Der Schnuppertörn

Unser Autor engagiert sich in seiner Freizeit ehrenamtlich in der Kirchengemeinde Vegesack. Vor einigen Wochen erhielt auch er deshalb eine Einladung für alle Mitarbeitenden in der Bremischen Evangelischen Kirche zu einem Schnuppertörn auf der Außenweser mit dem Traditionsschiff „Verandering“.

Von Ulf Buschmann

Es könnte heute ein wenig kabbelig werden. Immerhin hat der Deutsche Wetterdienst Sturmböen für den Nordwesten vorhergesagt. Gegen Seekrankheit soll das Kaugummi-Medikament helfen. Also wird eine Stunde vor Törnbeginn jeweils 30 Minuten lang schön gekaut. Aber Skipper Klaus Schlösser winkt ab: Der Wind komme aus südöstlicher Richtung, also von Land. Dies mache keine hohen Wellen. Tatsächlich bleibt die See ruhig, nur der Himmel ist an diesem Oktober-Sonntag bedeckt. Alles in allem können Landratten den Törn mit der „Verandering“ genießen.

Gegen 14.30 Uhr geht es vom Liegeplatz in Richtung Schleuse Neuer Hafen in Bremerhaven. Die „Verandering“ hat einen festen Platz am Hafenkopf, gleich hinter der Im-Jaich-Marina. Wenige Minuten später steuert Klaus Schlösser die inzwischen 123 Jahre Gaffelketsch mit ihren 24,34 Metern Länge und 5,46 Metern Breite durch den Neuen Vorhafen auf die Außenweser. Gesegelt wird an diesem Nachmittag nicht.

80 Tonnen-Plattbodenschiff

Der Skipper und seine Crew – Trainee Finja, 1. Bootsfrau Kirsten Meier, 2. Bootsmann Reinhard „Penny“ Penski sowie der 2. Bootsmann in Ausbildung, Stephan Niedergesäß – schmeißen für die Manöver den 190-PS-Dieselmotor an. Aber eben nur dafür. Es weht so kräftig, dass das rund 80 Tonnen schwere Schiff mit seinem Plattboden-Rumpf vorangetrieben wird, weil der Wind auf die Aufbauten trifft. „Wir machen jetzt wohl drei Knoten“, schätzt Stephan Niedergesäß. Sind das kleine und große Klüver-, das Fock-, das Groß- und das Besansegel gesetzt, komme die „Verandering“ auf eine Geschwindigkeit von sieben bis acht Knoten.

Dass sich die Bremische Evangelische Kirche (BEK) trotz sich zusehends leerender Kassen ein Traditionsschiff wie die „Verandering“ leistet, hat eine beinahe 20 Jahre alte Vorgeschichte. Der ehemalige Projektleiter Ulrich Ruback und der damalige Bremer Landesjugendwart Hans-Albert Eike fanden: Ein Schiff sei ideal, um ein erlebnispädagogisches Angebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene der Kirchengemeinden aus Bremen und umzu zu machen. „Ausgangspunkt unserer Überlegungen war, dass Bremen am Wasser liegt und eine maritime Tradition hat“, sagte Ruback vor einigen Jahren.

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Inspiration bei anderen Vereinen

Um das Rad nicht neu zu erfinden, holten die Macher sich Inspiration von schon bestehenden Angeboten. Ruback nannte gegenüber evangelisch.de, dem Nachrichtenportal der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), den Verein „Jugendsegeln“ mit seinem Marstall-Schoner „TS Zuversicht“ – Baujahr 1905 – und den Stader Verein „Windsbraut“ mit seinem gleichnamigen 1911 gebauten Schiff.

Aller Skepsis und Anfangshindernisse zum Trotz ist die „Verandering“ bis heute ein erfolgreiches Projekt – wenn da nicht die Corona-Pandemie wäre. Denn statt über mehrere Tage im heimischen Wattenmeer zu fahren, hat es in diesem Jahr nur Tagestörns gegeben. Im vergangenen Jahr war die „Verandering“ wie alle Traditionsschiffe überhaupt nicht unterwegs. Dies ist eine missliche Situation, denn die Törnbuchungen sind die wichtigste Einnahmequelle für alle Traditionsschiffe.

An Bord eines Schiffes auf der Außenweser mit Blick auf das Containerterminal.

Außerhalb des Fahrwassers liegt das Containerterminal an Steuerbord. Foto: Ulf Buschmann

Das Plattbodenschiff ist ein Lernort – und das in jeder Hinsicht. Die Gruppen an Bord finden sich nicht nur untereinander. Vielmehr lernen Klein und Groß, was es heißt, 80 Tonnen zu bewegen. „Wer bei uns an Bord ist, muss arbeiten“, macht Stephan Niedergesäß mit einem breiten Grinsen klar. Kaum hat er seine Worte ausgesprochen, teilt er den Umstehenden Aufgaben zu: „Ich brauche zwei kräftige Kerle.“ Sie müssen die Taue auf Spannung halten, die den Klüverbaum halten. Dieser wird im Hafen nach oben gezogen. „Dann wird das Schiff kürzer“, sagt Trainee Finja. Je kürzer das Fahrzeug, desto geringer die Liegeplatzgebühren.

