Ghost Bikes erinnern an getötete Radfahrer

Ghost Bikes stehen für im Straßenverkehr getötete Radfahrer. Auch in Bremen und im Landkreis Diepholz sind die weißen Räder zu finden.

Von Daniela Krause

Weiß gestrichene Fahrräder tauchen von Zeit zu Zeit im Bremer Straßenbild auf. Das Jüngste befindet sich neben der Karl-Carstens-Brücke, im Volksmund Erdbeerbrücke genannt, am linken Weserufer. Das Ghost Bike (Geisterrad) erinnert an einen schweren Unfall, der im vergangenen Jahr unterhalb der Brücke geschah. Am Rad befestigt, flattert ein Schild auf dem zu lesen ist, dass ein 68-jähriger Fahrradfahrer bei der Kollision mit einer anderen Radlerin stürzte und sich schwere Verletzungen zuzog. An deren Folgen sei er zwei Wochen später, in der Nacht zum 28. Oktober 2021, im Krankenhaus verstorben.

Zwei Räder präpariert

Das Fahrrad selbst hat mit dem Unglück direkt nichts zu tun. „Es ist immer wieder dasselbe von uns präparierte Rad, das den Standort wechselt“, sagt Pina Pohl vom ADFC Bremen. Die Idee dazu stammt aus den USA. Mittlerweile sind Ghost Bikes nahezu weltweit verbreitet. Es gibt noch die von der Polizei Bremen präparierten Crash-Bikes, diese haben allerdings noch einen etwas anderen Hintergrund.

Böse Unfälle passieren nicht vorsätzlich, sondern oft oder eigentlich immer fahrlässig.

Das erste Ghost Bike in Bremen wurde 2015 an der Bürgermeister-Smidt-Straße/Falkenstraße von Unbekannt aufgestellt. „Als es schon etwas beschädigt war, haben wir es übernommen“, so Pohl. „2020 kam es dann leider zu der traurigen Situation von zwei Todesfällen innerhalb von wenigen Wochen, weshalb wir ein zweites Rad angefertigt haben. Wir hoffen, dass es kein drittes geben muss.“

Bisherige Standorte der Ghost Bikes

Aufgestellt wurden die Ghost Bikes seither Am Brill/Hutfilterstraße, am Arsterdamm, an der Uniallee, an der Kattenturmer Heerstraße, an der Ludwig-Roselius-Allee, an der Ecke Stapelfeldstraße/Togostraße und zuletzt am Habenhauser Deich. Sie alle stehen für ein bei einem Verkehrsunfall ausgelöschtes Menschenleben. Beispielsweise für das einer jungen Frau, die 2018 von einem nach rechts abbiegenden Lastwagen am Brill überrollt wurde.

Räder bleiben nicht stehen

Für die Angehörigen der Verstorbenen sind die Ghost Bikes ein Mahnmal, so auch für die Mutter der getöteten Radfahrerin, wie sie in einem Interview mit buten und binnen erzählte. Doch in Absprache mit der Stadt und dem Amt für Straßen und Verkehr Bremen lässt der ADFC die Räder nicht stehen, sondern entfernt sie nach etwa zwei Monaten wieder. Es gibt aber laut ADFC keine Vorgabe oder Frist für die Abholung.

Ghost Bikes als Ausrufezeichen

Im Beitrag von buten und binnen kommt auch Albrecht Genzel vom ADFC zu Wort: „Die Ghost Bikes sind kein wirklicher Erinnerungsort, sondern sollen ein Ausrufezeichen sein. Ein Hinweis, dass wir alle besser aufeinander achtgeben müssen. Böse Unfälle passieren nicht vorsätzlich, sondern oft oder eigentlich immer fahrlässig.“

Wie oft Radfahrer in Verkehrsunfälle verwickelt sind, zeigen die Unfallzahlen der Polizei Bremen aus den Jahren 2020 und 2019. Demnach waren im Jahr 2020 insgesamt 1.503 Radfahrer an Verkehrsunfällen beteiligt, ein Jahr zuvor lag die Anzahl bei 1.629. 2020 verletzten sich 999 Fahrradfahrer, davon 121 schwer. 2019 hatten 1.071 Radler Blessuren davongetragen, 120 fielen in die Kategorie schwere Verletzungen. In beiden Jahren kamen jeweils drei Fahrradfahrer ums Leben. Die Unfallzahlen aus dem Jahr 2021 werden erst im April veröffentlicht.

