Das Generationenprojekt

Die niedersächsische Gemeinde Schwanewede hat dem Bund für knapp eine Million Euro das über 80 Hektar große Gelände der ehemaligen Lützow-Kaserne abgekauft. In zehn bis 15 Jahren entsteht dort eine Mischung auf Wohnen, Gewerbe und Freizeit. Die Planungen sollen dabei komplett in der Hand der Gemeinde bleiben. Für den 27. September ist eine Bürgerversammlung mit Workshops geplant.

Von Ulf Buschmann

Kein Schritt ohne Votum der Gemeinde – so oder ähnlich lässt sich das beschreiben, was in Schwanewede geschehen soll. Die an Bremen grenzende Kommune hat Ende Juli den Vertrag zum Kauf des Geländes der ehemaligen Lützow-Kaserne mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) unterschrieben. Der Kaufpreis beträgt 980.000 Euro. Das Areal ist rund 80 Hektar groß. „Der derzeitige Planungsentwurf des Nutzungskonzeptes sieht Wohnbebauung, Mehrgenerationenwohnen, Sport- und Freizeitflächen, Gemeinbedarfsflächen und Flächen für nicht-störendes Gewerbe vor“, sagt Bürgermeisterin Christian Jantz-Herrmann (SPD).

Es sind bis zu 500 Wohnungen, 40 Seniorenwohnungen, vier Flächen für nicht-störendes Gewerbe sowie für Einzelhandel und Dienstleistungen. Von den ehemaligen 80 Bundeswehrgebäuden sollen 59 abgerissen werden; zehn werden saniert, unter anderem eine Sporthalle. Apropos: Auch die vorhandene Sportfläche in der Mitte des Areals soll erhalten bleiben. Festgeschrieben ist das alles im Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK). Hintergrund: Das Projekt wird vom Bund und vom Land Niedersachsen gefördert.

Lützow-Kaserne: Ein geschlossenes Kasernentor.

Das Gelände der ehemaligen Lützow-Kaserne: Bei der Planung hält die Gemeinde stets alle Zügel in der Hand. Foto: Buschmann

Frühzeitige Einigkeit in den Gremien

Schon früh waren sich die politischen Gremien und die Gemeindeverwaltung einig, dass mit dem Kasernengelände einiges anders laufen soll, als es in diversen Orten geschehen war. Oberstes Gebot ist laut Jantz-Herrmann, dass die Gemeinde unter keinen Umständen das planerische Zepter aus der Hand gebe – beispielsweise durch einen kompletten oder auch nur teilweisen Weiterverkauf des Areals an einen oder mehrere privaten Investoren.

Stattdessen plant die Gemeinde die Gründung einer Entwicklungsgesellschaft. Hierzu laufen Verhandlungen mit der Niedersächsischen Landgesellschaft (NLG) – unter anderem deshalb, weil die Landgesellschaft nicht gewinnorientiert tätig ist und das Projekt deshalb nicht europaweit ausgeschrieben werden muss. An der 1915 gegründeten NLG sind das Land Niedersachsen zu 52 Prozent sowie Landkreise, Kommunen, Banken und andere Einrichtungen mit 48 Prozent beteiligt.

Wie eine Entwicklungsgesellschaft für die einstige Lützow-Kaserne aussehen wird, soll laut Jantz-Herrmann bis Ende des Jahres klar sein. Sie geht davon aus, dass Schwanewede 51 Prozent halten wird. Eines ist aber jetzt schon klar: Die NLG betritt mit ihrem Engagement völliges Neuland. Denn bislang ist sie entweder beratend tätig oder verkauft Immobilien im Auftrag des Landes. In Sachen Schwanewede ist das Unternehmen jedoch mit seiner Geschäftsstelle Bremerhaven direkt in die Entwicklung beziehungsweise das Projekt eingebunden.

Lützow-Kaserne: Schwanewedes Bürgermeisterin Christina Jantz-Herrmann.

