Wildbienen eine Lobby geben
Saatgut kann man sich an mehreren Orten in Bremen aus gelben Automaten ziehen. Gebaut hat sie Sebastian Everding aus Dortmund. Für seine „Bienenautomaten“ wurde er prämiert – so wie der Fidibus-Kindergarten aus Findorff für seine Imkerei mit Wildbienen- und Insektengarten.
Von Daniela Krause
Kaugummiautomaten dürfte jeder aus seiner Kindheit kennen: Münze rein, einmal drehen, Kaugummi oder Mini-Spielzeug in einer Plastikkugel kullert raus. Damals standen sie in Bremen fast an jeder Ecke – inzwischen sind sie im Straßenbild etwas seltener geworden. Dafür ist eine andere Spezies aufgetaucht: die sogenannten „Bienenautomaten“ oder „Bienenfutterautomaten“.
Mit ihrem leuchtenden Gelb sind sie nicht zu übersehen. Grund genug, diese Automaten anlässlich des Weltbienentages einmal näher zu betrachten: Statt Kaugummi spucken sie Kunststoffkugeln aus, die je nach Jahreszeit neben einer Saatanleitung eine ein- und zweijährige, eine mehrjährige Blühmischung oder Krokuszwiebeln als Nahrungsquelle für die heimischen Wild- und Honigbienen enthalten.
Fast 100 „Bienenautomaten“ in Deutschland
Die „Bienenautomaten“ findet man bei der Firma Roha Arzneimittel, in der Stadtbibliothek und beim SOS Kinderdorf in der Neustadt. Doch woher stammen die gelben Automaten, die es nicht nur in Bremen, sondern an fast 100 Standorten in Deutschland gibt?
Gebaut hat sie der Dortmunder Sebastian Everding in seiner Heizungskellerwerkstatt. Als er im Herbst 2019 seinen ersten Automaten vor der Haustür installierte, ahnte er nicht, welche Welle er damit auslösen würde: „Was von mir als Freizeitprojekt geplant war, hat sich verselbstständigt“, sagt Everding, der eine ökologische Hausverwaltung betreibt und sich als Tierschützer insbesondere für den Schutz der Wildbienen engagiert.
Mehrere Ursachen wie die Versiegelung von Böden, die Zerstörung von Lebensräumen, aber insbesondere der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und in Gärten tragen dazu bei, dass heute viele Wildbienenarten vom Aussterben bedroht sind (Quelle: BUND Bremen). Mit seinen „Bienenautomaten“ möchte Sebastian Everding ein Zeichen setzen – ebenso wie andere Bienenfreunde mit ihren Projekten.
Einen zum Saatgut-Spender umgebauten Kaugummiautomaten gab es im März 2018 schon einmal in Melle im Rahmen des Projektes „Blumiger Landkreis Osnabrück“. In Bremen erfreut seit April 2020 ein Saatgut-Automat in einem Privatgarten die Nachbarschaft in Findorff, der mit dem Beebetter-Award ausgezeichnet wurde. Vor Kurzem ist ein zum „Samenspender“ umfunktionierter Kondomautomat von der gleichen Privatinitiative bei der Bremer „Gemüsewerft“ aufgestellt worden.
Vom Witze- zum Bienenautomaten
Wie sind die preisgekrönten gelben „Bienenautomaten“ entstanden, die sich derzeit in Bremen und in anderen Bundesländern verbreiten? Anfang 2019 hatte Sebastian Everding den Kabarettisten Oliver Tissot aus Nürnberg, der als Erfinder des Witzeautomaten gilt, kontaktiert und mit dessen Zustimmung einen Automaten für Dortmund gebaut. „Meine Freundin Katrin hatte dann die Idee, doch noch etwas Sinnvolleres mit dem Automaten zu machen. Da wir einen sehr insektenfreundlichen Garten haben, lag der Gedanke nahe, Saatgut in die Kapseln zu füllen“, erläutert Everding.
„Ich wollte mit dem Automaten neue Nahrungsquellen für Wild- und Honigbienen schaffen und spielerisch für das akute Thema des Insektensterbens sensibilisieren.“ Was als Einzelstück erdacht war, befindet sich aufgrund „der großen Nachfrage“ seit Anfang 2020 in Produktion. Erste Bestellungen gingen auch schon in die Schweiz und nach Österreich.
Nachhaltigkeit bei der Herstellung
Bei den „Bienenautomaten“ handelt es sich um Kaugummiautomaten aus den 60er- bis 80er-Jahren, die Everding für seine Zwecke umrüstet. „Wann immer es geht, verwende ich dafür gebrauchte Teile“, erklärt er.
Bei den Kapseln, von denen in einen Automaten mit zwei Vorratskammern insgesamt 400 Stück passen, greift er auf herkömmliche Kunststoffkugeln zurück. „Da haben wir bislang aus technischen Gründen noch keine Alternative gefunden. Kapseln aus Maisstärke, Cellulose oder Gelatine haben den Praxistest nicht überstanden. Um der Nachhaltigkeit dennoch Sorge zu tragen, wurden die Rückgabebehälter entwickelt, die für das Aufstellen eines „Bienenautomaten“ zwingend erforderlich sind.
