Musik für die Welt – aus Wersabe

Vom deutschen Dorf in die englischen Charts – das geht nicht? Doch, das geht! Die Soul-Pop-Band „Soulrender“ bewies das in den vergangenen Monaten eindrucksvoll. Für die Nord West Reportagen besuchten wir die Band in ihrem Proberaum am Deich – eine Reportage.

Von Frank Schümann

Wersabe, eine kleine Ortschaft in der Einheitsgemeinde Hagen im Bremischen, direkt am Deich, 230 Einwohner. Wer hier hinfährt oder gar hier wohnt, will in der Regel seine Ruhe haben – es sei denn, er ist Musiker. So wie Tim Vollmers. Der ist zwar hauptberuflich Bierbrauer, widmet einen großen Teil seiner Freizeit aber der Band „Soulrender“, mit der er – gemeinsam mit seinen sechs Kolleginnen und Kollegen – jüngst Außergewöhnliches vollbracht hat: Mit ihrer aktuellen CD „Circles“ waren „Soulrender“ wochenlang in den englischen Soulcharts – „unglaublich!“ fanden das die Bandmitglieder selbst. „Da träumst Du nicht von, umso schöner ist es, wenn so etwas passiert“, sagt Vollmers.

Proben im Bauwagen

Es ist ein Freitagnachmittag im Mai, am Abend steht wieder eine Probe an. Vollmers ist der erste, der an diesem Tag auf dem Gelände ist, auf dem ein umgestalteter Bauwagen steht – der Proberaum des Septetts. „Die Jacke würde ich ausziehen“, warnt mich Vollmers, „die Klamotten stinken abends immer wie Hulle, wenn wir aus der Probe kommen.“

Gruppenbild ohne Bassisten: Stephan Besl (Schlagzeug), Celina Seifried (Backing Vocals), Tina Kludig (Gesang), Jürgen Block (Gitarre), Tim Vollmers (Keyboards) und Ilja Nagel (Percussion). Bassist Matthias Behling fehlt auf dem Bild.

Wo bleibt der Bassist?

Sängerin Tina Kludig kommt als zweite, hilft dem Keyboarder beim Tragen der Bierkiste, die Vollmers mitgebracht hat. Sie ist Sozialarbeiterin, freut sich immer total darauf, wenn wieder eine Probe ansteht, was in loser Folge alle zwei bis drei Wochen passiert – „das brauche ich als Ausgleich.“ Nach und nach trudeln alle Bandmitglieder ein – alle außer Bassist Matthias „Matze“ Behling, dessen Verbindungen der improvisierte Proberaum zu verdanken ist, denn seinen Verwandten gehört das Grundstück. Der Bauwagen, in dem die Musiker proben, steht aber weit genug vom Hauptgebäude weg – „das stört hier keinen“, sagt Tina Kludig, während Behling noch in Hamburg festhängt, was an diesem Nachmittag ein immer wiederkehrendes Thema sein wird – aber dazu später mehr.

Bier muss sein! Tim Vollmers und Tina Kludig bereiten die Probe vor. Foto: Schümann

Bier muss sein!

Dafür kommen Drummer Stefan Besl, ein Lehrer; Gitarrist Jürgen Block, Vermessungstechniker, Perkussionist Ilja Nagel, der an einer Musikschule arbeitet und die Background-Sängerin Celina Seifried, die im „ersten Leben“ der Geschäftsführung eines Bremer Unternehmens assistiert – „wir sind ganz normale Leute, bunt gemischt“, sagen sie dann auch. Auch der Schlagzeuger hat eine Kiste Bier dabei und wundert sich über die Dopplung – „wie, ich dachte, hier war nix mehr“. Bei so viel Bier schnappt sich – na klar – jeder erst mal eines. „Willst Du auch?“, werde ich gefragt. „Nein, aber habt Ihr’n Wasser?“ „Äh nee, da haben wir nicht dran gedacht“.

Gitarrist Jürgen rettet mich im Laufe des Nachmittags, indem er mir seine mitgebrachte Apfelschorle spendiert. Bandleben eben – improvisiert wird immer. Hauptsache, man versteht sich und die Musik passt.

Vom Hiphop zum Neo-Soul

Und die passt bei Soulrender schon seit vielen Jahren. 2001 von Vollmers und Behling zunächst mit dem Fokus auf Hiphop gegründet, wurde sie im Laufe der Jahre größer und musikalisch vielseitiger. Heute beschreiben „Soulrender“ sich selbst als Neo-Soul-Band aus Norddeutschland – mit einem groovigen Sound, der geprägt ist von lässigem Soul, Funk und einem Schuss afrikanischer Musik. An Einflüssen nennen die Musiker selbst den Motown-Soul und so unterschiedliche Künstler wie James Brown, George Duke, Jamiroquai, Erika Baduh, Snarky Puppy, Steely Dan oder die Talking Heads – und vieles davon ist zu spüren. Meriten hat die Band nebenbei auch schon gesammelt: Mehrfach wurde sie mit dem Deutschen Rock & Pop Preis als beste Soulband ausgezeichnet, erhielt unter anderem den Förderpreis für Kultur.

Eng und kuschlig ist es im Probenraum – der Stimmung tut das keinen Abbruch, und dem Sound erst recht nicht. Foto: Schümann

Hoch auf Platz acht!

