Anlaufstelle für alle Welt
Die Seemannsmission Cuxhaven kümmert sich um Seeleute aus aller Welt. Durch zunehmenden Schiffsverkehr gibt es mehr Arbeit.
Von Ulf Buschmann
Inga-Kristin Thom zieht ihre Sicherheitsschuhe und die gelbe Sicherheitsjacke an. Sie nimmt die bereitstehenden Taschen, ihren Rücksack und die Autoschlüssel. Im Wagen liegt der Helm, den Thom aufsetzt, sobald sie sich innerhalb des Hafengebiets bewegt. Der Kleinbus hält heute vor dem Liegeplatz der „Antonia B.“, Heimathafen Hamburg, im Rhenus Cuxport Cuxhaven. Das Mehrzweckschiff hat Teile für Windkraftanlagen geladen.
An Bord wird Thom von Kapitänin Lea Brakemeier und ihrem 1. Offizier Denis Wasmut begrüßt. Die Besucherin ist gerne gesehen an Bord – Thom arbeitet für die Deutsche Seemannsmission Cuxhaven. „Seafearers’ Counsellor“ steht auf ihrer Visitenkarte. Bei der Frage nach der deutschen Übersetzung muss sie kurz nachdenken: „Bordbetreuerin ist wohl der richtige Begriff.“
Gastfreundschaft begegnet Thom auf allen Schiffen, denn die Männer und Frauen der Deutschen Seemannsmission sind für die Seeleute die Verbindung nach Hause. 33 Standorte gibt es weltweit, 14 in Deutschland. Außer Cuxhaven sind es Bremen, Bremerhaven, Brunsbüttel, Duisburg, Emden, Hamburg, Kiel, Lübeck, Rostock, Sassnitz, Stade, Brake und Wilhelmshaven. Alleine der Standort Hamburg bietet fünf Einrichtungen an. Der Slogan aller Seemannsmissionen weltweit lautet „Home away from home“. Kapitänin Brakemeier sagt: „Die Seemannsmission gibt den Besatzungen ein kleines Stück Zuhause.“
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Die vergessene Zahnbürste
Dies drückt sich in Hilfe für alle Lebenslagen aus. In Cuxhaven etwa können die Besatzungen einen von sechs vorhandenen Routern für mobiles Internet bekommen. Damit können die Seeleute, die sehr häufig von den Philippinen kommen und ihre Familien monatelang nicht sehen, Kontakt nach Hause aufnehmen. Aber auch den Zahlungsverkehr zwischen Deutschland und ihren Heimatländern können die Seeleute über die Seemannsmission abwickeln. Selbst einfache Dinge des Alltags sind möglich. Ein Beispiel hat Wasmut parat: „Auf der Fahrt nach Alborg hatte ich meine Zahnbürste vergessen. Ich habe eine Mail an die Seemannsmission geschrieben, als wir einliefen stand an Land einer mit einer Zahnbürste.“
Brakemeier gibt einen der Router an die Bordbetreuerin zurück. Im Gegenzug fragt diese, ob noch etwas gebraucht werde. Weltweit beliebt und wichtig für die Seeleute sind Kalender. Zum Charakter dieses Berufs gehört es nämlich, wochenlang an Bord zu sein. Tage und Stunden werden da schnell so etwas wie Zeit und Rauch – insbesondere im transatlantischen Verkehr.
„It’s like a floating prison“
„It’s like a floating prison“, ist denn auch einer der Sprüche der Branche. Insbesondere philippinische Seeleute beschreiben ihre Motivation so: „It’s a sacrifice for my family.“ Sie bringen ein Opfer für ihre Familien. Besonders schwer sei es für die Seefahrer während der Corona-Pandemie gewesen, blicken Brakemeier, Wasmut und Thom zurück. Einerseits durften die Leute in den Häfen nicht von Bord, andererseits war es selbst den Mitarbeitenden der Seemannsmission in Deutschland verwehrt, die Schiffe zu betreten. Alles musste über die Kaikante abgewickelt werden. Thom kann im Laufe des Vormittags ins Büro am Grünen Weg in Cuxhaven zurückkehren. Das ist nicht immer so, doch an diesem Tag liegen wenig Schiffe im Hafen.
