Der Mann mit den vielen Stimmfächern

Das Bremer Hafen-Revue-Theater ist zehn Jahre alt. Was anfangs eine Notlösung war, hat inzwischen einen festen Platz in der Bremer Kulturszene. Am 30. Oktober feiert das Hafen-Revue-Theater mit einer Gala seinen Geburtstag.

Von Ulf Buschmann

Wochenlange Proben, Kostüme schneidern und vieles mehr – alles war umsonst. Eine Woche vor der Premiere in Kiel kam die Absage. Die eigens produzierte Show „Tanz auf dem Vulkan“ war gestorben. Scheinbar. Doch unterkriegen ließen sich Claudia Geerken und Ulrich Möllmann nicht. Die beiden Köpfe der „Vocal Artisten“, die eigentlich an der Förde auftreten sollten, machten sich kurzerhand auf die Suche nach Räumlichkeiten, um doch noch spielen zu können. Diesmal allerdings in Bremen. So geschehen anno 2013.

Claudia Geerken und Ulrich Möllmann wurden an der Cuxhavener Straße fündig. Dort stand die alte Stauerei leer. Die Künstler machten daraus ein improvisiertes Theater. Der „Tanz auf dem Vulkan“ konnte doch noch stattfinden. Das Ganze lief so gut, dass Claudia Geerken und Ulrich Möllmann beschlossen, aus den verlassenen Räumen ein Theater- und Eventzentrum zu machen. „Das war die Quadratur des Kreises“, sagt Ulrich Möllmann und lacht dabei. Theaterräume seien stets schwarz, um mit Licht gestalten zu können. Eventräume hingegen seien hell.

Das Leitungsteam des Hafen-Revue-Theaters: Ulrich Möllmann und Claudia Geerken. Foto: Frank Schaub

Geburt des Hafen-Revue-Theaters

Das Team Geerken-Möllmann überwand die geometrischen Gesetze – das Hafen-Revue-Theater war geboren. Die erste Show auf der Bühne der neuen Spielstätte „Amors Rache“ hatte am 31. Oktober 2013 Premiere. Seinen zehnten Geburtstag feiert es am 30. Oktober mit einer großen Gala – das Ensemble lädt die Besucher zu einer Zeitreise durch alle bislang auf die Beine gestellten Produktionen ein. Zu hören und zu sehen werden nicht nur die Lieder aus den vier Hafenrevuen, sondern auch diverse Gassenhauer aus anderen Produktionen.

Der Name Hafen Revue Theater kommt nicht von ungefähr. „Wir wollen das produzieren, was im Überseehafen passierte“, umreißt Ulrich Möllmann die Philosophie. Dabei konzentrieren sich die Künstler auf die Zeit von 1950 bis 1980, „als der Bremer Überseehafen eine Relevanz hatte“, ergänzt Ulrich Möllmann. Er ist zusammen mit Claudia Geerken nicht nur der künstlerische Kopf, sondern auch Geschäftsführer.

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Hafen-Bremen-Überseehafen

Der Bremer Überseehafen war viele Jahrzehnte wichtig für Bremen. Foto: Wolfgang Fricke/CC BY 3.0

Wie wichtig der Ende der 1990er-Jahre zugeschüttete Hafen noch immer für die Identität der Bremer ist, zeige sich immer wieder. „Unsere Besucher erinnern sich an turbulente Zeiten.“ Die gab es in der Tat, vor allem in den frühen 1950er-Jahren. Wilde Streiks etwa waren keine Ausnahme. In den beiden Stadtteilen Walle und Gröpelingen waren die Hafenarbeiter eine Macht. Klassenbewusstsein gab es auch nach zwölf Jahren NS-Diktatur immer noch oder schon wieder.

Jedoch: Ein Großteil der Arbeiter schloss sich nicht der SPD an, sondern der im Jahr 1956 verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Viele traten der 1968 gegründeten Nachfolgerin Deutsche Kommunistische Partei (DKP) bei. Sie erzielte bei der Bürgerschaftswahl 1971 in Bremen ihren größten Erfolg in der Parteigeschichte: 3,1 Prozent. Da sich damals die Größe der Fraktionen in den Stadtteilbeiräten nach dem Ergebnis für die Bürgerschaft richtete, konnte die DKP auch in Walle und Gröpelingen politisch mitmischen.

Hafen-Revue-Theater-DKP

Bremens verstorbener Ehrenbürger und Mäzen war bis 1991 Mitglied der DKP. Foto: Bundesarchiv/Detlef Gräfinghold/CC BY 3.0

Rotes Bremen und Hafen-Revue-Theater

Die Geschichte dieses roten Bremen hat mittelbar etwas mit dem Hafen-Revue-Theater zu tun: Die alte Stauerei gehört der Dr. Hübotter Gruppe. Diese wurde von Bremens Ehrenbürger und Mäzen Otto-Klaus Hübotter gegründet. Er hatte eine kommunistische Vergangenheit. Seit 1950 war Hübotter Mitglied der KPD und ihrer Nachwuchsorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ), die bereits 1951 verboten worden war. Hübotter organisierte illegale Treffen und wanderte dafür ins Gefängnis.

