zu Pfingsten. Und wer da alles spielte! Unvergessen die Auftritte von Rory Gallager, der gleich zweimal da war, 1983 und 1986; auch die Blues-Legende Eric Burdon gab sich die Ehre, ebenso Mothers Finest, Uriah Heep und nicht zuletzt der große James Brown. 1986 war es, als der Godfather of Soul in Bruchhausen-Vilsen zu Gast war – und bis heute erzählt man sich die legendäre Geschichte, wie er sich mit einem Hubschrauber in das nächste Dorf fliegen ließ (unten mehr).

Natürlich war auch die damalige Creme de la Creme aus deutschen Landen dabei – Heinz Rudolf Kunze (1984), die jungen Ärzte (1986), die jungen Toten Hosen (1987), Herwig Mitteregger (1986), Purple Schultz (1987), die Rodgau Monotones (1985) und Udo Lindenberg. Letzterer kam 1988 – noch nicht ahnend, dass dies das letzte Festival an diesem Ort sein sollte. Das Linie-Up war in diesem Jahr größer denn je: Neben Udo waren Uriah Heep, Mitch Ryder, Golden Earring und die Jule Neigel Band dabei, insgesamt waren es 25 Acts – im Vergleich zum Line-Up vom ersten Mal hatte sich die Besetzung – rein quantitativ – fast verfünffacht. Und trotzdem war es das letzte Mal.

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Kein freier Platz mehr vor der Bühne beim Bruchhausen-Open-Air. Screenshot: Wächter

Das Festival war zuvor in Sulingen angesiedelt gewesen. Nach dem zweiten Jahr wurde es dort allerdings verbannt und fand in Bruchhausen-Vilsen eine neue Heimat. 1983 und 1984 fand das Festival auf dem damaligen Autokino-Gelände statt, dort, wo sich heute Neubauwohnungen befinden. Auf den angrenzenden Wiesen stand dagegen ausreichend Camping- und Parkfläche zur Verfügung. Ab 1985 wechselte das Open Air die Straßenseite – fortan fand es komplett auf den Bereichen nördlich der L202 zwischen Bruchhausen-Vilsen und Berxen statt. 1987 zog das Festivalgelände noch etwas weiter Richtung Bruchhöfen und 1988 wurde das letzte Bruchhausen-Festival nördlich der Kreisstraße 129 zwischen Bruchhausen-Vilsen und Bruchhöfen veranstaltet.

Wirtschaftsfaktor Festival – trotzdem Schluss

Nach sechs Jahren war Schluss. Hermann Koppe, damals im Rathaus als Ordnungsamtsleiter, erinnert sich: „Der Rat hat immer hin- und her diskutiert. Als man merkte, dass das Festival durchaus ein wirtschaftlicher Faktor für den Ort ist, weil die Besucher dort einkauften, wollte man an der Veranstaltung festhalten.“ Bis zu 15.000 Besucher kamen an den Festivalwochenenden in die damals rund 5.200-Seelen-Gemeinde. Dann haben aber die Grundstückseigentümer ihre Wiesen nicht mehr zur Verfügung stellen wollen, und es gingen die Lichter aus.

Doch die Zeit Mitte der 80er-Jahre wird für alle Beteiligten in Erinnerung bleiben. Die vermutlich bekannteste Anekdote ist dabei die von James Brown: 1986 kam der Godfather of Soul aufs platte Land. Immerhin war es in dem Jahr sein einziger Gig in Deutschland. Vor dem Auftritt musste er auf die Toilette – und weigerte sich, auf ein Dixi-Klo zu gehen. Was darauf passierte, ist bis heute legendär und nicht nur in Bruchhausen-Vilsen eine gerne gehörte Geschichte aus früheren Zeiten:  Die Macher organisierten ein Taxi und ließen den Musiker zur Pizzeria von Guiseppe Frosinini bringen. Der Betrieb war damals eine der nobelsten Pizzerien im norddeutschen Raum; es gibt die Pizzeria übrigens heute noch, allerdings mit neuem Besitzer.

Festival-Feeling in den 80er-Jahren. Das Foto stammt nicht aus Bruchhausen-Vilsen, sondern aus Wildeshausen. Repro: Schümann

So ging Open Air in den 80er-Jahren. Das Foto aus Wildeshausen. Repro: Schümann

Organisiert hat das Bruchhausen-Festival die Syker Festival Initiative (SyFI). 1988 übernahm die Firma Direkt Konzerte das Zepter. Ab dann firmierte es unter den Namen Bruchhausen-Open-Air. Es rankten sich bis heute diverse Gerüchte um das letzte Bruchhausen-Open-Air, in denen es im Kern immer ums liebe Geld ging. Bis jetzt konnten wir die Gerüchte allerdings weder bestätigen noch entkräften.

Nach dem Zapfenstreich verschwand Bruchhausen-Vilsen von der Festival-Landkarte und teilte damit das Schicksal von Sulingen ein paar Jahre zuvor. Doch mittlerweile sind beide Kommunen wieder als Festivalstandorte auf der Landkarte verzeichnet: Sulingen hat inzwischen das Reload, Bruchhausen-Vilsen hat sich festivaltechnisch von der Rockmusik abgewandt und zum Elektrobereich hin entwickelt. Seit 2016 gibt es das Hill of Dreams. Pikante Parallelität: Auch dieses Festival zog schon um, von Süstedt nach Ochtmannien.