Gegründet wurde die Seemannsmission Cuxhaven im Jahr 1908 – in einer Zeit, in der Hafen und Stadt noch zu Hamburg gehörten. Träger der Einrichtung ist der Verein Deutsche Seemannsmission Hannover. Dazu gehören auch die Standorte Stade, Bremerhaven und Emden. Die Arbeit am Grünen Weg stemmen außer Bordbetreuerin Thom, Colin Brouwers, der dort seinen Bundesfreiwilligendienst (BFD) absolviert, und der Leiter, Diakon Martin Struwe. Das Team wird durch rund zehn Ehrenamtliche unterstützt – „im Tagesgeschäft“, wie Struwe sagt. Und dann ist da noch der vor wenigen Jahren gegründete Förderverein mit seinen etwa 150 Mitgliedern. Dieser sammele nicht nur Geld ein, meint der Diakon, „er bindet auch Menschen an uns.“ Dadurch bekomme eine relativ kleine Seemannsmission wie die Cuxhavener zusätzliches Gewicht.
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Weniger Geld von der Kirche
Wenn sich Struwe so äußert, hat es durchaus einen Grund: Es geht ums Geld. Denn ohne die Unterstützung des Fördervereins sind durchaus Zweifel angebracht, ob die Seemannsmission ihre Arbeit künftig noch zur Zufriedenheit aller erledigen könnte. Zwar ist diese eine der zahlreichen kirchlichen beziehungsweise kirchennahen Einrichtungen. Doch die Zuwendungen aus dem Säckel der zuständigen evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers sind laut Struwe stetig geschrumpft. Als er vor 16 Jahren in Cuxhaven angefangen habe, sei der Anteil noch „deutlich über 50 Prozent“ gewesen. Inzwischen seien es noch 20 bis 25 Prozent.
Der Gesamtetat für das Jahr 2022 belief sich laut der aktuellen Broschüre auf 222.915,53 Euro. Davon übernimmt die Landeskirche 45.000 Euro, weitere 75.000 kommen vom Bund, der sich laut internationalem Abkommen dazu verpflichtet hat, soziale Einrichtungen in den Häfen für die Seeleute vorzuhalten – diese Aufgabe übernehmen die Seemannsmissionen. Weitere Einnahmen generiert die Seemannsmission aus einem 1.100-Euro-Zuschuss der Stadt Cuxhaven, einer sogenannten freiwilligen Schiffsabgabe in Höhe von rund 5.000 Euro sowie Eigeneinnahmen.
Einer wichtigen Funktion in Sachen Geld kommt dem Förderverein zu. Nur durch dessen Zuschüsse sei es möglich gewesen, die zweite Stelle für Bordbetreuerin Thom zu schaffen. „Wir haben die Stelle dazu gebaut“, lässt Diakon Struwe etwas von der Kreativität der Cuxhavener durchblicken. Davon benötigen die Verantwortlichen in der Zukunft noch einiges mehr. Hintergrund: Der Hafen soll in den kommenden Jahren erweitert werden, sodass auch auf die Mitarbeitenden der Seemannsmission mehr Arbeit zukommen dürfte. Sorgen macht sich Leiter Struwe nicht. „Wir lassen das mal auf uns zukommen. Bislang haben wir das noch hinbekommen“, sagt er mit norddeutscher Gelassenheit.
