Boris Johnson und die Zwei aus der Agentur

Wer mit der Deutschen Bahn quer durch Deutschland reist, erlebt so einiges. Zum Glück gibt es nicht nur Ärger wegen voller, verspäteter oder ausgefallener Züge. Es gibt auch Mitmenschen, über die unser Autor schmunzeln und herzhaft lachen kann

Von Ulf Buschmann

IC 2213 vom Ostseebad Binz nach Stuttgart: Mein Kollege Andree Wächter und ich stehen an Gleis 6 des Bahnhofs Stralsund und warten, dass unser Zug kommt. Es geht zurück von Greifswald nach Bremen. Wir erleben in diesen Tagen ein kleines Wunder: Der IC ist pünktlich und auch nicht überfüllt. Aber ganz ohne Panne kann die Deutsche Bahn nicht – Waggon Nummer 5 ist gesperrt, weil die Klimaanlage ausgefallen ist. Wir sitzen glücklicherweise zwei Wagen weiter, in Nummer 7.

Kurz nach uns steigt ein freundliches Ehepaar aus den Niederlanden ein. Sie haben die beiden Plätze neben uns reserviert. Gerade noch haben wir diese mit unseren Rucksäcken belegt. Macht aber nichts, die Sitzgruppe gegenüber ist frei, also nehmen wir dort Platz. Zwar sind die Fensterplätze ab Rostock reserviert, „aber vielleicht kommen die ja nicht“, hofft mein Kollege. Es kommt anders, also trollen wir uns wieder auf unsere regulären Plätze.

Ich, der Boris-Alias

Ich sitze jetzt neben der Dame und biete ihr mein Ladekabel fürs Smartphone an. Sie bedankt sich. Wir kommen ein bisschen ins Gespräch. Sie freut sich über meine blonden Haare und meine zugegebenermaßen etwas verwegene Frisur. „Wir finden, Sie sehen aus wie Boris Johnson“, sagt die Frau zu mir, „mein Mann findet das auch.“ Beide lächeln mich freundlich an, während ich wohl ziemlich sparsam gucken muss. Dass mich jemand mit dem britischen Premierminister vergleicht, habe ich noch nicht erlebt.

Doch, doch, finden die Frau und der Mann aus dem Nachbarland, ich hätte genau die gleiche Frisur. „Ich glaube aber, dass die Haare von Herrn Johnson gebleicht sind“, meine ich, „so wie die von Marilyn Monroe.“ Den Vergleich mit den wild abstehenden Zossen, die mir meine Friseurin glücklicherweise wieder in Form bringt, mag ich noch gelten lassen. Aber die Haarfarbe? Da bin ich doch anderer Auffassung. Aber die Frau sitzt irgendwie am längeren Hebel: Sie holt den Ausriss aus einer Zeitung aus ihrer Tasche: „Schauen Sie, das ist bestimmt nicht gefärbt.“

Ich gebe mich geschlagen. Wenigstens kann ich unseren Mitfahrern erzählen, dass ich die Gnade des späten Ergrauens von meinem Papa geerbt habe: „Der ist auch erst mit Anfang 60 grau geworden.“ Innerlich aber bin ich noch immer fassungslos – scheinbar gibt es keine gute Berühmtheit, der ich ähnlich sehe. Immerhin bin ich mit Anfang 20 Mal mit Boris Becker verglichen worden. „Aber der ist nicht so fett wie Du!“, war die unwesentliche Einschränkung des Mitmenschen. Ich schreibe meiner guten Freundin und Quasi-Schwester Kasia in der Kaschubei, was ich gerade in Sachen Boris Johnson-Vergleich erlebt habe. Ihre Antwort verblüfft mich: „Das sagt meine Mutter auch.“ Tolle Wurst!

Die Zwei aus der Agentur

Die Zeit vergeht, wir kommen, wieder oh Wunder, pünktlich in Hamburg an. Zwischendurch drängeln sich diverse Passagiere zwecks Aussteigewunsch an uns vorbei. Eine junge Dame rollt ihren Koffer über meinen Fuß und kommt leicht ins Straucheln. Das passiert den beiden jungen Damen nicht, die sich auf die beiden freien Plätze gegenüber setzen – ihr Reisegepäck besteht scheinbar nur aus jeweils einem kleinen Rucksack und ihren Notebooks. Nicht zu vergessen die Mobiltelefone. Eines dieser Teile packt die Dame mir gegenüber sogleich aus und telefoniert.

Privatgespräche führen beide aber nicht. Denn ich, der nicht neugierig ist, sondern nur alles wissen muss, verlängert leicht den Hals und spitzt die Ohren: Durch einen gekonnt unauffälligen Blick auf das Notebook der Dame auf meiner Seite stelle ich fest: Oh, die arbeiten entweder im Auftrag oder für eines der namhaftesten Medienunternehmen Deutschlands – es ist übrigens jenes, das T-Online gekauft hat. Während die Dame schräg gegenüber bis kurz vor Rotenburg (Wümme) mit einem Kollegen oder einer Kollegin telefoniert, chattet die Zweite über einen der gängigen Messenger und wechselt immer wieder auf die Internetseite.

Ich verkneife mir eine, natürlich rein berufliche, Nachfrage. Stattdessen schalte ich die Ohren auf Empfang. Wer weiß, vielleicht springt ja eine gute Geschichte dabei heraus. Aber ich höre nur belangloses – zumindest für mich: „Wie war die Präsentation in Frankfurt?“ Antwort: „Oh, die war gut.“ Nächste Frage: „Was macht Duisburg?“ Die eine oder andere Antwort klingt ein bisschen wie Klischee: Alles ist hip in der Werbung und im Marketing.

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