Der erste Eindruck zählt

Wenn ein weitgereister Mensch wie John Will von außen auf seine Heimatstadt Bremen blickt – Kritik und Reaktionen.

Von Frank Schümann und Ulf Buschmann

Der erste Eindruck zählt: wie beim Menschen, dem wir begegnen, ist es auch mit den Ländern und Städten so, die wir besuchen. John Will, ein gebürtiger und überzeugter Bremer, hat schon sehr viele Länder bereist: 81 sind es bis heute, darunter die USA, Kanada, Kuba, Island, Thailand und Malaysia – alleine im Jahr 2019, im Jahr 2020 ging ja aus den bekannten Gründen nicht viel. So hat es durchaus Gewicht, wenn er sagt: „Der erste Eindruck von Bremen ist nicht gut.“ Wir haben ihm gründlich zugehört, anschließend auch die Stellen in Bremen befragt, wie ihre jeweilige Meinung zu den Kritikpunkten ist – diese Meinungen finden Sie am Ende dieses Textes.

Doch zurück zu John Will. Kaum hat er’s ausgesprochen, möchte er es am liebsten wieder zurücknehmen: „Ich liebe diese Stadt, ich wünsche ihr wirklich nichts schlechtes“, sagt er. Aber genau deshalb tue es ihm auch so weh, was er sieht: „Gerade im internationalen Vergleich muss man schon konstatieren, dass wir da in Bremen nicht wirklich mithalten können.“

Bremer Hauptbahnhof mit Losständen im Vordergrund.

Der Hauptbahnhof sollte für Reisende die Visitenkarte sein, findet John Willl. Foto: Ulf Buschmann

Der Bremer Hauptbahnhof

Beispiel Hauptbahnhof: „Das fängt schon damit an, dass wir hier auf einigen der wichtigsten Verbindungen in den ältesten Zügen überhaupt sitzen“, sagt Will: „Andere Bundesländer sind da schon deutlich besser an das ICE-Netz angebunden.“ Ist man angekommen, habe man gleich mehrere Probleme: So sei kein Car-Sharing per App buchbar, Europcar oder Sixt würde es zwar geben, aber auch nicht direkt am Bahnhof. „Das ist schon sehr ‚old school‘ und definitiv nicht mehr zeitgemäß“, sagt Will. Hinzu käme: „Wenn man einen Perspektivwechsel vornimmt und sich in einen Urlauber, Geschäftsmann oder Investor hinein denkt – was erwartet der, wenn er in die Stadt kommt? Neben einer hilfreichen Infrastruktur doch mindestens, dass es gepflegt und einladend ist!“ Doch auch dies sei in Bremen sehr oft leider nicht gewährleistet.

„Ein Hauptbahnhof ist doch die erste Visitenkarte einer Stadt“, so der 52-Jährige: „Und wenn die schon nicht einladend wirkt, wird es in der Regel auch schwierig, das wieder einzufangen. Das gilt für Touristen und Geschäftsreisende gleichermaßen.“ Will hat einen geschulten Blick, gerade was Vor- und Nachteile hinsichtlich der Wirtschaftskraft einer Stadt betrifft. Als Inhaber einer Kommunikations-Agentur hat er Kunden in Monaco, in Miami oder auf den Seychellen, speziell im Kreuzfahrtbereich kann er auf sehr viele Kontakte verweisen – und auf entsprechenden Informationsaustausch. „Man stellt selbst Vergleiche an, hört aber auch so einiges, was einem als Bremer das Herz bluten lässt.“

Bremen, Platz vor dem Übersee-Museum

Einer der Problembereiche aus John Wills Sicht: der Platz vor dem Übersee-Museum. Foto: Ulf Buschmann

Der Platz vor dem Übersee-Museum

Und manche Dinge stoßen ihm selbst immer wieder auf: Über den Zustand des Platzes vor dem Übersee-Museum wolle er gar nicht viele Worte verlieren, „das sieht ja jeder“; natürlich seien gerade in diesem Bereich die sozialen Probleme sichtbar, wobei er die Bemühungen der Verantwortlichen nicht diskreditiert wissen will.

Aber dennoch: „Wenn ich zum Beispiel im nur 55 Bahnminuten entfernten Hannover am Bahnhof ankomme, habe ich dort kein permanentes Hundeklo vor der Nase wie in Bremen.“ Man fühle sich stets willkommen in Hannover, von Bremen könne er das nicht immer sagen. Hat die Errichtung des City-Gates denn in diesem Bereich denn schon etwas bewirkt? „Ja“, sagt Will, „es ist optisch ein enormer Schritt und wertet das Entree enorm auf“.