Engagement der Wirtschaft
Als Seelenberuhiger wirkt unter anderem Oliver Fuhljahn. Der Vorsitzende des Fördervereins lässt keinen Zweifel an der Notwendigkeit der Seemannsmission. Daran hat er alleine schon vor seinem beruflichen Hintergrund Interesse. Fuhljahn verantwortet den Bereich Geschäftsentwicklung Automobile beim Hafenbetreiber Rhenus Cuxport und ist hiesiger Standortmanager der Vermarktungsgesellschaft Seaports of Niedersachsen. Anhand einer Karte schlägt Fuhljahn den Bogen zur Seemannsmission. Zu sehen sind die geplanten zusätzlichen Großschiff-Liegeplätze 5 bis 7 für Autoim und -export sowie die Plätze 8 bis 9.5 des German Offshore-Industry-Center Cuxhaven – alle befinden sich am Elbstrom.
Fuhljahn rechnet damit, dass die Liegeplätze 5 bis 7, die Platz für drei Großschiffe bieten, bis 2027 fertiggestellt sein werden. Dies bedeute 144 zusätzliche Schiffsanläufe im Liniendienst jährlich – und die Chance für Landgang für die Besatzung. Hier komme wieder die Seemannsmission ins Spiel, die sich in klassisch-bewährter Art und Weise um die Menschen kümmern werde. Jedoch: Mit dem Personal und nur einem Kleinbus sei die Arbeit nicht zu bewältigen, weiß nicht nur Fuhljahn. Deshalb setze sich der Förderverein, dem zahlreiche Vertreter und Firmen aus der Hafenwirtschaft angehören, für zusätzliche Ressourcen der Seemannsmission ein. „Das Angebot muss wachsen“, betont der Vorsitzende.
Die Seefahrer-Welt verändert sich aber auch, und dies hat nicht nur mit den zu erwartenden Großschiff-Liniendiensten zu tun. Philippinische Besatzungsmitglieder fahren laut Struwe und Thom in zunehmendem Maße auf den heimischen Fischkuttern. Nach Feierabend wüssten sie oftmals nicht wohin. Dafür gibt es den Seamens’ Club in den Räumen am Grünen Weg, wo die Leute ihre Freizeit verbringen können. Was gerade für die Menschen von den Philippinen wichtig ist: warme Kleidung. Diese gibt es kostenlos bei der Seemannsmission.
Arbeit mit Ehrenamtlichen
Eine schöne Zeit haben die Seeleute dann mithilfe der Ehrenamtlichen. Sie organisieren eigenverantwortlich Clubabende oder sind bei den Bordbesuchen dabei. Zu ihnen gehören unter anderem Sabine Schröder-Gravendyck, Marita Hilmer und Rudi Rothe. Ihre gemeinsame Motivation: Sie haben gerne mit Menschen zu tun – und sie verbindet die Liebe zur Natur und zum Meer. So kümmert sich etwa Sabine Schröder-Gravendyck um den Garten hinter dem Haus der Seemannsmission. Der sei bei den Seeleuten und allen anderen Besuchern sehr beliebt, meinen die Ehrenamtlichen unisono.
„Ich habe großes Interesse an Menschen aus fremden Ländern“, erklärt Marita Hilmer ihre Motivation. Zudem sei der Mann der pensionierten Lehrerin ehemaliger Lotse. Rudi Rothe möchte etwas zurückgeben. Denn: Der ehemalige Leiter der Staatlichen Seefahrtschule Cuxhaven hat auch eine Vergangenheit als Fahrensmann und nutze auch später bei seinen Reisen die Seemannsmissionen weltweit als Anlaufpunkt. Sie alle haben einen der international gültigen Grundsätze der Einrichtungen verinnerlicht: Die Seemannsmissionen sind wie eine Ersatzfamilie für die Menschen auf den Schiffen.
Mehr über die Seemannsmissionen
Wir stellen in den kommenden Monaten in lockerer Reihenfolge die Arbeit der Seemannsmissionen entlang der Nordseeküste vor; allerdings nicht nur die mit evangelisch-kirchlichem Hintergrund. Auch die katholische Kirche engagiert sich für die Seeleute: mit der Organisation „Stella Maris“. Während der Corona-Pandemie waren wir mit der Seemannsmission Bremen unterwegs.