Nach neun Monaten Untersuchungshaft 1953 wurde er drei Jahre später vom Landgericht Düsseldorf als „Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Vereinigung“ zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Untersuchungshaft war ihm angerechnet worden, die Reststrafe auf dem Gnadenweg erlassen. Hübotter schloss sich gleich nach ihrer Gründung der DKP an, aus der er erst 1991 austrat.

Hafen-Revue-Theater-Kultur-Bremen

„Liebe, Last und Fracht“ – die drei Dreh- und Angelpunkte der Menschen im Hafen. Foto: Frank Schaub

Politisches Boulevardtheater

Diesen Teil der Bremer Geschichte lassen die Akteure des Hafen-Revue-Theater auf sehr unterhaltsame Weise in ihre Revuen einfließen. „Wir gelten als Boulevardtheater, aber bei der Gestaltung unserer Rollen spielen auch politische Aspekte eine Rolle“, unterstreicht Ulrich Möllmann den Anspruch. Als Beispiel nennt er die Imbissbesitzerin Gerda aus der dritten Hafenrevue „Moderne Hafenzeiten“: Sie sei überzeugte Kommunistin.

Viele Menschen hätten gerade in den 1950er-Jahren von einer neuen Welt geträumt – so etwa bei den Weltjugendspielen 1957, als die Menschen nach dem Tod des sowjetischen Diktators Joseph Wissarionowitsch Dschugaschwili, besser bekannt unter seinem Kampfnamen „Stalin“, von der Entfaltung des Kommunismus sprachen. Damals sei das Lied „Podmoskovnie Vetchera“, auf Deutsch „Moskauer Nächte“, der Hit gewesen. „Heute hat der Song eine ganz andere Bedeutung“, meint Ulrich Möllmann. Gleichwohl gehöre das Stück zum Repertoire des Hafen Revue Theaters – wie viele andere in verschiedenen Sprachen. Neben Russisch sind es Französisch, Englisch, Spanisch. „Und Kölsch“, ergänzt Ulrich Möllmann mit einem Lachen.

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Spannung und Musik im „Hafenkrimi“. Foto: Frank Schaub

„Werder Bremen der Theaterszene“

Auf die Frage, wo das Hafen-Revue-Theater jetzt steht und wie die Zukunft aussieht, macht er Anleihen beim Sport: „Wir sind das Werder Bremen der Theaterszene. Wir können keine Stars halten, aber wir machen sie.“ Ulrich Möllmann nennt als Beispiele Antonia Schwinge, die von Bremen zu den Brandenburger Bühnen gewechselt ist, und Jessica Dubois-Luchee. Sie gehört seit einigen Wochen zum Cast des Musicals „König der Löwen“ in Hamburg.

Die Frage nach der Zukunft lasse sich auf keinen Fall ohne den Blick auf die Corona-Pandemie beantworten. Diese habe wie allen Kultureinrichtungen auch dem Hafen-Revue-Theater zugesetzt. Noch viel stärker als vor der Pandemie gelte es, das junge Publikum zu gewinnen. „Das gilt für alle Theater“, sagt Ulrich Möllmann. Und: „Wenn ich als Theater einen Feind benennen darf, dann sind das die Flachmedien.“ Damit meint er Smartphone, Social Media und Co.

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Die erste Produktion an neuer Stätte: „Amors Rache“. Foto: Frank Schaub

Neue Revue 2024

Doch unterkriegen lassen sich die Macher nicht. Im Gegenteil! „Wir spielen Shows, die es nur im Hafen-Revue-Theater gibt“, sagt Ulrich Möllmann. Immerhin: Etwa ein Viertel von dem, was im Bremer Stadtteil Walle auf die Bühne kommt, schreibt insbesondere Claudia Geerken. Ulrich Möllmann sagt: „Das trauen wir uns zu. Wir singen ja auch Gassenhauer, da darf unsere eigene Qualität nicht absinken.“

Dies gilt auch für die für das kommende Jahr geplante neue Revue. Ihr Arbeitstitel lautet „Agenten im Hafen“. Zum Inhalt verrät der Theaterchef so viel: „Die CIA und der bulgarische Geheimdienst spielen eine Rolle.“ Angesiedelt sei der Plot in den 1980er-Jahren.

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„Moderne Zeiten“: Jede Produktion ist ein reines Vergnügen, hat aber auch einen politischen Kontext. Foto: Frank Schaub

Die Geburtstagsgala

Die Gala zum zehnten Geburtstag des Hafen-Revue-Theaters steigt am Montag, 30. Oktober, 20 Uhr. Weitere Informationen gibt es hier.

Mehr über das Hafen-Revue-Theater und Kulturschaffende sind hier und hier zu finden.

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