Ghost Bike in Bassum

In Bassum stellte der ADFC Diepholz das erste Ghost Bike im Landkreis Diepholz auf. Foto: ADFC Diepholz, Franc Henkensiefken

Blick in den Landkreis Diepholz

Doch wie gestaltet sich die Unfallhäufigkeit im ländlichen Raum? Dazu werfen wir einen Blick in den benachbarten Landkreis Diepholz und sprechen mit Franc Henkensiefken vom ADFC Kreisverband Diepholz, Ortsgruppe Bassum. Auch hier wartet man noch auf die offiziellen Zahlen aus 2021. Fest steht aber schon jetzt: In den vergangenen Monaten gab es alleine vier Unfälle, bei denen Radfahrer ums Leben kamen.

Erstes Diepholzer Ghost Bike stand in Bassum

Weil er „im Kleinen tun wollte, was im Großen bereits praktiziert wird“, hat Franc Henkensiefken im Oktober 2021 damit begonnen, im Landkreis Diepholz Ghost Bikes aufzustellen; das erste in seinem Heimatort Bassum, an der L779 Bassum Richtung Harpstedt auf Höhe Wichenhausen. Am 2. August 2021 kam es dort zum tödlichen Crash mit einem Lkw. Seitdem fordert der ADFC auf der Unfallstrecke eine Höchstgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern und ein Überholverbot.

Ghost Bike in Twistringen

In Twistringen verstarb im Oktober 2021 eine Radfahrerin bei einem Unfall mit Lkw. Foto: ADFC Diepholz, Franc Henkensiefken

Tödlicher Unfall mit Fahrerflucht

Das zweite Diepholzer Ghost Bike steht an der B51 in Twistringen Richtung Diepholz an der Kreuzung Bremer Straße/Raiffeisen Straße; am 29. Oktober 2021 kam hier eine Radfahrerin bei einem Unfall mit einem Lkw ums Leben. Das dritte Ghost Bike macht auf eine besondere Dramatik aufmerksam: An der Wagenfelder Straße in Barver verstarb am 20. Dezember vergangenen Jahres ein Radfahrer bei einem Unfall mit Lkw. Der Verursacher beging Fahrerflucht. Ein weiteres Rad soll in Syke im Ortsteil Gessel aufgestellt werden. Am 15. Januar verstarb dort ein Radfahrer bei einem Unfall mit Lkw.

Unwissenheit und Ignoranz

Hätte man das verhindern können? Diese Frage stellt sich Franc Henkensiefken jedes Mal, wenn er ein Ghost Bike aufstellt. Das Problem: „Verkehrstechnische Regelungen sind zwar vorhanden, werden aber oft nicht eingehalten. Zum Teil aus Unwissenheit, zum Teil aus einer gewissen Ignoranz heraus.“ Dabei sollte jeder Führerscheinbesitzer wissen: Laut Paragraf 5 der Straßenverkehrsordnung muss jeder beim Überholen von Fußgängern, Fahrradfahrern und seit neuestem E-Scootern einen Mindestabstand einhalten – innerorts eineinhalb, außerorts zwei Meter. Daran halten würden sich die Wenigsten. Aus seiner Sicht müssten demnach mehr Kontrollen stattfinden – sowohl bezüglich der Geschwindigkeit als auch der Seitenabstände.

