Ganz leere Kassen
Die Lage der Traditionsschifffahrt ist durch die Corona-Pandemie ziemlich dramatisch. Deshalb gibt es Überlegungen zur Gründung einer Landesstiftung.
Von Ulf Buschmann
Der Himmel ist an diesem Nachmittag verhangen. Dicke graue Wolkenfelder ziehen ihre Bahnen. Für ein Foto ist das Licht eher grenzwertig. „Da müssen wir in Richtung See fahren, dort ist der Himmel blau“, sagt Eugen von Abel schmunzelnd. Seine Worte drücken ungewollt so etwas wie Hoffnung und Zustandsbeschreibung gleichermaßen aus: Zurzeit ist die Lage mies, aber es deuten sich bessere Zeiten an.
Hoffen – das können Menschen wie Eugen von Abel im Augenblick nur. Der Bremerhavener ist Vorsitzender der Schiffergilde Bremerhaven. Der Verein betreibt zwei Wasserfahrzeuge mit Zulassung als Traditionsschiff: die „Astarte“ einen Finkenwerder Fischkutter, und das Helgoländer Börteboot No.3. Beide schwimmen zwar an ihrem Platz im Neuen Hafen Bremerhaven zwischen Klimahaus und Deutschem Auswandererhaus. Doch mehr ist nicht drin.
106 Traditionsschiffe
Wie die „Astarte“ und das Börteboot sind fast alle der in Deutschland laut zuständiger Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr zugelassenen 106 Traditionsschiffe seit einem Jahr nicht mehr gefahren. Der Grund dafür sind die Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie. Entsprechend leer sind die Kassen der Betreibervereine. Von einer „kritischen Lage auf der Einnahmeseite“ spricht denn auch Christian Bubenzer, Sprecher der Dienststelle Sicherheit der BG Verkehr.
„Die Fahrten sind alle auf Null. Wir haben keine Einnahmen“, stellt es Ingo Daul plastisch dar. Er ist Vorstandsmitglied der Schiffahrts-Compagnie Bremerhaven und kümmert sich um den Betrieb des 1938 bei den Oder-Werken Stettin gebauten Dampf-Eisbrechers „Wal“. Auch die 1960 bei Schürenstedt in Bardenfleth gebaute Barkasse „MS Quarantäne“ gehört der Schiffahrts-Compagnie.
Ebbe auf den Konten
Nicht nur in Bremerhaven droht allen Traditionsschiff-Betreibern der Untergang – ganz oder teilweise. „Unser Konto ist platt“, fasst es Manfred Mannot zusammen. Er ist Schriftführer der Carolinensieler Schiffergilde und Schiffsführer der dort beheimateten „Gebrüder“. Am Beispiel des im Jahr 1929 in Oldersum gebauten Kutters, den die Schiffergilde betreibt, der jedoch der Nordseebad Carolinensiel-Harle GmbH gehört, wird der Ernst der Lage deutlich: Nach Angaben von Manfred Mannot unternehmen die ausschließlich ehrenamtlich tätigen Besatzungsmitglieder rund 40 Fahrten mit jeweils 20 Gästen pro Saison. „Ohne Corona ist das Schiff immer voll. Dann gibt’s an Bord keinen Platz mehr“, sagt er.
Spenden für die Kogge
Auch in Bremerhaven erfreuen sich die Traditionsschiffe normalerweise eines großen Andrangs. Tagestörns auf der Außenweser, Vermietungen für Familienfeiern mit oder ohne Rundfahrten, Hafenrundfahrten – alles findet sich im Programm der Vereine wieder. Einer der Blickfänge an der Wesermündung ist auch die „Ubena von Bremen“. Der Nachbau des historischen Schiffes wird vom Verein Hanse-Koggewerft betrieben. Dieser kann sich zurzeit dank großzügiger Spenden im vergangenen Jahr über Wasser halten. So schreibt es Schatzmeister Rolf Frassa in Ausgabe 27 des Vereinsmagazins „Kogge-Brief“.
Davon träumen ebenso die Betreiber der Traditionsschiffe einige Kilometer flussabwärts in Vegesack. Im Hafen des Bremer Stadtteils sind die BV 2 „Vegesack“ und die „Verandering“ vertäut. Das dritte Traditionsschiff im Hafen, die „Franzius“, Nachbau eines Weserkahns, liegt zurzeit mit größeren Schäden in der Werft. Die „Vegesack“ ist ein ehemaliger auf dem Bremer Vulkan gebauter Heringslogger und wird von einer aus dem Verein MTV Nautilus hervorgegangenen Betreibergesellschaft gefahren. Die „Verandering“ gehört der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK).