Außerhalb des Fahrwassers

Die Crew steuert die „Verandering“ aus dem Fahrwasser heraus. In gut eineinhalb Stunden geht es bis zum Ende des Containerterminals Bremerhaven und zurück. Zuerst mit, dann gegen die Strömung, denn es herrscht ablaufendes Wasser. Die Sandbänke in Sichtweite werden immer größer. Wo die „Verandering“ zurzeit fährt, zeigt das Sonar eine Wassertiefe von 13,6 Metern an. Aber 100 bis 200 Meter weiter sind es nur noch sechs Meter. „Da ist sicherlich eine Abbruchkante“, sagt Skipper Klaus Schlösser.

Ein Teil der Crew: Skipper Klaus Schlösser, 1. Bootsfrau Kerstin Meier und 2. Bootsmann in Ausbildung, Stephan Niedergesäß.

Ein Teil der Crew: Skipper Klaus Schlösser, 1. Bootsfrau Kerstin Meier und 2. Bootsmann in Ausbildung, Stephan Niedergesäß. Foto: Ulf Buschmann

Ist die „Verandering“ regulär unterwegs, ist es immer ein besonderes Erlebnis, wenn das Schiff auf einer Sandbank trocken fällt. Dafür wurden die Plattbodenschiffe gebaut. Dann konnten die Waren von den kleineren auf die großen Schiffe oder umgekehrt umgeladen werden. Heute genießen die Gruppen an Bord dieses besondere Erlebnis, zum Beispiel im Watt bei Ebbe zu übernachten. „Rundherum die See und das Watt, über einem der Himmel und meistens kein Mobilfunk-Netz, das muss man einfach mal erlebt haben“, brachte es Ruback gegenüber evangelisch.de auf den Punkt.

Ob auf dem Trockenen oder in Fahrt, eines ist beliebt: das Chillen im Klüvernetz. „Wer nasse Füße haben will“, bekommt an diesem Nachmittag grünes Licht vom Skipper. Aber die Erwachsenen an Bord halten sich zurück oder trauen sich nicht. Bis zur Rückkehr in den Hafen bleiben sie lieber auf dem festen Boden. Dafür gibt es am Liegeplatz noch ein letztes Stück Arbeit: Stephan Niedergesäß teilt die kräftigen Kerle ein, um wenigstens einmal das Focksegel gesetzt zu haben.

Ein Plattbodenschiff auf einer Sandbank.

So sieht es aus, wenn die „Verandering“ trocken fällt. Foto: Stefan Schorr

Wer sich für einen Törn mit der „Verandering“ interessiert, kann sich an Projektleiter Martin Mahlstedt, Telefon 0421/34615-55 oder 0160/96228591, wenden. Er ist auch per E-Mail erreichbar.

Traditionsschiffe

Traditionsschiffe in ihrer derzeitigen Bereederung gibt es seit etwa Mitte der 1970er-Jahre. Privatleute und Organisationen kauften alte Schiffe auf, restaurierten sie und nahmen sie wieder in Fahrt. Passagiere zahlten eine Spende und konnten an den Törns teilnehmen. Ziel sollte es sein, das maritime Erbe der Küste zu bewahren.

Wegen Schwierigkeiten bei den Sicherheitsauflagen und der steuerlichen Bewertung kam es nach Gesprächen mit dem Bundesverkehrsministerium, der heutigen Berufsgenossenschaft (BG) für Transport und Verkehrswirtschaft sowie der Gemeinsamen Kommission für Historische Wasserfahrzeuge (GSHW) zur Verabschiedung der Sicherheitsverordnung für Traditionsschiffe. Sie ist eine nationale Vorschrift und regelt, dass Schiffe hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen oder als Einzelnachbildung gebaut sein müssen (Historizität). Auch dass die Rumpflänge 15 bis 55 Meter beträgt und das jeweilige Schiff ausschließlich zu ideellen Zwecken fährt beziehungsweise der maritimen Traditionspflege sowie sozialen oder vergleichbaren Zwecken dient und als Seeschiff eingesetzt wird, , steht in der Vorschrift. Ebenso müsse es den gesetzlichen Vorschriften im Hinblick auf Sicherheit und Ausrüstung entsprechen.

Eine Gaffelketsch unter Segeln, von vorne gesehen.

Die Frontansicht der Gaffelketsch ist imposant. Foto: Stefan Schorr

Gewinne zu erwirtschaften ist nach der Traditionsschiff-Verordnung zudem verboten. Auf dieser Grundlage dürfen Traditionsschiffe heute nur von entsprechenden gemeinnützigen Institutionen wie zum Beispiel der Evangelischen Kirche oder Vereinen betrieben werden.

Mit der Lage der Traditionsschiffe in der Corona-Pandemie haben wir uns auch schon im März 2021 befasst.

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