Kein Wegweiser durch die Innenstadt

Bremer Stadtmusikanten

Die Bremer Stadtmusikanten. Foto: Schümann

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Innenstadt: „Man weiß überhaupt nicht, wo man lang gehen muss, wenn man die Stadtmusikanten oder den Schnoor sehen will – die Tourismusmagneten sind überhaupt nicht miteinander verknüpft, und man findet sie auch schwer, wenn man die Stadt nicht kennt.“

John Will

John Will. Foto: Geisler

Und noch etwas vermisst er: Einfallsreichtum und Kreativität im Umgang mit den Wahrzeichen und Eigenheiten der Stadt. „In Chicago lassen sich zum Beispiel Touristen und Bewohner gleichermaßen vor einer außergewöhnlichen Bohnenskulptur fotografieren“, erzählt Will. Der Clou dabei: „Im Hintergrund ist auf jedem Foto die Skyline der Stadt zu sehen – man macht also mit jedem Foto, das man in die sozialen Netzwerke postet, im Grunde Image-Arbeit für Chicago.“

Der PR-Mann weiter: „Warum kommt denn in Bremen niemand auf diese Idee? Wir sind doch die Stadt der Raumfahrt, und wir haben die Stadtmusikanten!“ Diese Geschichte sei doch weltberühmt: „Da ist noch eine Menge Potenzial für Bremen zu heben.“

Positiv-Beispiel Flughafen

Immerhin: Es ist nicht alles schlecht, was Touristikexperte John Will bei seinem Blick von außen auf die Stadt auffällt. „Der Flughafen ist richtig gut“, sagt er: „Er ist insgesamt gut angebunden für Ankünfte und weltweite Weiterflüge, gleichzeitig ist man auch sehr schnell in der Stadt.“ In der City findet er auch die Schlachte sehr gut gelungen. Während des Weihnachtsmarktes gebe es sogar so etwas „wie eine intuitive Besucherführung“ zwischen Marktplatz und Schlachte – „etwas, was ganzjährig zwischen Marktplatz und Schnoor nicht ansatzweise gelingt.“

Aber ansonsten sehe er eben noch vieles, was man besser machen könnte – mit dem richtigen Blick und dem richtigen Bewusstsein. Und häufigen Perspektivwechseln: „Viele Bremer Freunde wissen, dass die Stadt bei Besuchern richtig punkten kann – allerdings muss man diese Besucher dann auch an die Hand nehmen“, so seine Einschätzung. „Es stimmt schon, dass Reisen bildet“, sagt John Will abschließend: „Es ernüchtert aber auch.“

Schlachte bremen mit Schiffen

Stets beliebt, auch bei Touristen, ist die Schlachte. Foto: Ulf Buschmann

Die Reaktionen

Jens Tittmann, Pressesprecher der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobiliät, Stadtentwicklung und Wohnungsbau (SKUMS), zum Kritikpunkt „Älteste Züge“:

„Zum Wagenmaterial: Ob die neueste ICE-Generation unbedingt anstrebenswert ist, kann hinterfragt werden, wenn man die Kundenmeinung hört. Auf der wichtigen Achse Hamburg – Ruhrgebiet ist es allerdings schon problematisch, dass dort mehrheitlich IC-Waggons aus den 80er Jahren eingesetzt werden. Die DB plant hier eine Umstellung auf ICE-Fahrzeuge in den kommenden drei Jahren. Bereits zum kommenden Fahrplan (Dezember 2021) soll die Hälfte der Züge aus ICE gebildet sein.“ Aber auf solche Entscheidungen wie zum Fahrzeugeinsatz habe das Ressort nicht ernsthaft Einfluss, so Tittmann weiter: „Unsere Wünsche äußern wir regelmäßig bei Gesprächen mit DB Fernverkehr.“

SKUMS-Sprecher Tittmann zum Kritikpunkt „Kein Car-Sharing per App“:

