Die vielen Zappelhallen

Als unser Autor jung war, verbrachte er viel Zeit in der Disco – vornehmlich im „Aladin“, „Woody‘s“ und „Stubu“. Dass es noch viel mehr derartiger Lokalitäten gab, ist ihm erst durch Facebook bewusst geworden – eine Spurensuche in Buschmanns Kosmos.

Von Ulf Buschmann

„Wenn es um Bremen geht, bist Du ein wandelndes Lexikon!“ Das Lob einer guten Freundin klingt noch heute nach. Ich reagierte wie meistens in derartigen Situationen: „Ich trage meine Haare heute offen.“ In der Tat, über meine Heimatstadt weiß ich wirklich eine Menge. Doch dieser Tage durfte ich feststellen: Selbst die beste Enzyklopädie weist Lücken auf.

Aber der Reihe nach: Vor knapp drei Wochen spülte mir der Facebook-Algorithmus eine neue Gruppe in meinen Nachrichtenfeed: „Gruppe der Bremer Discoszene 1960-2000“. Und weil ich mich oftmals freitags, meistens aber sonnabends, viel herumtrieb, bin ich der Gruppe beigetreten. Nach etwa zwei Tagen geschah es das erste Mal: Eines der Gruppenmitglieder postete ein Foto aus den 1970er-Jahren. Dieses war in einer Discothek in Oslebshausen aufgenommen worden. Am Abend des gleichen Tages legte eine Frau nach – ausgerechnet mit Erinnerungen an einen Laden in Blumenthal.

Die große(n) Wissenslücke(n)

Ich wurde mir der Tatsache bewusst: Ich, das wandelnde Bremen-Lexikon, habe große Disco-Wissenlücken. Das „Break Out“ in Lesum, das „La Concorde“ in Vegesack und das „Kingston“ in Grohn – ich kenne sie alle noch, obwohl ich nie drin war. Aber dieser Schuppen in Blumenthal? Der ist mir bislang völlig unbekannt gewesen. Er war übrigens an der Mühlenstraße. Aus dem Stadtteil kenne ich nur noch das „Anderland“, das auch wegen des jungen Publikums „Kinderland“ genannt wurde.

Meine Zeit in den hiesigen Etablissements begann erst mit meiner Volljährigkeit 1984. Das „Arena“ in Ihlpohl, der Ableger „Star Ship“ in Osterholz-Scharmbeck und das „Red Balloon“ in Ritterhude waren meine ersten Tanzorte. An der Tür der „Arena“ hing ein kleines Schild an der Eingangstür. „Off limits for US Soldiers“, stand darauf. Heißt: Den in Garlstedt und Osterholz-Scharmbeck stationierten amerikanischen Soldaten, den GIs, war der Zutritt nicht gestattet. Sie hätten in der Vergangenheit ständig Streit angefangen, war damals die Begründung.

Hier geht es zum Newsletter

Ausgewählte Beiträge schon vor allen anderen lesen?
Keine Problem, trage dich einfach in unseren Newsletter ein.



Ab in die Stadt

Ende 1984 war ich das erste Mal im „Aladin“ – wir nannten es damals aufgrund der Lautstärke respektvoll „Dröhn“. Die Musik war super, deshalb zog es mich ab sofort häufiger dorthin. Dass der Laden völlig verranzt war, störte uns nicht. Aber 1985 wurde ordentlich renoviert. Der Besuch im „Dröhn“ lief eigentlich immer gleich ab: Drei Stunden tanzen, bis die Klamotten durchgeschwitzt waren, ab ins Bistro, um Pommes und den hauseigenen Quark zu essen sowie einen Kaffee zu trinken, noch ein bis zwei Stunden tanzen und dann ab nach Hause. Auf der Rückfahrt fuhr das Auto besonders leise, weil wir von der Musik fast taub waren.