Schwanewedes Bürgermeisterin Christina Jantz-Herrmann betont, dass die Planung in der Hand der Gemeinde bleibt. Foto: Gemeinde Schwanewede

Zug um Zug entwickeln

Gut zu tun gibt es auch für die Vertreter der Gemeinde. Angesichts des anfallenden Arbeitsvolumens laute das Gebot der Stunde „Zug um Zug“, erklärt die SPD-Bürgermeisterin. „Bei einem Projekt in dieser Größenordnung sind die unterschiedlichsten Anspruchsgruppen zu bedienen und mit einzubeziehen: Bürger*innen innerhalb des Gemeindegebiets, aber auch überregionale Interessent*innen, öffentliche Institutionen, Investoren, Planungsbüros, Fördermittelgeber und viele mehr“, ergänzt sie. Und: „In diesem Zusammenhang ist eine engmaschige, agile, transparente Kommunikation und öffentliche Beteiligung geboten. Schwanewede möchte den Planungsprozess so transparent wie möglich gestalten.“

Bereits jetzt wissen die Bürger*innen, was die Gemeinde an Geld aufbringen muss. So hat Jens Bunk, Allgemeiner Vertreter der Bürgermeisterin, schon im vergangenen Jahr Kosten und Nutzen ausrechnen lassen. Danach fallen knapp 34 Millionen Euro Sanierungskosten an. Dem gegenüber stehen Erlöse durch Grundstücksverkäufe, beispielsweise an Häuslebauer, in Höhe von 20,9 Millionen Euro – unter dem Strich macht die Gemeinde Schwanewede ein Defizit von rund 12,5 Millionen.

Lützow-Kaserne: Schwanewedes Ortsbürgermeister Martin Grasekamp

Martin Grasekamp, Schwaneweder Ortsbürgermeister und Vorsitzender des Konversionsausschusses der Gemeinde. Foto: Ulf Buschmann

Bis in die Ortsmitte

Für eine Gemeinde wie das gut 20.500 Einwohner große Schwanewede erscheinen die Zahlen auf den ersten Moment hoch. Allerdings sind sich bis auf die Grünen alle im Rat vertretenen Parteien und Wählergemeinschaften einig, dass dabei der Entwicklungszeitraum von zehn bis 15 Jahren berücksichtigt werden müsse. „Die SPD-Fraktion findet, dass es eine Chance ist, die man ergreifen muss“, sagt unter anderem Björn Herrmann, Vorsitzender der Sozialdemokraten im Gemeinderat. Martin Grasekamp, Ortsbürgermeister und Vorsitzender des Konversionsausschusses der Gemeinde, nennt noch einen Grund dafür, dass es gut investiertiertes Geld ist: „Das Kasernengelände reicht bis in die Ortsmitte hinein.“

Mit der zivilen Nutzung des Kasernengeländes beginnt übrigens für die Gemeinde innerhalb von 80 Jahren das dritte Mal ein neuer Zeitabschnitt: 1943 errichteten die Nationalsozialisten zwischen den beiden Ortschaften Neuenkirchen und Schwanewede ein Konzentrationslager. Die Insassen mussten die verbunkerte U-Boot-Werft mit Decknamen „Valentin“ errichten. Für einen urbanen Entwicklungsschub sorgte ab 1958 die neu aufgestellte Bundeswehr mit gleich zwei neuen Standorten: der Lützow-Kaserne und der Weser-Geest-Kaserne. Letztere ist heute ein in Privatbesitz befindlicher Gewerbepark.

Kauffläche der Lützow-Kaserne.

Rund 80 Hektar hat die Gemeinde vom Bund gekauft. Repro: Ulf Buschmann

Workshops am 27. September

Als die Bundeswehr im Jahr 2011 ankündigte, die Lützow-Kaserne bis Ende 2015 zu schließen, machten sich die Politiker*innen der Gemeinde daran, über die Zukunft nachzudenken. Erste Ideen hatten auch die Bürger der Gemeinde mit entwickelt. „Sie sind mit in unser Konzept eingeflossen“, erklärt Jantz-Herrmann gegenüber den Nord West Reportagen. Doch bevor es weitergehen konnte, diente die ehemalige Kaserne im Zuge der Flüchtlingszuzüge 2015/2016 als Erstaufnahmeeinrichtung des Landkreises Osterholz.

Voraussichtlich am 27. September ab 18 Uhr soll es nun weitergehen mit der Bürgerbeteiligung. Als Ort hat sich die Gemeinde das „Dorphus“ in Meyenburg ausgeguckt. Dort werden die Interessierten zunächst über den Stand der Planungen informiert. Anschließend sind zwei Workshops geplant – laut Bürgermeisterin einer für die Menschen „mit gesellschaftlichem Blick“. Den zweiten Workshop umschreibt sie mit „Was hätte ich denn gerne?“. Auch diese Ideen sollen mit ins städtebauliche Konzept einfließen, an dem aktuell gearbeitet wird.

Mehr zum Thema

Am Wochenende wird es ein Interview geben, das wir mit Martin Grasekamp in seiner Funktion als Vorsitzender des Konversionsausschusses geführt haben.

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