Aus Liebe zum Beruf Hausarzt
Dr. Yvonne Könenkamp übernimmt eine Hausarztpraxis. Doch bevor sie Patienten untersuchen darf, muss sie den Kampf mit der Bürokratie gewinnen und eine zweite Facharzt-Prüfung bestehen.
Von Andree Wächter
Der Landarzt, der von Haus zu Haus fährt und immer entspannt wirkt: Den gibt es nur im Fernsehen! Die dort dargestellte Arbeitswelt ist reine Fiktion und hat mit dem tatsächlichen Landarztleben nichts gemeinsam. Was dort suggeriert wird, ist eine perfekte Work-Life-Balance. Und genau die hat in der Realität eine klare Kontur bekommen: Beruf, Familie und Freizeit müssen unter einen Hut passen. Selbst wenn sich ein Mediziner für den Job Landarzt interessiert, müssen noch diverse Hürden übersprungen werden. Und in Deutschland geht eben nichts ohne Prüfung und zahllose Formulare.
Am 1. Juli wird Yvonne Könenkamp die Hausarztpraxis von Claudia und Paul Polzin in Sulingen (Niedersachsen) übernehmen. Das Paar wird dann in den Ruhestand gehen. Zusammen mit Mediziner Martin Both wird Könenkamp sich dann um die Patienten kümmern. Die letzte Hürde zur Praxisübernahme wurde erst im April genommen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hat grünes Licht gegeben.
Yvonne Könenkamp ist ein Sulinger Kind. Dort hat sie ihr Abitur gemacht und eine Ausbildung in der Krankenpflege. 2010 bestand sie das Medizin-Examen. Es folgte die Facharztausbildung zur Gynäkologin. In dieser Funktion arbeitete die 40-Jährige bis 2017 in Vechta. Es kam der Wunsch nach mehr Familienleben auf und raus aus den 24-Stunden-Diensten. „Da habe ich meine Familie eineinhalb Tage lang nicht gesehen“, sagte die Ärztin zu ihren Beweggründen.
Reise mit dem Ziel: Hausarzt
Mit dem Entschluss begann eine mehrjährige Reise mit dem Ziel: Hausärztin. Obwohl Yvonne Könenkamp ein Medizinstudium samt Doktorarbeit abgeschlossen und einen Facharzt in Gynäkologie hat, darf sie nicht einfach als Hausärztin praktizieren und Hustensaft verschreiben oder einen grippalen Infekt diagnostizieren. „Ich musste noch einen weiteren Facharzt machen, mit einer 42 Monate* langen Fortbildung.“ Mittlerweile ist es so, dass man bei einem bestehenden Facharzt, nur noch eine zweijährige Weiterbildung in der Praxis braucht und der klinische Teil entfällt. Die Verkürzung trat erst in Kraft, als die 40-Jährige bereits begonnen hatte.
Neben der Verkürzung bieten Landkreise noch weitere Anreize.
Am 3. März endete Könenkamps Fortbildung in der Praxis von Dr. Polzin. „In der Zeit konnten mich die Patienten schon kennenlernen“, sagt die Sulingerin. Und weiter: „Als Hausarzt hat man ein anderes Spektrum an Medikamenten als ein Facharzt. Auch muss man plötzlich Dinge machen, mit denen man sich in seiner bisherigen Laufbahn überhaupt nicht beschäftigt hat.“ Plötzlich ist man auch Unternehmer und muss zusehen, wie das Geld reinkommt. Man hat es aber nicht mit einer eins-zu-eins-Abrechnung zu tun, wie in der Wirtschaft.
Facharztprüfung vor der Ärztekammer
Natürlich muss der Hausarzt, der die Fortbildung begleitet, vorab zertifiziert worden sein. Die abschließende Facharztprüfung nimmt die Ärztekammer ab. Könenkamp hat nun einen zweiten Facharzt-Titel.
Die Anträge auf Zulassung als Hausarzt werden bei der Kassenärztlichen Vereinigung gestellt. Mit ihrer Zulassung wird sie vom Frauen- zum Hausarzt. Yvonne Könenkamp hat nun ein anderes Abrechnungssystem. Für jeden Patienten, der ihre Praxis aufsucht, bekommt sie pro Quartal eine Grundpauschale – egal wie oft der Patient kommt. Damit ist nur ein kleines Spektrum an Leistungen abgegolten. Für viele weitere Leistung muss sie einmalig für alle Patienten einen Abrechnungs-Antrag bei der KV stellen. Zu den weiteren Leistungen gehört beispielsweise ein Langzeit-EKG.
Einige Untersuchungen darf Yvonne Könenkamp aufgrund ihrer ersten Facharzt-Ausbildung dann doch durchführen und auch nach Antrag abrechnen. Dazu gehört die Krebsvorsorge für Frauen.
Noch verrückter wird es beim EKG-Gerät von Martin Both. Die Typenbezeichnung ist auf seinen Namen und die gegenwärtige Praxisadresse zugelassen. Da er nun seine Praxisgemeinschaft verlässt, muss er das mitgebrachte Gerät für die neue Adresse noch einmal beantragen.
Hausarztpraxis-Übernahme: Externe Hilfe
Bei der KV hatte Könenkamp die Übernahme des Sitzes von Dr. Polzin beantragt. Während des Verfahrens ergab sich die Kooperation mit Martin Both. Also musste ein neuer Antrag als Berufsausübungsgemeinschaft (früher Gemeinschaftspraxis) gestellt werden. Der KV-Zulassungsausschuss musste dem zustimmen. Eine Voraussetzung dafür war, dass Both und Könenkamp einen Vertrag abschließen, natürlich hat die KV einige Inhalte vorgegeben. Bei den vielen Formularen und Anträgen gab es externe Hilfen. Mathias Salomé von der UPO Unternehmensberatung und einen Berater der KV halfen. Schlussendlich ging es auch um diverse Fördergelder.
Bei so viel Aufwand, bleibt die Frage nach dem Warum. Die Antwort ist simpel. „Ich freue mich darauf, Chefin zu sein“, sagt die Ärztin. Und weiter: „Man versorgt alle, vom Kind bis zum Senior, und das langfristig.“ Und dann ist da noch die Work-Life-Balance: Zum Mittagessen nach Hause fahren ist eben Lebensqualität. „Eine große Hilfe wird uns das Team von MFA sein, sie haben viel Erfahrung“, so Dr. Yvonne Könenkamp. MFA heißt Medizinisch-Fachangestellte, früher Arzthelferin.
* In einer früheren Version hieß es „48 Monate“.
Der Weg zur Hausarztpraxis
Was alles dazugehört, den Traum von der eigenen Hausarztpraxis zu verwirklichen, ist hier nachzulesen.