Das Genießen genießen

Dieses Mal schlenkert Frank Schümann auf dem Festival-Gelände des Rolling Stone Beach an der Ostsee – und genießt das Genießen.

Von Frank Schümann

Ach, war das wieder schön! Zum sechsten Mal war ich am Wochenende bereits auf dem Festival Rolling Stone Beach am Weissenhäuser Strand, dem ehemaligen Weekender, dessen Name das auf der deutschsprachigen Ausgabe des Rolling Stone Magazins basiert – und entsprechende Musik präsentiert, Rock, Folk, Blues, Pop, Soul, Alternative und Indie. Sehr schön, speziell für (uns) ältere Semester, die weniger Lust auf überhitzte oder verregnete Sommer-Festivals haben, sich vielmehr in schönen, beheizten Apartments zwischen den einzelnen Konzerten ausruhen – man ist ja, wie gesagt, nicht mehr der Jüngste.

Ein guter Anfang

Gute Planung ist dabei die halbe Miete, und der Rest purer Genuss. Heißt im Klartext: den Freitag terminlich schon mal freistrampeln, vormittags auf die Autobahn, nachmittags ankommen, etwas essen, Apartment beziehen, und ab zum ersten Konzert. Soweit die Theorie, in der Praxis kommt man dann doch etwas später los und etwas später an – in diesem Falle allerdings versüßt durch den Umstand, dass unser Apartment dieses Mal nicht wie sonst meistens am anderen Ende des Geländes liegt, sondern mitten in dem Tourismuszentrum, in dem sich drei der vier Konzert-Locations befinden – heißt: kurze Wege, dicke Jacken überflüssig. Ausgezeichnet, das ist doch ein guter Anfang!

Zwei Konzerte vor dem Essen

Zum Essen kommen wir trotzdem erst nach den ersten beiden Konzerten – gegen Acht und mittlerweile reichlich hungrig. Das Eröffnungskonzert im großen Zelt geben aber erst einmal Die Nerven, die ihrem kraftvollen Postpunk im Laufe der Jahre mehr als nur eine Prise klassischem Rock hinzufügten, was ihnen ausgesprochen gut steht – wobei sie im Gegensatz zu anderen Bands, die diesen Weg auch gingen, ihre Herkunft keinesfalls verleugnen. Starker Auftakt! Gerade noch rechtzeitig bekommen wir dann mit, dass zwei Zeitslots getauscht wurden, wodurch auch wir unseren Zeitplan verändern – speziell Kumpel Michi will Tristan Brusch unbedingt sehen, und ich freue mich im Nachhinein, dass ich mitgekommen bin. Eine tolle Präsenz hat der Singer/Songwriter aus Gelsenkirchen, schöne Kompositionen, eine gut abgestimmte Live-Band (mit Geigerin) und außergewöhnliche Texte ebenfalls. Und danach: Endlich essen!

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Alle Termine sind weit weg

Aber keine Angst, ich will hier nicht akribisch mein komplettes Programm nacherzählen – aber vielleicht ein Gefühl dafür vermitteln, wie ein solches Wochenende den Alltag wirklich von jetzt auf gleich in den Hintergrund rücken kann. Nach dem Essen jagt ein Konzert das nächste, Hauptthema ist jeweils, wann man welche Location verlässt und wo man sich dann wiedertrifft – gar nicht so einfach. Das Schönste aber ist, neben dem Genuss der Musik, dass alle vorher noch erwarteten Mails, alle Termine, alle möglicherweise vorhandenen Sorgen plötzlich in weiter Ferne sind – und bis Sonntagvormittag (und der nahenden neuen Arbeitswoche) auch nicht mehr wiederkommen. Daran ändert der geringe Schlaf ebenso wenig wie die immer stärker schmerzenden Füße (man steht halt doch sehr viel) oder der Umstand, dass mich die eine oder andere der Bands, auf die ich mich gefreut hatte, nicht wirklich abholt.

Tolle Entdeckung: Jerry Leger

Dafür gibt es dann genug andere Acts, die es bei halbwegs vernünftiger Planung zu entdecken gilt. Bei mir waren das (neben Tristan Brusch) vor allem der Ex-Arcade Fire-Gitarrist Will Butler mit seinen Sister Squares und äußerst tanzbarem Indie-Pop sowie am Ende des zweiten Tages der kanadische Singer-Songwriter Jerry Leger, der mit seinem Heartland-Rock und einer Stimme zwischen Tom Petty und Roy Orbison (!) nicht nur mich ins Schwärmen brachte. Für diese beiden alleine lohnte sich auch in diesem Jahr wieder der Besuch – neben dem oben genannten Aspekt.

Etwas schwächeres Line-up? Egal!

Okay, das Line-up war vielleicht schon mal besser, alle Veranstalter leiden bekanntermaßen (und nachvollziehbar) unter den Folgen der Corona-Pandemie. Rund 4000 Leute aus dem gesamten norddeutschen Raum waren dennoch wieder dabei und – wie es die Gesichter eindeutig wiedergaben – zu größten Teilen zufrieden. Und, besonders schön: Mag dieser Umstand vor dem Wochenende noch ein nicht unwesentliches Thema gewesen sein – auf dem Gelände war es egal.

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Den meisten geht’s wie uns

Zumal man eben auch auf zahlreiche nette Menschen trifft, denen es genauso geht wie einem selbst. Etwa Seppel und Annika, die wir vor Jahren hier kennengelernt hatten und seither regelmäßig wiedersehen. „Und, was war Euer Highlight bis jetzt?“, frage ich Seppel zu Beginn des zweiten Abends zwischen Charlotte Brandi und Thees Uhlmann „Lee Fields“, sagt er, „ganz toller Soul.“ „Aha“, sage ich, „nee, da waren wir nicht, wir waren bei Tristan Brusch“. „Ach nee, das war gar nichts für mich“, sagt Seppel, „Chansons, da war ich nicht drauf eingestellt – eigentlich sollte in diesem Zeitfenster ja jemand anderes spielen, Girl and Girl, das hatten wir nicht mitgekriegt.“ Ich nickte wissend. Es stellt sich heraus, dass Annika und Seppel einen ganz anderen Zeitplan hatten als wir – und trotzdem ein tolles Wochenende.

Das übrigens gefühlt nur noch wenigen Stunden schon wieder vorbei war – so kurzweilig waren diese zwei Tage, Sonntagmittag ging es wieder zurück. Fahren wir wieder hin? Ja klar!