Die Häfen als Flaschenhals

Corona-Pandemie, Brexit, Krieg in der Ukraine – Seit mehr als zwei Jahren sind die Häfen in ganz Europa überlastet – Jetzt sind auch noch die Mitarbeitenden in einen 24-stündigen Warnstreik getreten, die am Anschlag arbeiten.

Von Ulf Buschmann

Eigentlich liebt Mücahit Kara seine Tätigkeit. Doch dem Vertrauensleute-Sprecher der Gewerkschaft Verdi bei Eurogate Containerterminal Bremerhaven geht es wie den meisten seiner Kollegen in den deutschen Häfen: Seit Beginn der Corona-Pandemie arbeiten sie am Anschlag. 50 bis 60 statt 37,5 oder 40 Wochenstunden Arbeit sind eher der Normalfall als die Ausnahme. „Wir zeigen Interesse am Unternehmen, wir identifizieren uns mit Eurogate“, sagt Kara zu seinem Selbstverständnis und dem seiner Kollegen: „Das, was der Arbeitgeber verlangt, arbeiten wir nach bestem Wissen und Gewissen ab.“

Doch mit der Wertschätzung seitens der Unternehmen sei es so eine Sache. Die gebe es schon lange nicht mehr, und das wird nach Überzeugung von Verdi und ihren Mitgliedern bei den aktuellen Tarifverhandlungen klar. Nachdem sich die Gewerkschaft und ihr Arbeitgeber-Gegenüber, der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), noch immer nicht auf einen neuen Tarifvertrag haben einigen können, reicht es den Mitarbeitenden. Rund 12.000 hat Verdi an diesem Donnerstag mit Beginn der Frühschicht um 6 Uhr zu einem 24-stündigen Warnstreik aufgerufen – allein in Bremerhaven dürften es rund 2.500 Beschäftigte aus drei Schichten sein, schätzen Verdi-Sprecher Markus Westermann und Klaus Schroeter, Mitglied der Verhandlungskommission.

Hochgeklappte Containerverladebrücken.

Nichts geht mehr in den Häfen – alle Containerbrücken sind wegen des Warnstreiks oben. Foto: Buschmann

Streik: Alle Containerbrücken stehen still

Der Blick in Richtung Containerterminal zeigt: Alle Verladebrücken sind hoch. Weder bei Eurogate noch bei North Sea Terminal Bremerhaven (NTB), das zu jeweils 50 Prozent Eurogate und der Bremer BLG Logistics Group gehört, rührt sich etwas. Hin und wieder ist ein einsamer sogenannter Van Carrier zu sehen; mit diesen werden die Container nach dem Entladen vom Schiff an ihren Platz gebracht oder am Kai abgestellt, damit die Blechkisten an Bord verladen werden können. Bis auf wenige Ausnahmen würden sich alle gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer am Warnstreik beteiligen, wissen Vertrauensleute-Sprecher Kara und Verdi-Vertreter. Nicht nur in Bremerhaven ruht das Leben in den Häfen an diesem Donnerstag, sondern in allen Seehäfen: in Emden, Wilhelmshaven, Brake, Bremen und Hamburg.

Der Warnstreik kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die komplette Wirtschaft über unterbrochene Lieferketten klagt und sämtliche europäischen Häfen seit Beginn der Corona-Pandemie unter stetiger Überlastung ächzen. Der Brexit und der Krieg in der Ukraine tun ihr Übriges. Spätestens seit dem Unglück des Mega-Liners „Ever Given“ im Suez-Kanal im März 2021 seien alle Linien in der Containerschifffahrt durcheinandergeraten, mutmaßt Verdi-Mann Schroeter. Während die noch bestehenden weltweit fünf großen Reedereien hohe Gewinne einfahren würden, müssten die Häfen leiden.

Schiffe am Kai.

Die Geschäfte für die Reedereien laufen gut. Erst in den Häfen wird es eng. Foto: Ulf Buschmann

ISL: Frachtraten auf Allzeithoch

Schroeters Einschätzung bestätigt das Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, ISL. „Anfang 2022 lagen die Fracht- und Containerraten auf einem Allzeithoch“, schreiben die Autoren der aktuellen Ausgabe von „Shipping and Market Review“. Reedereien wie MSC, Maersk und die deutsche Hapag-Lloyd meldeten Rekordgewinne. Ursache dafür sind laut ISL, dass trotz des Lockdowns in China die Nachfrage nach in Asien produzierten Gütern schon im vergangenen Jahr stark angestiegen sei. Arbeits- beziehungsweise Fachkräftemangel sowie hohe Krankenstände hätten außerdem dazu beigetragen, dass die Kapazitäten in den Häfen ausgelastet seien.

Das heißt in der Wirklichkeit: Containerschiffe werden be- und entladen und machen sich wieder auf die Reise. Aufgabe von Unternehmen wie Eurogate und NTB in Bremerhaven oder der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA) ist es nun, die Container nach einem hochkomplexen System so auf den vorhandenen Lagerflächen zu stellen, dass die Blechkisten mit Konsum- und Investitionsgütern möglichst schnell beim Kunden ankommen. Doch das ist zurzeit so gut wie nicht möglich, im Gegenteil: Container müssen häufig umgestaut werden und es dauert oftmals Wochen, bis sie den Hafen überhaupt verlassen.