In den folgenden Jahren trieb es mich auch ins „Stubu“ und „Woody‘s“ – dann auch mal am Sonntag, weil ich mittlerweile studierte, montags oftmals spät beginnende oder gar keine Vorlesungen hatte. In den ersten Jahren war das „Woody’s“ unser altes „Stubu“, weil letzteres einen neuen Betreiber bekommen hatte. Danach wechselten Musik und Besucher. Beides fanden wir nicht mehr so doll. Einen gewissen Bekanntheitsgrad hatte bei uns auch das „Imperial“ am Herdentor. Dieses war jedoch als „Popperladen“ verschrien – wir hatten uns einen „Werner“-Spruch zu eigen gemacht: „Popper überfährt man mit Chopper!“

Discoverletzungen

Die „Stubu“-Jahre, die für mich 1988 begannen, waren für mich in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes – wegen der Stimmung und mehrerer Verletzungen. Nun muss der unwissende Mensch dazu wissen, dass die einstigen Räumlichkeiten an der Straße Hinter dem Schütting sehr niedrig waren. Sehr!

Wenn die Musik besonders gut war, hatte ich die Angewohnheit beim Tanzen zu springen und die Arme hochzureißen. Einmal hatte ich nicht aufgepasst und geriet mit meiner Hand in einen der Deckenlüfter. Mein blutendes Nagelbett war nicht allzu schlimm. Gleichwohl kippte die junge Dame hinter dem Tresen aus den Latschen, als ich nach einem Pflaster fragte. „Sie kann kein Blut sehen“, erinnere ich mich an den Kommentar ihres Kollegen.

Kaffee oder Tee?

Wenn Ihnen mein Inhalt gefällt, freue ich mich über eine Unterstützung.
Vielen Dank. Warum wir so gerne Kaffee trinken erfahren Sie hier.


Ihre Auswahl




Kaffee oder Tee?

Wenn Ihnen mein Inhalt gefällt, freue ich mich über eine Unterstützung.
Vielen Dank. Warum wir so gerne Kaffee trinken erfahren Sie hier.


Ihre Auswahl




Bänderriss und Poques

Etwas gravierender war der Unfall Pfingsten 1988. Das „Stubu“ und die Bremer Innenstadt waren knackvoll – Werder Bremen war an diesem Sonnabend zum zweiten Mal Deutscher Fußballmeister geworden. Als der DJ „If I should Fall from Grace with God“ von den Poques auflegte, waren wir zu zweit auf der Tanzfläche: ein Besoffener und ich. Nach meinem Sprung zum Schrei von Shane MacGowan landete ich mit meinem rechten Fuß auf dem Gegenstück des Besoffenen.

Ich knickte um, konnte nicht mehr laufen und sammelte meine Leute ein, damit wir den Heimweg antreten – ich war dummerweise der Fahrer. Ebenso unglücklicherweise mussten wir noch über die Wilhelm-Kaisen-Brücke zum Auto, das ich am Franziuseck abgestellt hatte. Am nächsten Tag, Pfingstsonntag, musste Papa mit mir ins Krankenhaus fahren. Diagnose: Außenbandriss. Mein Fuß wurde bis zum Oberschenkel eingegipst.

In der folgenden Woche musste ich mich im Klinikum Bremen-Nord zwecks Operation einfinden. Nach zehn Tagen durfte ich wieder nach Hause, war aber noch eine Woche krankgeschrieben. Danach bekam ich einen Innenschuh und sah die folgenden sechs Wochen keine Disco von innen.

Disco, Zappelhalle, Club

Interessant finde ich die Begrifflichkeiten der vergangenen Jahrzehnte. In den 1960er-Jahren hieß es Beatschuppen, dann Discothek oder Disco. Wir sprachen auch von Zappelhalle. Als ich in den 1990er-Jahren das erste Mal den Namen „Club“ hörte, dachte ich an einen Swingerclub. „Ne Ulf, da bist Du auf der völlig falschen Schiene“, sagte damals eine junge Kollegin zu mir. Sie schob grinsend ein „Typisch!“ nach.

Und heute? Hin und wieder gehe ich immer noch gerne zappeln. Aber mir geht es wie vielen in meinem Alter, also Ende 50. Einen Tag feiern, gleich drei Tage erholen.