Begegnungen durch Zufall

Die Kirchengemeinde Unser Lieben Frauen in Bremen bringt Menschen am Rande der Gesellschaft, Passanten und Touristen zusammen.

Von Ulf Buschmann

Musik klingt durch das mächtige Kirchenschiff der Bremer Liebfrauenkirche. Ein Tourist aus Österreich improvisiert am Bechstein-Flügel. Dass der Mittvierziger hier einfach so in der Kirche spielen kann, findet er „unglaublich“. In Sichtweite des Musikers an der Seite des Kirchenschiffs haben Menschen an den bereitstehenden Tischen Platz genommen. Auch gegenüber sitzen einige Menschen. Sie alle warten aufs Essen. Es gibt Erbsensuppe – wie jeden Montag um 12 Uhr. Bereits um 10 Uhr gibt es Frühstück, um 14.30 Uhr auch noch Kaffee und Kuchen. „Winterkirche“ heißt das Angebot der Kirchengemeinde Unser Lieben Frauen in der Bremer Innenstadt – Andacht und 20-minütiges Konzert inklusive. Finanziert wird das alles über die Diakonie der Gemeinde und über Spenden.

Auf den ersten Blick wirkt die „Winterkirche“ wie zahlreiche Angebote für Menschen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen beziehungsweise nicht gerade mit Reichtümern gesegnet sind. Für diese halten die evangelischen und katholischen Kirchen zahlreiche Angebote bereit. In Hannover haben die Verantwortlichen kürzlich die Ökumenische Essensausgabe für wohnungslose Frauen und Männer vorgestellt, die es seit mehr als 30 Jahren gibt. Auch in Bremen besuchen Menschen ohne Dach über dem Kopf die „Winterkirche“. Der Unterschied: An der Unterweser bringen die zumeist ehrenamtlich Mitarbeitenden die Menschen am Rande der Gesellschaft einerseits sowie Passanten und Touristen, die sich die älteste Stadtkirche der Hansestadt anschauen, andererseits miteinander ins Gespräch.

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Pastor Stephan Kreutz begleitet die „Winterkirche“. Foto: Ulf Buschmann

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„Menschen, die mit wenig auskommen müssen“

Die Gemeinde habe das Glück, dass sich die Touristen die Bronzestatue der Bremer Stadtmusikanten gleich nebenan anschauen, sagt der verantwortliche Pastor Stephan Kreutz: „Wenn sie in die Kirche kommen, setzen sie sich meistens in die Mitte. Dort sprechen wir die Besucher an. So ergeben sich Gespräche untereinander.“ Auf den Bänken der Liebfrauenkirche liegen postkartengroße Informationen. „Eingeladen sind Menschen, die mit wenig auskommen müssen und alle, die gerne Menschen begegnen möchten, die sie sonst nie kennenlernen würden“, ist darauf über den Sinn und Zweck der „Winterkirche“ zu lesen.

An diesem Montag regnet es jedoch zeitweise in Strömen, die Anzahl der Passanten und Touristen in der Liebfrauenkirche ist überschaubar. Erst kurz vor Feierabend füllt sich die Mitte des Kirchenschiffs etwas, doch die Ehrenamtlichen packen bereits zusammen. Mehr Glück haben Kristina und Hagen Krämer. Die beiden gebürtigen Bremer leben seit 25 Jahren in Baden und sind zum 83. Geburtstag von Hagen Krämers Mutter in die alte Heimat gekommen. Der Wahl-Badener „findet es gut, dass die Kirche Menschen einen Raum gibt, die nicht so gut dastehen“. Kristina Krämer ergänzt: „Ich finde das ganz toll und ganz wichtig.“

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Hagen und Kristin Krämer leben seit 25 Jahren in Baden. Die beiden gebürtigen Bremer gewinnen der „Winterkirche“ viel Positives ab. Foto: Buschmann