In Kooperation mit dem deutschlandweit aktiven Projekt „Bienenretter“ aus Frankfurt werden die Kapseln befüllt, gereinigt und wieder befüllt. Diese Aufgaben übernehmen Menschen in integrativen Werkstätten. Die Rückgabe der Kapseln in die Sammelboxen funktioniert laut Everding sehr gut. „Besonders junge Bienenfans möchten keinen Müll produzieren.“ Mitunter stecken in den Kapseln nette Botschaften, die den Tierschützer sehr freuen und in seinem Tun bestärken.
Der „Wildbienen-Lobbyist“
Gewinne macht Everding, der sich vor allem als „Wildbienen-Lobbyist“ versteht, durch den Verkauf seiner Automaten „nicht wirklich“, berichtet er. „In der Regel wird alles direkt reinvestiert, da ich immer in Vorleistung treten muss, wenn ich etwa Gehäuse und Ersatzteile kaufe. Im Jahr 2020 wurde das, was unterm Strich übrig blieb, an die Bienenretter gespendet sowie in einen CO2-Ausgleich gesteckt.“
Auf die Frage, ob es „Nachahmer“ geben dürfe, antwortet der „Bienenautomaten“-Entwickler: „Ich habe beim deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) einen Schutz der Wortmarken ‚Bienenautomat‘ und ‚Bienenfutterautomat‘ eintragen lassen. Ansonsten kann natürlich jeder Saatgut in Automaten füllen, wenn er das möchte.“
Für seine „Bienenautomaten“ wurde er unter anderem mit dem Sonderpreis für Nachhaltigkeit beim bundesweiten Wettbewerb „Insektenschützer 2020“ ausgezeichnet. Über den ersten Platz und ein Preisgeld durch den Sponsor DEFLEX Dichtsysteme konnte sich der Fidibus-Kindergarten aus Bremen-Findorff freuen. Die Einrichtung betreibt eine mehrfach prämierte Kindergarten-Imkerei und hat einen Wildbienen- und Insektengarten angelegt, in dem es summt und brummt.
Drei „Bienenautomaten“ für Bremen
Im April 2020 wurde der erste Bremer „Bienenautomat“ bei der Firma Roha Arzneimittel in Oberneuland aufgestellt. „Der Bienenschutz liegt uns sehr am Herzen, da wir Propolis – das Schutzharz der Biene – für einen Großteil unserer Produkte nutzen. Als wir von diesem Projekt erfahren haben, stand für uns außer Frage, dass wir einen Bienenfutterautomaten bei uns aufstellen möchten“, sagt Geschäftsführer Antonio Santos. Der Automat werde von Fußgängern und Radfahrern gleichermaßen gut angenommen.
Bei der Stadtbibliothek ist im April 2021 mit der neu eingerichteten Saatgutbibliothek der zweite Bremer „Bienenautomat“ eingezogen: „Damit möchten wir einen Beitrag zur Blütenvielfalt für heimische Insekten in Bremen leisten“, sagt Mitorganisatorin Melanie Hamacher. „Die Stadtbibliothek trägt mit ihrem Projekt dazu bei, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu unterstützen. Der Bienenfutterautomat trägt zu nachhaltigen Städten und Gemeinden (Ziel 11) bei, als auch dazu, die biologische Vielfalt zu erhalten (Ziel 15: Leben an Land). Ziel 12 steht für den nachhaltigen Konsum und Produktion.“
Der dritte Bremer „Bienenautomat“ wird vom SOS-Kinderdorf in der Neustadt betrieben, wo anlässlich des Weltbienentages ein Aktionsprogramm stattfinden soll. „Unser Ziel ist es, vor allem Kinder für die Bienen zu begeistern“, teilt Sylvia Schikker mit. „In der Neustadt haben wir ein Stadtteil- und Familienzentrum mit einem umfangreichen Angebot für Familien. Hier haben wir Ende 2020 einem Bienenvolk ein neues Zuhause gegeben. Mit der „Bienerei“ haben wir uns einen kompetenten Partner gesucht, der sich mit seinem erfahrenen Imker um die ganzjährige Betreuung des Bienenvolkes kümmert. Dieser steht auch unseren Kindern und Betreuern für individuelle „Besuche“ der Bienen zur Verfügung.“ Zudem wurden Kinderbücher über Bienen angeschafft.
