Aus sieben oder vier mach eine

Weniger Mitglieder, weniger Geld: Immer mehr Kirchengemeinden schließen sich zusammen. Zwei Beispiele aus Bremen und dem Wangerland.

Von Ulf Buschmann

Einmal tief durchatmen – das hieß es am 29. November im Bremer Stadtteil Vegesack. Dort gibt es ab 1. Januar drei Kirchengemeinden weniger. Sozusagen. Denn nach mehr als einem Jahr Vorbereitung hat das Parlament der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK), der Kirchentag beschlossen: Die Gemeinden Vegesack, Alt-Aumund, Christopherus und Aumund reformiert schließen sich zusammen. Die Evangelische Kirchengemeinde Aumund-Vegesack ist nach der Domgemeinde und Martin Luther in Findorff mit rund 7.600 Mitgliedern die drittgrößte in Bremen. Es folgt die neue Evangelische Brückengemeinde Bremen mit 7.500 Menschen. Unter diesem neuen Dach vereinigen sich ebenfalls mit Beginn des neuen Jahres die Kirchengemeinden Melanchthon, Guter Hirte, Hemelingen und Versöhnung.

Kirchengemeinden sind voll im Trend. Dies geschieht nicht immer aus freien Stücken, doch die steigende Anzahl der Kirchenaustritte und die damit verbundenen wegbrechenden Einnahmen aus Kirchensteuern lassen den Verantwortlichen zumeist keine Wahl. Den Zusammenschluss von oftmals kleinen Gemeinden versüßen die Landeskirchen in der Regel mit ordentlichen Zuschüssen für zeitgemäße Gemeindezentren. Wo dies nicht funktioniert, machen die Oberen der Landeskirchen bisweilen Druck: Sollten bis zu einem Zeitpunkt X keine Maßnahmen in Richtung Zusammenschluss ergriffen worden sein, gibt es keine Zuschüsse für die Sanierung der vielfach maroden Gemeindezentren mehr.

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Der emotionale Faktor

„Zahlen, Daten und Fakten sind die eine Seite“, sagt Mirjam Steinhard, „es gibt aber auch die andere Seite der Emotionen.“ Sie und ihre Kollegin Claudia Zimmer sind bei der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) für die Gemeindeberatung und Organisationsentwicklung zuständig – und nicht nur im Süden der Republik gefragt. Emotionen fangen die beiden Organisationsentwicklerinnen auf, indem sie mit den beteiligten Gemeindegliedern und Kirchenvorständen darüber ins Gespräch kommen. Das Thema Emotionen ist Bestandteil eines von vier großen Schwerpunktthemen. An erster Stelle steht die Identität. Hinzu kommen Finanzen, Recht sowie Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Zuständig für jeden Schwerpunkt ist eine Steuerungsgruppe, die aus Mitgliedern der Kirchenvorstände sowie „benannten Menschen mit Expertise“ bestehen, so Zimmer. Ihre Erfahrung: Jeweils einer oder eine aus der jeweiligen Gruppe müsse als Verantwortlicher den Hut aufhaben.

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Sie beraten und begleiten Gemeinden beim Fusionsprozess: Mirja Steinhard (links) und Claudia Zimmer. Foto: Ev. Kirche im Rheinland

Zwei Tonspuren und ein langer Weg

Dies gilt gerade auch für das so wichtige Thema der Identität. Hierzu gehören unter anderem die Geschichte(n) und Tradition(en) jeder einzelnen Kirchengemeinde. „Darüber miteinander ins Gespräch zu kommen, braucht Zeit“, weiß Steinhard. Identität habe einen so hohen Stellenwert in den Gemeinden, dass es in allen Gesprächen „als eine Tonspur“ immer mitlaufe. Steinhard legt noch eines drauf: „Die zweite Tonspur ist die Kommunikation nach innen und nach außen.“ Sie und ihre Kollegin wissen: Nichts ist schlimmer als der berühmt-berüchtigte Buschfunk: „Wir fragen die Beteiligten auch danach, warum für sie keine Fusion infrage kommt. Dann liegen alle Ängste auf dem Tisch.“

Die beiden Fachfrauen aus dem Rheinland wissen: Der Weg zu einer neuen Gemeinde ist lang. So auch im äußersten Nordwesten. Dort vereinigten sich zum Beginn des Jahres 2023 sieben einst selbstständige zur Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde im Wangerland. Dass es harte Zeiten werden, waren sich die dortigen Vertreter der Kirchengemeinden bereits 2019 beim Blick auf den Stellenplan der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg bewusst. Die Anzahl der Pfarrstellen soll ab 2024 von dreieinviertel beziehungsweise vier auf de facto zwei schrumpfen. Und zwar für alle neun damals selbstständigen Kirchengemeinden.

Unter diesen Rahmenbedingungen kirchlich-religiöses Leben aufrechtzuerhalten, dürfte schwierig werden, waren sich die Verantwortlichen klar. Zwar gab es bislang sogenannte verbundene Pfarreien: Doch alsbald wurde deutlich, dass auch die Konstruktion des verbundenen Pfarramtes zu klein ist und „dass im Grunde genommen der nächste größere Schritt gemacht werden muss“. Noch im Jahr 2019 machten sich die Mitglieder des Vorstandes des damals schon bestehenden Kirchenbezirks Wangerland an die Arbeit. Diese Einsicht gibt Stefan Grünefeld wieder. Er ist einer der Pastoren, die den Wangerländern erhalten bleiben.