Unterwegs auf Nord- und Ostsee
Die „Vegesack“ ist in den Sommermonaten weniger auf der Weser, sondern mehr auf Nord- und Ostsee unterwegs. Doch davon kann Skipper und Betreibergesellschaft-Geschäftsführer André Hübner im Augenblick nur träumen. „2020 sind sämtliche Events ausgefallen“, beschreibt er die „bescheidene“ Lage für die Traditionsschiffe. Lediglich bei der Kieler Woche im vergangenen Jahr habe es einen Törn mit zehn Leuten an Bord gegeben.
Immerhin sei die GmbH nicht in die Insolvenz gerutscht, ist André Hübner zufrieden: „Die Coronahilfen haben 2020 geholfen.“ Das Geld in Höhe von einer Million Euro hatte der Bremer Senat im Juni vergangenen Jahres als Überbrückungshilfe 1 zur Verfügung gestellt. Für die „Verandering“ hat die BEK ihren eigenen Schutzschirm aufgespannt.
Neue Saison ab Mai?
Wie es weitergeht, weiß aus den Reihen der Traditionsschiffer zurzeit niemand. Normalerweise geht die Saison im März los, aber vor Mai tut sich wohl nichts. Das zumindest vermutet Martin Mahlstedt, Projektleiter der BEK für die „Verandering“. Dabei wird es kritisch für die Vereine. „Was wir als Einnahmen reinfahren, brauchen wir für den laufenden Betrieb“, sagt Günter Prahm, Vorsitzender des Vereins Schipper Klotje Leer, der mehrere Traditionsschiffe unter seinem Dach vereint.
Doch es sind nicht nur die laufenden Kosten, die es zu stemmen gilt. Eine ganze Reihe von Traditionsschiffen muss dringend modernisiert werden. Entweder entsprechen sie nicht mehr den geltenden Sicherheitsanforderungen oder ihre Technik braucht ein Update – so etwa der Dampf-Eisbrecher „Wal“ in Bremerhaven. Das Schiff benötigt laut Ingo Daul neue Kesselrohre. Die Kosten dafür beziffert der Schiffahrts-Compagnie-Mann auf rund zwei Millionen Euro.
20-Millionen-Förderprogramm
Nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist die Modernisierung vieler Schiffe ein Thema. Geschieht dies nicht, bekommen die Traditionsschiffe kein Sicherheitszeugnis und dürfen nicht mehr fahren. Da die notwendigen Umbauten und Ergänzungen weder von den Eignern noch Betreibern der Traditionsschiffe bezahlt werden können, hat das zuständige Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) nach monatelangen Diskussionen über die neue Sicherheitsrichtlinie im Jahr 2018 ein Förderprogramm aufgelegt.
Bis zum Jahr 2023 stehen 20 Millionen Euro für „Erhalt und sicheren Weiterbetrieb der Traditionsschifffahrt“ zur Verfügung, wie es heißt. Allerdings hat die Sache einen Haken: Seit das Programm 2019 in Kraft trat, sind erst sechs Anträge bei der verantwortlichen Behörde, der Bundeanstalt für Verwaltungsdienstleistungen (BAV), eingegangen.
„Dafür braucht man einen Bachelor für Verwaltungslehre“
Von den sechs Begehren seien nur vier genehmigt worden, erklärt Nikolaus Kern. Er ist Schatzmeister und Geschäftsstellenleiter der Gemeinsamen Kommission für Historische Wasserfahrzeuge (GSHW). Nikolaus Kern nennt den Grund dafür, dass bislang so wenig Anträge bei der BAV eingegangen sind: extrem hoher bürokratischer Aufwand. „Dafür braucht man einen Bachelor für Verwaltungslehre“, fügt er
an.
Um mehr Traditionsschiffern die Möglichkeiten des Förderprogramms aufzuzeigen, habe es am 20. Januar eine Infoveranstaltung der BAV und der BG-Dienststelle Schiffssicherheit gegeben, teilt ein Sprecher des BMVI mit: „Trotz einer Einladung an jeden einzelnen Eigentümer eines Traditionsschiffes ist der Termin ebenso wie die Förderung bislang nur auf geringes Interesse gestoßen.“
Zukunft im Nebel
Trotzdem treibt viele Traditionsschiffer die Sorge um, wie es langfristig weitergeht. Ideen gibt es einige, doch mehr als laut darüber nachgedacht worden ist bislang noch nicht. Seitens der GSHW, laut ihrer Webseite „Dachverband für deutsche Traditionsschiffe in Fahrt“, hat es kürzlich Überlegungen gegeben aus dem 20-Millionen-Fördertopf einen Rettungsschirm für die Traditionsschifffahrt zu machen.
Damit sei der Verband noch nicht „in den politischen Raum vorgestoßen“, erklärt Heiko Kern. „Diese Überlegungen sind dem BMVI nicht bekannt“, heißt es denn auch aus Berlin. Hinzu kommt, dass diese Idee ins Leere laufen wird. „Die Mittel sind zweckgebunden und dürfen ausschließlich für die Umrüstungsmaßnahmen verwendet werden“, meint der Bremerhavener SPD-Bundestagsabgeordnete Uwe Schmidt.