Politisches Statement

Hagen Krämer blickt auf den sozialen Aspekt und sieht die „Winterkirche“ in der Tradition der politischen Statements der Kirchengemeinde Unser Lieben Frauen in den 1980er-Jahren, in denen sich die Mitglieder klar pro Abrüstung und Frieden positioniert hätten. Auch Pastor Kreutz weist auf die politische Tradition der Liebfrauenkirche hin: „Aus dem Kreis unserer Ehrenamtlichen ist das ,Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen’ entstanden.“

Während der Geistliche und Hagen Krämer zurückblicken, sind die Teammitglieder auf flotten Sohlen unterwegs. Es gibt einiges zu tun, denn inzwischen ist Kaffeezeit. Alle Mitarbeitenden erledigen die anfallenden Arbeiten mit einem Lächeln im Gesicht. Die Stimmung ist gut. Vor allem freuen sich die Teammitglieder über die Unterstützung von zwei Konfirmanden von der benachbarten Domgemeinde. Die beiden Jungs hospitieren den ganzen Tag über – bei der „Winterkirche“ schenken sie unentwegt Getränke aus oder füllen Suppe auf Teller und in Terrinen. Dafür hat es einen freien Tag von der Schule gegeben. „Die beiden machen das ganz toll“, freut sich eine der Frauen.

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Die gute Laune überträgt sich auf die Besucher. Ein Herr schaut sich schon eine ganze Zeit um und freut sich über das Angebot. Ganz unbekannt sei es ihm nicht, meint er. Seine Kindheit habe er im Bremer Ortsteil Oslebshausen verbracht, lebe aber schon viele Jahre in der Schweiz. Wenn er seine Heimatstadt besuche, führe ihn der Weg auch immer wieder in die Liebfrauenkirche. Dem Wahl-Schweizer geht es da wie zahlreichen anderen Bremer Städtetouristen. Die Wirtschaftsförderung, die auch für das Tourismusmarketing zuständig ist, vermarktet die „Winterkirche“ jedoch nicht, „da es kein originär touristisches Angebot ist“, wie eine Sprecherin auf Nachfrage erklärt.

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Norbert Vahl (links) und Barbara Hartrumpf unterhalten die Besuchenden der „Winterkirche“ mit einem 20-minütigen Cellokonzert. Foto: Buschmann

In der Tradition der Vesperkirchen

Vorbild der „Winterkirche“ sind nach Auskunft von Pastor Kreutz die Vesperkirchen, die es vor allem in Süddeutschland gibt. Vesper bezieht sich dabei auf den schwäbischen Begriff, der früher mit einer Zwischen-, heute mit einer Hauptmahlzeit gleichgesetzt wird. Mehr als 70 evangelische Kirchengemeinden in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bieten Hilfe für Menschen an. Kern ist immer eine Mahlzeit, weitergehende Angebot sind von Ort zu Ort unterschiedlich. Hierzu gehören zum Beispiel die medizinische Betreuung, kostenloses Haareschneiden oder Gespräche zur Krisenbewältigung. Aber auch Berufsberatung, eine Spielecke für Kinder, Konzerte und Vorträge gehören dazu.

Die Bremer haben das Prinzip bei einem Kirchentag kennengelernt und sich in einer der Stuttgarter Kirchengemeinden schlaugemacht. Dies war vor mehr als 13 Jahren, denn so lange gibt es die „Winterkirche“ bereits. Diese beginnt jeweils im Oktober und endet im März. Von April bis September gibt es ein abgespecktes Angebot mit dem Titel „Montagskirche“. Der Unterschied: In der Zeit von 10 bis 15 Uhr gibt es nur Frühstück. Mehr, so Kreutz, lasse sich im Frühjahr und Sommer für die Gemeinde nicht stemmen.

„Winterkirche“ und „Montagskirche“

Die Winterkirche der Gemeinde Unser Lieben Frauen steht noch bis 31. März jeweils von 10 bis 15 Uhr auf dem Programm. Dieses wechselt leicht ab dem 1. April. Dann heißt das Angebot „Montagskirche“. Auch diese findet von 10 bis 15 Uhr statt – allerdings nur mit einem Frühstücksangebot.