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Blick über das Wangerland in Richtung Nordwesten. Foto: Ra Boe/CC BY-SA 3.0

Fusion: Aufgabe des Bezirksvorstands

Grünefeld skizziert die vor vier Jahren im Raum stehenden Fragen: „Soll diese Art der analogen Zusammenarbeit bleiben oder soll es wirklich eine gegliederte Gesamtgemeinde werden?“ Was der Bezirksvorstand erarbeitet habe, sei immer wieder in die Gemeindekirchenräte und die Gemeinden zurückgespiegelt worden: in den Gemeindeblättern, über die Internetpräsenzen und durchaus auch bei den Abkündigungen in den Gottesdiensten. Heißt: Die Gemeinde hat versucht, so gut wie möglich zu informieren. Kommunikation und Transparenz seien dabei sehr wichtig, betont der Geistliche. Nach der grundsätzlichen Zustimmung ging es weiter: Entwurf einer Gemeindesatzung, Organisation des Fusionsprozesses und einiges mehr. Die Vereinigung wurde schließlich zum 1. Januar 2023 vollzogen. Seitdem heißt es Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Wangerland.

Ursprünglich hatten sich die neun des bisherigen Kirchenbezirks auf den Weg zur Einheitsgemeinde gemacht; geblieben sind am Ende sieben. Zwei Gemeinden haben für sich entschieden, erst einmal selbstständig zu bleiben. „Den beiden Gemeinden war es wichtig, erst alle Entscheidungsgewalt für sich zu behalten. Deshalb haben sie sich erst einmal gegen eine Fusion entschieden“, sagt der Geistliche.

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Die Dorfkirche Hohenkirchen, jetzt Teil der neuen Gemeinde Wangerland. Foto: Klostermönch/CC BY-SA 3.0

Zusammenschluss: Jetzt 4.200 Glieder

Die neue Gemeinde hat nach seinen Angaben etwa 4.200 Glieder. Zum Vergleich: Die kleinsten Urgemeinden hatten 170 bis 175 Glieder. „Wir sind ein sehr ländlicher Raum mit einer unglaublich hohen Zahl von Sakralgebäuden und Friedhöfen“, beschreibt Grünefeld eine der Herausforderungen für die Zukunft. Dazu gehörten neun Kirchen sowie elf Friedhöfe. Die jüngsten Gotteshäuser seien rund 500 Jahre alt. Hinzu kämen weitere Immobilien wie die sechs Gemeindezentren beziehungsweise -häuser.

Sakralgebäude abzustoßen, stehe derzeit nicht zur Diskussion, so Grünefeld. Jedoch: „Von einigen Gemeindehäusern werden wir uns in naher Zukunft trennen müssen, das ist aktuelle Diskussion.“ Daran komme die Gemeinde angesichts immer weniger Geldes in den Kassen nicht vorbei. Dies werde sicherlich ein schmerzlicher Prozess. Die Sakralgebäude wird es allerdings zuletzt treffen, zumal sie zur kulturellen Identität des Wangerlandes gehören.

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Ist Teil der neuen Kirchengemeinde Wangerland: die Kirche Weddewarden-Westrum. Foto: Gregor Helms/CC BY-SA 3.0

Die Menschen mitnehmen

Die Gebäude- und Immobilienfrage zu klären, ist nicht die einzige Herausforderung, der sich die Gemeinde und ihre Verantwortlichen in den Gremien gegenübersehen. Vor allem die Menschen heiße es mitzunehmen, ist Grünefeld überzeugt. Er ist damit auf Steinhards und Müllers Welle. „Kommen wir in dem Gesamtgebilde noch vor, werden hier berücksichtigt?“, spiegelt der Wangerländer Pfarrer die wohl am häufigsten gestellte Frage zurück. Dies habe mit der ländlichen Struktur der Region zu tun. Vor diesem Hintergrund habe die Befürchtung, nicht mehr im neuen Gebilde vorzukommen, auch etwas mit der Gebäudefrage zu tun.

Die aktuelle Diskussion wird daran deutlich, dass die Gemeinde vorhat, ein Gemeindehaus abzugeben, das nach Möglichkeit aber weiterhin dem Gemeinwohl zur Verfügung stehen soll. Dies sei der Gemeinde wichtig, betont der Wangerländer Pfarrer: „Es geht nicht darum, einen möglichst hohen Verkaufspreis zu erzielen, sondern darum, dass das Haus weiterhin ein Treffpunkt der Dorfgemeinschaft ist.“

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Immer weniger Christen beten unter den Altären. Foto: Ulf Buschmann

Formale Struktur ist uninteressant

Generell glaubt der Pfarrer nicht, dass es der Gemeinde gelingt, alle Glieder mitzunehmen. „Ich würde auch bezweifeln, dass es gelingt, alle Kirchenältesten mitzunehmen, und das sehen sie schon“, sagt Grünefeld. Und: „Ein Zeichen ist ja, dass von neuen Gemeinden, die wirklich intensiv verhandelt haben und intensiv gearbeitet haben, zwei abgesprungen sind. Ich vermute, der größte Teil unserer Gemeindeglieder interessiert sich für die formale Struktur unserer Kirche herzlich wenig.“

Aber es gibt eben auch die Glieder, die sich für die kirchliche Zukunft interessieren. Damit diese Menschen ins neue Gemeindeschiff einsteigen, rät Grünefeld noch einmal, offen zu kommunizieren: „Mein Weg war neben Öffentlichkeitsarbeit ganz schlicht der Weg in die Gruppen und Kreise“, sagt der Wangerländer Pastor: „Ich glaube, das war ganz sinnvoll.“ Die Erfahrungen, die die Wangerländer gemacht haben, fasst Grünefeld so zusammen: „Es ist ein langer, aufwendiger Prozess. Mit dem formalen Akt ist die Arbeit noch lange nicht zu Ende.“