Ein Mann vor einem Schild.

Vertrauensleute-Sprecher und seine Kollegen identifizieren sich mit ihrem Unternehmen, streiken aber trotzdem für mehr Geld.

„Container-Slalom“

Wie schwierig die Lage in den Häfen aktuell aus Arbeitnehmersicht ist, macht Christian Baranowksi, Betriebsratschef der HHLA-Tochter CTB Container Terminal Burchardkai, deutlich: „Die Kollegen fahren Slalom.“ Verdi-Vertrauensmann Kara bestätigt dies auch für das Containerterminal Bremerhaven. Dies führe am Ende zu geringerer Produktivität bei der Verladung von Containern.

Dass die Terminals überlastet sind, ist auch die Einschätzung von Hanja Maria Richter. Die Sprecherin von Hapag-Lloyd für den Bereich Flotte, Trade Management und Operations unterscheidet zwischen Import und Export. Für Letzteres habe die Wirtschaft inzwischen „gute Wege gefunden“. Beispiel Zeitfenster: Die Beteiligten sorgten dafür, dass Container mit Waren aus Deutschland oder der Europäischen Union (EU) „nicht gerade drei Wochen“ im Hafen abgestellt werden. Anders sehe es auf der Importseite aus. Hier staue es sich, weil entweder Züge fehlten, keine Lkw für den Transport vorhanden seien oder der Kunde schlichtweg die Ware nicht benötige.

Hapag-Lloyd: Schiffe sind gut unterwegs

Im Gegensatz zu Verdi-Mann Schroeter findet die Hapag-Lloyd-Sprecherin, dass die Schiffe auf den Linien gut unterwegs sind. Nur kämen sie eben nicht durch den Flaschenhals Hafen. Vor diesem Hintergrund sei der Dienst „China-Germany-Express“ beispielsweise von Hamburg nach Bremerhaven verlegt worden, um Europas größten Hafen zu entlasten. Die Großreederei spielt indes eine weitere Rolle – als Terminalbetreiber in Wilhelmshaven.

Dass die Länder Bremen und Niedersachsen Deutschlands einzigen tidenunabhängigen und von Anfang an umstrittenen Hafen überhaupt gebaut haben, sei jetzt ein Glücksfall, findet Eurogate-Sprecher Steffen Leuthold. Wegen der bislang niedrigen Auslastung könnten zum Beispiel für Hamburg und Bremerhaven geplante Anläufe nach Wilhelmshaven umgeleitet werden.

Karte der Deutschen Bucht

Jeder gelbe Punkt markiert ein auf Reede in der Deutschen Bucht liegendes Schiff. Screenshot: Buschmann

Containerschiffe auf Reede

Trotzdem reichen die Kapazitäten in den Häfen nicht aus, alle Schiffe pünktlich und dem Fahrplan entsprechend abzufertigen. Die Folge: Statt in den Häfen festzumachen, müssen die Containerriesen auf einem der Ankerplätze in der Deutschen Bucht warten – sie liegen auf Reede. Das Schiffsverfolgungs-Portal „Vesselfinder“ verzeichnet aktuell 16 Containerschiffe auf Warteposition.

Wann sich die Lage entspannt, ist zurzeit noch nicht abzusehen. Hapag-Lloyd verweist auf seinen Geschäftsbericht vom Mai: „Wir rechnen mit einer angehenden Normalisierung ab der zweiten Jahreshälfte.“ Auch das ISL geht davon aus, dass die Lieferketten bis Ende des Jahres angespannt bleiben. So lange müssen sich beispielsweise Konsumenten zum Beispiel sehr viel eher um einen neuen Anzug kümmern. „Da müssen Sie drei Wochen vorher kommen“, erklärt denn auch der Verkäufer eines Bekleidungsfachgeschäftes, „wir wissen ja nicht, wo der Container gerade steht.“

Worum es im Tarifstreit geht

Die Gewerkschaft Verdi und der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) verhandeln seit Wochen über einen neuen Tarifvertrag für die rund 12.000 Mitarbeitenden in den deutschen Seehäfen – bislang jedoch ohne Ergebnis. Verdi fordert unter anderem eine Erhöhung der Stundenlöhne um 1,20 Euro, in Vollcontainerbetrieben wie Eurogate oder der HHLA eine Erhöhung der jährlichen Zulage um 1.200 Euro und einen bislang noch nicht bezifferten „tatsächlichen Inflationsausgleich. Laufzeit: 12 Monate.

Der ZDS hat nach drei Verhandlungsrunden noch einmal nachgebessert. Das „finale“ Angebot der Arbeitgeber: Erhöhung der Stundenlöhne um 1,20 Euro bei einer Tariflaufzeit von 18 Monaten. Im Autoumschlag soll es um 90 Cent mehr in der Stunde geben. Darüber hinaus soll die Zulage im Container-Bereich um 1200 Euro steigen. Weitere Vorschläge sind eine Einmalzahlung in Höhe von 1000 Euro in Vollcontainerbetrieben. Für die Mitarbeitenden in konventionellen soll es 500 Euro geben. Dies reicht der Gewerkschaft nicht aus, sie stört sich insbesondere an der Laufzeit des Tarifvertrages.

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