Experten-Stimmen zu den Saatgut-Automaten
Die Saatgut-Automaten bekommen Aufmerksamkeit, von den Medien, aber auch von den hiesigen Umwelt- und Naturschutzverbänden: Bernd Quellmalz vom BUND Bremen sieht das Projekt als „besonders kreative Form, Menschen in der Stadt für dieses Thema zu begeistern und zu motivieren, Blumen als Nahrungsquelle für Bienen im Garten oder auf dem Balkon auszusäen.“ So seien unter anderem Glockenblume, Ziest, Hornklee, Färberkamille, Hauhechel, Resede, Habichtskräuter und Flockenblumen, aber auch Kornelkirsche, Blutweiderich und Efeu wichtige Arten für die Wildbienen. Die genaue Zusammensetzung der Automaten-Blühmischungen ist auf der Seite der „Bienenretter“ zu finden.
In Bremen gibt es rund 150 Wildbienenarten, von denen etwa die Hälfte gefährdet sind. Es bleibe für Quellmalz unklar, ob diesen Wildbienen durch die Automaten tatsächlich geholfen werden könne, dennoch hält er das Projekt für „pädagogisch pfiffig“. Grundsätzlich könne man Wildbienen im städtischen Raum helfen, indem man neben einem ausreichenden Blühangebot geeignete Nistmöglichkeiten durch Lehmsand im Boden oder Insektenhotels schaffe.
„Lustige Kunstaktion“
Sönke Hoffmann vom NABU Bremen bewertet die Saatgut-Automaten als „lustige Kunstaktion“, die zwar Aufmerksamkeit für das Problem Insektensterben schaffe, dieses aber nicht wirksam genug angehe, da unter den 560 Wildbienenarten „teils extreme Spezialisten“ seien, die man nur mit ebenso spezialisierten Pflanzen erreichen könne – „nicht mit Samenmischungen, die überall wachsen sollen.“ Aus naturschutzfachlicher Sicht seien Saatgut-Automaten daher eher wie Nistkästen zu beurteilen: „Sie bringen einzelnen Arten was, nützen aber zwischen Kirschlorbeer und Waschbetonplatten selbst denen nix.“
Jens Tittmann, Sprecher des Bremer Umweltressorts, äußert sich folgendermaßen: „Aus naturschutzfachlicher Sicht ist das für uns als Stadt eher nicht unterstützenswert, eher im Bereich Guerilla Gardening anzusiedeln. Immerhin scheinen die Urheber wenigstens ein wenig auf regionale Herkunft des Samenmaterials zu achten – und weisen auf das Verbot der Ausbringung in der freien Natur hin. Das lässt sich aber natürlich nicht kontrollieren. Als private Initiative spricht aber auch nichts dagegen.“
Sinnvoller und wirksamer seien da die durch das Umweltressort unterstützten beziehungsweise initiierten Projekte des BUND zur Umwandlung städtischer Flächen (vor allem Verkehrsseitenflächen) in Zusammenarbeit mit dem Umweltbetrieb Bremen sowie das Projekt „Bremer Grünlandsäume“.
Sensibilisieren und kleine Blühinseln schaffen
Den kritischen Stimmen hält Sebastian Everding entgegen, dass das Projekt keinesfalls als „Guerilla Gardening“-Maßnahme gedacht sei. „Schwerpunktmäßig richtet es sich an Familien und Kinder, um trostlose Ecken im eigenen Garten oder Blumentöpfe auf Balkonen und Terrassen bunter zu gestalten.“ In jeder Kapsel stecken Anleitungen, die genaue Tipps und Hinweise zur Ausbringung des Saatgutes geben. „Die Gefahr, dass jemand die Samen in die freie Natur bringt, ist genauso groß oder klein wie bei Samenmischungen aus dem Bau- oder Drogeriemarkt.“
Ein Flyer, der jedem Automaten und jeder Saatgut-Bestellung beiliegt, liefert künftig noch genauere Informationen. „Selbstverständlich können wir nicht für jede spezialisierte Wildbiene die jeweils passende Pflanze anbieten, dies wäre logistisch und ökonomisch überhaupt nicht möglich. Was ist denn die Schlussfolgerung aus dieser Aussage? Soll man es direkt sein lassen, weil man es nicht schafft, jeder Wildbiene mit so etwas zu helfen?“, fragt Everding und unterstreicht: „Grundsätzlich kann ich immer nur sagen, dass der Bienenautomat niemals als die Lösung aller Probleme des Insektensterbens konzipiert war und ist; es soll ein Baustein sein um zu sensibilisieren und kleine Blühinseln zu schaffen.“
Der Weltbienentag
Bienen haben für die Menschheit eine immense Bedeutung, zum einen als Bestäuber für die Biodiversität, zum anderen für die Ernährungssicherheit (Honig). Aus diesem Grund hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2018 den 20. Mai zum Weltbienentag erklärt, um das Engagement für die Bienen zu stärken und auf die Notwendigkeit ihres Schutzes aufmerksam zu machen. Gleichzeitig erinnert der Weltbienentag an den slowenischen Hofimkermeister Anton Janscha, der als Erfinder der ersten Zargenbetriebsweise gilt und Rektor der weltweit ersten modernen Imkerei-Schule war.
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