„In Bremen kann man bereits jetzt per App im Umfeld des Bahnhofs sowohl Autos des Carsharing Anbieters der Deutschen Bahn (Flinkster) als auch des Bremer Carsharing-Dienstleisters cambio buchen – bei cambio sowohl stationsgebunden als auch mit einem free floating Angebot („smumo“). Diese Angebote sind in unmittelbarer Nähe des Standortes des künftigen ZOB verfügbar. Das free floating Angebot Smumo hat sogar extra Abstellmöglichkeiten auf dem Parkplatz der Bürgerweide hinter dem Hbf. Es gibt zudem etliche bahnhofsnahe Stationen.“ Car2go und DriveNow seien dagegen in Bremen nicht am Start, weil ihnen die Stadt angeblich „mit unter 500.000 Einwohnern“ zu klein ist, so Tittmann weiter. Grundsätzlich gelte aber auch: „Wir haben gar kein Interesse daran, wie manch andere Städte alles übers Auto zu organisieren. Im Gegenteil: Wir planen bekanntlich die autofreie Innenstadt – wie Kopenhagen, Oslo, Stockholm, Wien, Madrid oder Paris. Fazit: Bremen hat einen hochmodernen ÖPNV, sehr gutes Car-Sharing, Bike- und Scooter-Verleih und ist die Stadt der kurzen Wege.“

Das City-Gate in Bremen mit Polizeiwagen im Vordergrund.

In den Augen von John Will ein gelungenes Projekt: das City-Gate. Foto: Ulf Buschmann

Bernd Schneider, Sprecher der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport, zum Kritikpunkt „Ungepflegter Hauptbahnhof“:

„Das Sozialressort ist eingebunden in das Programm ,Sichere und Saubere Stadt’. Der Ansatz der Sozialbehörde ist dabei, Ansprechpartner für die Menschen im Bahnhofsumfeld zu sein und sie in ihrer schwierigen Lebenssituation zu unterstützen, sie zu stabilisieren und ihnen Hilfestellung zu geben, damit sie Wohnraum finden. Auf dem Weg dahin werden Hilfen ,vor Ort’ angeboten, etwa der Aufenthaltsbereich am Gustav-Deetjen-Tunnel mit Sanitäranlage oder der Wärmebus auf der Bürgerweide.“

SKUMS-Sprecher Jens Tittmann:

„Dieses Thema betrifft nicht so sehr meinen Bereich. Ich kann dazu nur sagen, dass wir insbesondere rund um den Bahnhof extrem hohe Reinigungsintervalle haben. Und dass die Müllsituation wie in allen Städten stark geprägt ist durch die To-Go-Mentalität und die leider immer weiter verbreitete Kultur des einfach Wegschmeißens.“

Die Bremer Obernstraße mit weihnachtlicher Beleuchtung

In jedem Jahr wieder ein Hingucker: die Weihnachtsbeleuchtung in der Obernstraße. Foto: Frank Schümann

Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin des Senators für Inneres (SfI), und Jens Körber, Koordinator für das „Sicherheitsprogramm Bremer Hauptbahnhof“:

Sie hebt hervor, dass „sich hinter unserem Ansatz eine ganze Philosophie verbirgt“. Und: Es ist eben nicht so einfach, eine echte Lösung zu finden, die Randgruppen auch mit im Blick hat und bestimmte Gruppen nicht nur vertreiben will. Dies allein würde unter anderem nur zu neuen Brennpunkten führen. Man muss da also ganzheitlicher rangehen.“ Deshalb habe der Senat bereits im September 2018 das „Sicherheitsprogramm Bremer Hauptbahnhof“ beschlossen und mit Jens Körber einen zum SfI gehörenden Koordinator eingesetzt.

Er hat auf unsere Anfrage umfassend geantwortet. Wir dokumentieren die zentralen Aussagen: „Der Bremer Hauptbahnhof soll ein Ort sein, der seinen unterschiedlichen Funktionen (Verkehrsknotenpunkt, Aufenthaltsort für unterschiedlichste Menschen, Eintrittstor in die Stadt) gerecht wird und für alle Menschen der Stadt eine gewisse Aufenthaltsqualität und auch wirtschaftliche Grundlage bietet.“

Auswirkungen des Lockdowns sichtbar

„Die Auswirkungen des Lockdowns durch die Corona Pandemie wurden 2020 auch am Hauptbahnhof deutlich. (…) Die angedachten und geplanten weiteren Umsetzungsmaßnahmen des Sicherheitsprogramms sind in den Hintergrund gerückt. Es ging zu der Zeit priorisiert um die Koordination des Umgangs mit den Menschen in prekären Lebenslagen, die sich aufgrund des Lockdowns und den geschlossenen Hilfseinrichtungen am Hauptbahnhof aufhielten, um sich zu treffen, zu betteln oder zu konsumieren.