Ghost Bike

Dieses Ghost Bike wurde in Barver aufgestellt. Nach dem tödlichen Crash beging der Verursacher Fahrerflucht. Foto: ADFC Diepholz, Franc Henkensiefken

Widersprüche im System

Mitunter gebe es aber auch „eindeutige Widersprüche im System“, sagt Henkensiefken: „Gerade auf dem Land sind Radfahrer häufig aus Mangel an Alternativen darauf angewiesen, landwirtschaftliche Versorgungswege zu nutzen. Ein großer Trecker ist etwa drei Meter breit, die Straße 3,50 Meter. Wo soll der denn hin?“, fragt er und ergänzt: „Solche Widersprüche werden wohl leider immer wieder zu Konflikten und auch zu Unfällen führen.“

Missachtung der Vorfahrt

Ein weiteres Problem sieht Anja Diekmann von der Polizeiinspektion Diepholz im Zusammenhang mit Pedelecs, also unterstützenden Elektrofahrrädern: „Die Anzahl der Unfälle mit Radfahrern sinkt, dafür werden die Unfälle mit Pedelecfahrern mehr. Das liegt aber wohl daran, dass immer mehr Menschen von einem Fahrrad auf ein Pedelec umsteigen.“ Oft unterschätzen Nutzer und andere Verkehrsteilnehmer den Schub und die Geschwindigkeit (bis zu 25 Stundenkilometer) der Pedelecs und können in brenzligen Situationen nicht rechtzeitig reagieren.

Die häufigste Verkehrsunfallart, sowohl bei Radfahrern als auch bei Pedelecfahrern, sei die Missachtung der Vorfahrt. „Oft an Einmündungen, da werden sie von anderen häufig übersehen. Um die Unfallgefahr von Pedelecs hervorzuheben wurden die Unfallzahlen aus 2020 und 2019 in Verkehrsunfälle mit Radfahrern und in solche mit Pedelecs aufgeschlüsselt (siehe Infobox).

Rücksichtsvoll fahren

Egal ob es sich um Unfälle mit Pedelecs oder konventionellen Fahrrädern handelt – eines haben laut ADFC Bremen alle gemeinsam: „Sie lassen sich nicht mehr ungeschehen machen. Zahlreiche ähnliche Situationen können allerdings entschärft werden oder entstehen gar nicht erst, wenn auch Radfahrer rücksichtsvoll fahren und miteinander kommunizieren.“ Ein kurzes Klingeln vor dem Überholen oder ein deutliches Handzeichen vor dem Abbiegen könne schon viel bewirken.

Diepholzer Unfallzahlen

Bei den Radfahrern gab es im Jahr 2020 insgesamt 219 Unfälle, im Jahr davor waren es 235 Unfälle. In beiden Jahren kamen jeweils zwei Radfahrer ums Leben. 2020 gab es 28 Schwerverletzte und 148 Leichtverletzte zu beklagen, 2019 waren es 22 Schwerverletzte und 174 Leichtverletzte. Somit ist die Zahl der schwer- und leichtverletzten Radfahrer um 10,2 Prozent gesunken. Bei den Pedelecfahrern gab es insgesamt 57 Unfälle in 2020 und 36 in 2019. Während in 2019 drei Pedelecfahrer verstarben, gab es 2020 keine Toten. Dafür ging die Anzahl der Schwerverletzten von 7 auf 9 und die Anzahl der Leichtverletzten von 29 auf 43 hoch. Der Anteil von Pedelecs an Verkehrsunfällen ist demnach mit 58,3 Prozent rasant gestiegen. Die Unfallzahlen aus 2021 werden erst im April veröffentlicht.

Aktionstag: „Ride of Silence“

Der „Ride of Silence“ ist ein jährlicher Aktionstag jeweils am dritten Mittwoch im Mai, mit dem auf öffentlichen Straßen getöteten und verletzten Radfahrern gedacht wird. Die Teilnehmer dieser Fahrradveranstaltung sind überwiegend in Weiß gekleidet und besuchen die Ghost Bikes in ihrem Heimatort auf einer Radtour.

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