Kommt eine Bremer Landesstiftung?
Der Sozialdemokrat soll es auch richten, die chronischen Geldsorgen der Traditionsschiffer zumindest im Land Bremen zu beenden. Die Idee: Das kleinste Bundesland errichtet eine Stiftung zu diesem Zweck. Darauf kam Rolf Noll, Vorsitzender des Vereins Kutter- und Museumshafen Vegesack. Er weiß: „Wir brauchen unbedingt Geld zum Erhalt der Schiffe.“ Doch Geld dafür wird es vom eigentlich zuständigen Bremer Ressort für Wissenschaft und Häfen von Senatorin Claudia Schilling (SPD) nicht geben. Ihr Sprecher Sebastian Rösener verweist in Sachen Traditionsschifffahrt auf die Verantwortlichkeit des Bundes. Gleiches tut das niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung.
Weil also von beiden Bundesländern nichts bis nicht viel zu erwarten ist, soll Uwe Schmidt das notwendige Geld für Projekte besorgen. Das Land beziehungsweise die Stadtgemeinde Bremen und die Stadt Bremerhaven geben lediglich ihre Namen – beziehungsweise die ihrer Bürgermeister und Oberbürgermeister, Andreas Bovenschulte und Melf Grantz, als Schirmherren. Bei den Traditionsschiffern würde dieses Vorhaben garantiert auf Wohlwollen stoßen. Wenn es eine gesicherte Finanzierung gäbe, „kann man ganz anders planen“, ist Eugen von Abel von der Bremerhavener Schiffergilde überzeugt. Immerhin gehe es hier um das maritime Erbe der gesamten Nord- und Ostseeküste. Er und Ingo Daul mahnen weitere Unterstützung an – im Bereich Marketing zum Beispiel.
Hamburger Stiftung Maritim
Als Beleg dafür, dass eine Stiftung funktioniert, lohnt der Blick an die Elbe. Dort gibt es seit dem Jahr 2001 die Stiftung Hamburg Maritim. Sie kümmert sich nicht nur um die Traditionsschiffe, sondern auch um die historischen Hafenanlagen. Die Aufgabe der Stiftung ist es, nach Auskunft von Sprecherin Anne-Merle Wulf, das maritime Erbe der Stadt zu bewahren. Dafür gibt es vor allem ein Rezept: „Die Schiffe sollen fahren.“ Dafür garantieren außer der Stiftung als Dachorganisation jeweils ein eigener Betriebsverein je Schiff.
Vor allem jetzt, in der durch die Corona-Pandemie verursachten Krise, seien die Hamburger Traditionsschiffe durch die Stiftung geschützt, erläutert Anne-Merle Wulf. Auch sie bezeichnet die Lage an der gesamten deutschen Küste als „dramatisch“. Für Hamburg indes kann sie die Situation auf „bedauerlich“ herabstufen. Im Gegensatz zu anderen Regionen, wo die Traditionsschiffer mit dem Rücken zur Wand stehen, ist an der Elbe „bis zur Wand noch Luft“.
„Maritime Tradition an der Küste ist eine andere als auf dem Königssee.“
Im Übrigen macht auch Christian Bubenzer von der BG Verkehr klar: „Wir sind nicht daran interessiert, dass die Traditionsschiffe verschwinden. Das ist unser maritimes Kulturgut.“ Das, ist Uwe Schmidt überzeugt, „muss in die Zukunft überführt werden.“ In Anspielung auf das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium kalauert er: „Maritime Tradition an der Küste ist eine andere als auf dem Königssee.“
Was ist ein Traditionsschiff?
Traditionsschiffe sind etwas Besonderes – sozusagen. Jedoch: Nicht jedes Fahrzeug, das da über Flüsse und Meere tuckert und alt aussieht, ist auch ein Traditionsschiff. „Nach deutschem Recht sind Traditionsschiffe historische Wasserfahrzeuge, an deren Präsentation in Fahrt ein öffentliches Interesse besteht“, heißt es dazu auf dem Portal „Deutsche Flagge“, ein Angebot der BG Verkehr. Laut Schiffssicherheitsverordnung ist ein historisches Schiff beziehungsweise ein Traditionsschiff ein „hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebautes Schiff, das aufgrund seiner Bauart, seiner Konstruktion, seines ehemaligen Nutzungszwecks und seiner Seltenheit erhaltenswert ist und das im Wesentlichen dem Originalzustand zum Zeitpunkt seines Baus oder zu einem späteren für das Schiff während seiner wirtschaftlichen Nutzungsperiode historisch bedeutsamen Bauzustand entspricht“. Auch der Nachbau eines dokumentierten Schiffstyps und ein Segelschulungsschiff kann die Zulassung als Traditionsschiff bekommen. Weitere ausführliche Informationen gibt es auf dem Portal „Deutsche Flagge“.