Die Hilfen sicherzustellen und Konflikte mit Anrainern, Passanten durch unangemessenes Verhalten der Personen zu verringern, bleibt die größte Herausforderung für das Bahnhofsquartier.“ Denn Menschen in schwierigen Lebenslagen suchten in der Regel die „Innenstadträume und Hauptbahnhöfe“ auf. Daraus entstehen Konflikte, die sich „nur durch einen Paradigmenwechsel lösen“ lassen: Statt alle notwendigen Hilfsangebote dort zu konzentrieren, wo sich diese Menschen aufhalten, „braucht auch gut erreichbare dezentrale Angebote.“

Weiter schreibt Körber: „Es sollen gut erreichbare, aber auch dezentrale Hilfsangebote geschaffen werden, die aber auch die unverträglichen Gruppierungen voneinander trennen. Ein wichtiger Schritt war die Eröffnung des Drogenkonsumraumes im September 2020, der den Menschen den Ausstieg aus der Sucht erleichtert und den öffentlichen Raum entlasten soll.“

Bremer Roland und Marktplatz

Bremens gute Stube, der Marktplatz, könnte besser vermarktet werden. Foto: Ulf Buschmann

Maike Bialek, Leiterin Kommunikation Marketing und Tourismus bei der Wirtschaftsförderung Bremen zum Kritikpunkt „Sehenswürdigkeiten schlecht verknüpft“:

„Zum einen gibt es seit dem letzten Jahr (2020, d.R.) auf das Pflaster aufgebrachte Stadtmusikantenbilder (mit minutiöser Entfernungsangabe), die Gäste vom Hauptbahnhof und anderen Orten direkt in das Stadtzentrum führen. Zum anderen haben wir seit fast zwanzig Jahren unsere „Nagelroute“, die alle großen Sehenswürdigkeiten der Innenstadt miteinander verbindet (unter anderem auch Rathaus, Stadtmusikanten, Böttcherstraße, Schlachte und Schnoor). Für diese Route gibt es eine Beschreibung auf dem in der Tourist-Info (TI, d.R.) verteilten Stadtplan sowie eine ausführlich Audiotour in mehreren Sprachen, die man auf sein eigenes Handy laden oder mit einem in der TI ausgeliehenen Audioguide hören kann. Der Guide existiert sogar auf Plattdeutsch und in einer Version für Kinder.“

Der Bremer Schütting wird bunt angestrahlt.

Das Ensemble am Marktplatz hat einiges zu bieten, wie den weihnachtlich angestrahlten Schütting. Foto: Frank Schümann

Maike Bialek zum Kritikpunkt „Umgang mit Sehenswürdigkeiten und Nutzung des Potenzials“:

„Wir arbeiten gerade an einem Online-Guide mit Foto-Hotspots, von denen man die schönsten Bilder der Stadt machen kann. Und statt einer Bohnenskulptur haben wir die Bremer Stadtmusikanten, die weltweit bekannt sind und unverwechselbar für Bremen stehen.“ Zum Bereich Luft- und Raumfahrtstandort: „Die Bremer Touristik-Zentrale bietet schon seit fast 15 Jahren die Raumfahrtführung bei Airbus an, diese gehört zu den erfolgreichsten buchbaren Angeboten der BTZ. Ebenfalls sind wir regelmäßig im Gespräch mit den bremischen Luft- und Raumfahrtunternehmen, um zu sehen, wie man diese touristisch noch besser einbinden kann.“

Daneben würde man die Themenjahre nutzen, um bremische Themen zu kommunizieren, so Bialek weiter: wie 2019 das Stadtmusikantenjahr, 2020 das Themenjahr Wissenschaft oder im kommenden Jahr das Themenjahr Musik. „Bremen nutzt dieses Potenzial im Rahmen seiner Möglichkeiten. Ich nenne nur weitere Projekte in Planung, wie das Stadtmusikantenhaus, die Bewerbung als UNESCO City of Literature sowie viele weitere Projekte (zum Beispiel auch in Richtung Augmented Reality).“

Das Bremer Schnoor-Viertel

Ein Anziehungspunkt für Touristen ist der Schnoor. Doch es fehlt eine Wegeverbindung, meint John Will. Foto: Ulf Buschmann