Erinnerungen und Anekdoten ans Festival

Was die Rockfans mit Bruchhausen-Vilsen verbindet, ist der Blick in die Vergangenheit – und viele, viele unvergessliche Aufritte, Erlebnisse und Anekdoten. So wie damals, im Jahre 1987: Hatten wir bei unserer Ankunft noch über den Namen des Ortes unsere Witze gemacht (siehe oben), sollte ich später am Abend höchstpersönlich erfahren, wer sich was bricht. Hautnah. Bei meiner Lieblingsband, natürlich, „The Pogues“. Ich war ohne meine Leute, die meine Irland-Leidenschaft nicht teilten, vor der Bühne; zu Beginn des Konzertes war da noch sehr viel Platz, also ging ich da auch hin. Das sollte ich kurz darauf bereuen.

Als Shane MacGowan mit einem Bier in der Hand die Bühne betrat und zu singen begann, war noch alles gut, auch noch, als die Band „Dirty Old Town“ anstimmte. Gleich anschließend waren aber die wilden Klänge von „Sally MacLennane“ zu hören – und es gab kein Halten mehr. Von rechts, links, von überallher kamen Menschen angerannt, laut mitsingend, und bevor ich mich versah, war ich mitten im Pogo-Zentrum – und voll dabei. Wäre ja vielleicht ganz schön gewesen – aber dummerweise knickte ich um und riss ein paar der wilden Poger mit mir mit; und da lag ich nun, im Matsch. Denn natürlich war auch dieses Festival nicht gerade vom Wetterglück verwöhnt, es hatte ordentlich geregnet. Ich merkte sofort: Mist, da war was kaputt, am linken Fuß.

Doch zunächst einmal musste ich die Menschen loswerden, die auf mir drauf lagen, was nach einiger Zeit gelang. Irgendwie schaffte ich es in mein Zelt, und ich erinnere mich daran, dass der Abend dennoch ganz schön wurde. Am nächsten Morgen ließ ich mich von den Sanis verarzten, die mich ins Krankenhaus schicken wollten, was ich natürlich ablehnte; mir wurde ein Fußbruch diagnostiziert, ich bekam einen schicken Gips und einen Krückstock, und das Festival konnte weitergehen.

Dann kam der Sturm…

So wie es immer weiterging, insgesamt sechs Jahre lang – und dann leider nicht mehr. Was bleibt, ist die Erinnerung – wenngleich die natürlich auch immer sehr subjektiv ist. Beim Schreiben des Textes versuchte ich, mich an die Konzerte von Stanley Clarke und Johnny Guitar Watson zu erinnern, an die ich mich laut Setlist erinnern hätte müssen – und stimmt, plötzlich meinte ich mich zu erinnern. Bis mir Freund Hartmut sagte, der ebenfalls dabei war: „Weißt Du nicht mehr? Die beiden Gigs sind doch ausgefallen, weil es so stürmte – der letzte Festival-Tag wurde abgebrochen, und wir fuhren früher nach Hause.“

Ach ja… So ist das, mit den Erinnerungen. Und so war das, mit den Festivals in den 80er-Jahren. Trotzdem – schön.

Das Line-Up von sechs Jahre Open Air

1983 – 25./26. Mai
Mother’s Finest, Rory Gallagher, Grobschnitt, Fee, Direkt

1984 – 10./11. Juni
Dr. Feelgood, Edo Zanki, Wolf Maahn und die Deserteure, Heinz-Rudolf Kunze, Eberhard Schöner, Vitesse, Tri Atma, Gruppo Sportivo, Die drei Tornados, Tri Atma, Foot Loose

1985 – 26./27. Mai
Eric Burdon & Band, Jamaica Papa Curvin, Blues Company, Rodgau Monotones, Tribute, Pete York, Colin Hodgkinson und Brian Auger, Fex, George Kranz

1986 – 17. bis 19. Mai
James Brown, Rory Gallagher, Lake, Herwig Mitteregger, Dissidenten, Die Ärzte, Curt Cress und der apocalyptische Feuertraum, Channel 5, Tribute, Toshinori Kondo, Children of Nanid feat. Papa Curvin, The Horns feat. Blues Co., The Heat, Kaptain Koma, Impuls, Second Connection, Kulturschock, Crystal Lake, Va Bene, Seven, Lal Shankar, Jayhawks, 23rd Space, Massay Ferguson Band, Bell, Karen Kay, Big Bum Bum

1987 – 6. bis 8. Juni
The Pogues, Georgie Red, Victory, Allan Holdsworth, Phillip Boa and the Voodoo Club, Die Toten Hosen, Purple Schulz, Theatre du Pain, Jocco Abendroth, The New York Brandos, Mint, Commando M Pig, IQ, Hobman, Madam I’m Adam, Booze Band, Phönix, Cococzynscy, Etranger, Two Voices, Sister Huber, Impuls, Berlinda Crash. (Die Konzerte von Johnny Guitar Watson und Stanley Clarke fielen einem Sturm zum Opfer).

1988 – 21. bis 23. Mai
Udo Lindenberg und das Panik Orchester, Uriah Heep, Golden Earring, Herman Brood & His Wild Romance, Mitch Ryder, Burning Spear, Osibisa, Jule Neigel Band, Flatsch, Supercharge, Eisi Gulp, Steeler, Shadows in the Dark, Zwillinge & die Blechgäng, Herzblut Xylonite, Two Voices, Vital Scream, Alm Arta, Stormage, Lozenge, Sermon, Spätschicht, Fucking Kius Band, Die Pilgerväter, Wise Trash Blues Band, Trio Farfarello

Damals hörte man seine Lieblingsmusik auf Schallplatte oder Musikkassette. Mit Schallplatten kennen sich Volker Sieberg und Norbert Fecker aus.