Den Clou landete das Septett aber in diesem Winter, als ihre zweite CD „Circles“ in die englischen Soulcharts einstieg, mehrere Wochen dort blieb und sogar bis auf Platz acht kletterte. Auch in anderen Ländern wie den USA, Kanada, Schottland, Italien, Frankreich oder Schweden konnte sich „Circles“ platzieren. „Davon waren wir selbst am meisten überrascht“, sagt Drummer Stephan Besl. Vollmers erzählt, wie die Band davon erfuhr: „Wir werden häufiger mal auf Radio Bremen 2 gespielt, und eines Tages rief uns der Moderator Lutz Hanker an und sagte, da passiert bald was – er habe die Charts im Blick. Und so war es dann ja auch.“

Schwerer Schicksalsschlag

Für die Band ein Riesenerfolg – und einer, der besonders gut tat, da „Soulrender“ kurz zuvor einen schlimmen Verlust hinnehmen mussten. Thulani Masinga, der sich auf der Platte noch die Lead und Backing Vocals mit den beiden Sängerinnen geteilt hatte, starb völlig überraschend im Alter von nur 33 Jahren – „ein schwerer Schlag“, sagt Kludig. Aufhören sei aber nie ein Thema gewesen – „das hätte Thulani auch nicht gewollt.“ So ist es allen ein Trost, dass Thulanis Stimme jetzt auf der ganzen Welt zu hören ist – so wie auch ihre Songs, die sie im Übrigen allesamt selbst geschrieben haben.

Guter Gesang ist die halbe Miete: Tina Kludig und Celina Seifried mit vollem Einsatz, dahinter Percussionist Ilja Nagel. Foto: Schümann

Freundschaft und Zusammenhalt

Freundschaft, Nähe, Zusammenhalt sind die ganz großen Themen innerhalb dieser Band, deren Mitglieder allesamt aus dem Großraum Hagen / Bremen kommen – einige von ihnen haben zuvor schon in anderen Bands gespielt oder gesungen, aber mit „Soulrender“ haben sie ihre musikalische Heimat gefunden. Und nicht nur die: „Das passt menschlich einfach auch wunderbar“, sagt Backgroundsängerin Celina: „Keiner fährt Ego-Trips, niemand stellt sich über den anderen – das haben viele von uns in anderen Bands auch schon anders erlebt.“ Man helfe sich auch untereinander in privaten Situationen: „Das ist bei uns ganz normal, das ist wirklich wie Familie“, sagt Jürgen Block.

Let’s rock: Drummer Stephan Besl und Gitarrist Jürgen Block. Foto: Schümann

Realismus statt großer Ambitionen

Größere Ambitionen haben sie aber trotz der jüngsten Erfolge nicht mehr. Denn das ganz große Geldverdienen – das ist allen klar – wird auch mit den Charterfolgen nicht einsetzen. „Reich werden wir nicht mehr“, lacht Gitarrist Jürgen Block. Alle Bandmitglieder haben ihre Jobs und sind auch in einem Alter, in dem man nicht mehr von der großen Karriere träumt. Die Tonträger werden ohne Label selbst produziert und vertrieben – „läuft doch“, sagen sie, „wir sind damit zufrieden“. Was die Charterfolge gebracht haben, sieht man allerdings am Booking: „Das läuft deutlich besser, wir sind danach viel häufiger auf künftige Auftritte angesprochen worden“, sagt Stephan Besl.

Erfolg auf der jazzahead!

Vor einigen Jahren auf der jazzahead!-Clubnight, „da haben wir schon gedacht, wir hätten es geschafft“, sagt Jürgen Block lachend: Auch da war schon das Fernsehen am Start, gab es begeisterte Reaktionen. Aber auch damals seien sie realistisch und auf dem Boden geblieben – „der beste Spruch kam von Ilja, der meinte, jetzt können wir uns alle einen Döner leisten.“

Und irgendwann kam er doch: Massist Matthias „Matze“ Behling im Einsatz, vorne Sängerin Tina Kludig. Frank Schümann

Es groovt auch ohne Bass

Doch zurück zum Nachmittag in Wersabe. Mittlerweile sind fast zwei Stunden vergangen, alle Informationen ausgetauscht, es darf geprobt werden – allerdings ist der Bassist immer noch nicht da. Also jetzt erst einmal ohne Bass, damit der Journalist auch endlich was auf die Ohren bekommt – und der ist, trotz Kenntnis der CDs, schon erstaunt, wie gut die Songs auch live funktionieren. Rhythmus pur, toller Grundsound mit Drums, Percussion, Keyboards, fein gesetzte Gitarre, schöner mehrstimmiger Gesang – das groovt, das funzt, das macht Spaß. Auch dass sich Gitarrist Jürgen am Heizlüfter den Oberschenkel verbrennt, wird mit Humor genommen („ey, das kannst Du doch nicht mit dem Bier kühlen – das wird doch warm!“).

Der Bassist ist da!

Und schließlich und endlich kommt auch der Bass-Mann, der sich zwar zunächst einiges anhören muss, dann aber auch prompt zum Instrument greift – was den Sound natürlich und erwartungsgemäß noch einmal in eine andere Dimension hievt. Und noch mehr Lust macht auf einen der zahlreichen Aufritte in diesem Sommer. Denn so schön es in Wersabe auch ist: Diese Band hat auch live ein größeres Publikum verdient.

Soulrender auf Tour

–> 8. Juni: Jazzgarten Achim.
–> 21. Juni: HOEG City Festival Bremen.
–> 3. Juli: Breminale.
–> 8. August: Summerjazz Pinneberg.
–> 21. September: Alte Postbühne Bad Bederkesa.

Mehr Informationen gibt es auf der Website der Band.