„Neue Purple? Muss ich haben!“
Wie ticken Schallplatten-Sammler? „Es gibt ganz verschiedene Typen“, sagen zwei, die es wissen müssen. Wir stellen sie vor.
Von Frank Schümann
Eine neue Deep Purple? Bruce Springsteen endlich wieder mit der E-Street-Band? Muss ich haben! So funktioniert er, der Plattensammler – oder vielmehr: Das ist einer seiner Haupt-Impulse! Denn den typischen Schallplatten-Sammler, den gibt es nicht, es gäbe vielmehr ganz verschiedene Sammler-Typen – finden zumindest zwei, die es wissen müssen. Denn Volker Sieberg (60) und Norbert Fecker (56) betreiben seit vielen Jahren in Bremen das große unabhängige Plattengeschäft „Hot Shot Records“.
Wie viele Platten sie privat besitzen, wissen sie selbst nicht so genau: „Joah, ich denke mal, so zwischen 8.000 und 9.000“, schätzt Volker Sieberg und Norbert Fecker sagt: „Ich hab nicht so viele zuhause, nur so 4.000 oder 5.000.“ Eigentlich beeindruckende Zahlen, aber in der Relation doch eher niedrig angesichts der Platten und CD‘s, die es inklusive Lager im Laden gibt – fast eine Million Tonträger sind es, auf 500 Quadratmetern.
„Da waren mehr Songs drauf“
Wer in diesen Dimensionen handelt, der muss natürlich auch Fan sein – so wie einst in Nick Hornbys Musik-Beststeller „High Fidelity“ beschrieben, so war es natürlich auch bei Sieberg und Fecker. Beide sind sie in den 60er-Jahren geboren und in den 70ern zum Plattenfan geworden; ein Jahrzehnt, in dem der Rock regierte, in dem Bands wie Led Zeppelin, Black Sabbath oder Pink Floyd auf der Höhe ihres Schaffens waren. Bands, die auch an Sieberg und Fecker natürlich nicht spurlos vorbeigingen. Wobei ihre ersten Platten jeweils von anderen, heute gleichfalls legendären Bands stammten: bei Sieberg waren es The Who, bei Fecker Deep Purple.
Sieberg erinnert sich noch genau an die Situation, die zu diesem Kauf führte: „Damals war es ja so, dass jeder eine Lieblingsband brauchte, und ich hatte noch keine.“ Also sei er mit seinem besten Kumpel losgezogen, um die erste Platte zu kaufen – von der Lieblingsband natürlich. Zur Wahl standen eigentlich Creedence Clearwater Revival und Golden Earring, aber die Entscheidung fiel schwer; schließlich wurden es – The Who. Der einfache Grund: „Auf der Platte, die es da gab, waren 42 Songs drauf, bei Golden Earring waren es nur 14 – außerdem sahen wir auf der Rückseite, dass das ja Holländer waren.“ Also wurde The Who Siebergs Lieblingsband. Eine Liebe, die übrigens bis heute anhält.
Wie wird man eigentlich Sammler?
Doch wie wird man eigentlich Sammler? „Naja, wenn Du jung bist…“, sagt Fecker, „früher gab es ja sonst nichts.“ Selbst in einem Dorf in Ostfriesland großgeworden, sei er aus diesem Grund schnell zur Musik gekommen: „Meine erste Platte habe ich in einem Kolonialwarenladen gekauft, das war 1976“, erinnert er sich, „die Auswahl war da nicht sehr groß.“ Man habe die Bravo gehabt, den „Musikladen“ im Fernsehen und sein Fahrrad oder später die Mofa. Die nächste Stadt war weit weg, „nach Bremen waren es damals drei Stunden, es gab ja noch keine Autobahn“, so Fecker, und weiter: „Du saugst das alles auf, findest es toll oder auch nicht und willst dazugehören.“ Zwar habe man für Plattenkäufe wenig Geld gehabt, aber man habe dann dennoch immer mehr besitzen wollen: „Von Oma und Opa gab es immer ein bisschen Geld für den Markt, das habe ich dann auch in Patten investiert.“ Man habe sich dabei auch von den Älteren beeinflussen lassen: „Man hat schon auf die gehört. Die fanden das gut und die hatten das Sagen“, lacht Fecker. Und so sei es immer weiter gegangen, man hat sein Faible entwickelt, sagt Fecker – und gehörte dann irgendwann selbst zu den Alten.
Diese Generation , der die beiden angehören, sammelt bis heute gerne und viel und kommt auch oft in den Laden – häufig geht es dabei um die Vervollständigung einzelner Sammlungen oder um Nachkäufe (von CD auf LP oder andersherum), aber es gibt es auch ganz andere Typen Sammlern, sagen die beiden.
Der typische Sammler
Aber wer ist eigentlich der typische Sammler? „Der typische Sammler oder der Sammler an sich versucht in irgendeiner Richtung etwas zu komplettieren“, sagt Sieberg, „das gelingt Dir aber nie, denn Du entdeckst darüber immer etwas, was Dich zum Nachkaufen zwingt.“ Deshalb gebe es den typischen Sammler im Grunde auch nicht, so Sieberg weiter. Und fügt lachend hinzu: „Denn das ist ja eigentlich ein psychischer Defekt“.
Fecker versucht es trotzdem mit einer Klassifizierung: „Es gibt eine ganze Palette an verschiedenen Kunden-Typen“, sagt er. Da seien natürlich die, die sich nur in bestimmten Genres bewegen, dann diejenigen, die von einer Band alles komplett haben wollen; „aber eben auch die, die eine ganz bestimmte Pressung mit einer ganz bestimmten Nummer suchen, und auch die Leute, die komplett nur nach Nummern bestellen – egal, was da drauf ist, ob Rock-Musik oder Ernst Mosch und die Original Egerländer.“ Und dann gibt es noch die Sache mit dem speziellen Sound: „Manche Leute haben wahnsinnig teure Anlagen“, erzählt Fecker, „und die kaufen ihre Platten schon auch danach, was darauf am besten klingen soll.“ Die wollen dann eine ganz bestimmte Pressung, suchen im übertragenen Sinne quasi den besten Tonic zum teuren Gin.
„Sind die Kinder aus dem Haus…“
Überhaupt könne man gesellschaftliche Symptome im Plattenladen schön beobachten, erzählen die beiden: „Früher hatten die tollsten Typen doch entweder das dickste Auto oder die größte Plattensammlung“, lacht Fecker, und da seien es eben oft die Platten gewesen. Später habe sich die Reihenfolge geändert, „wenn die Leute älter werden und Familien gründen“. Aber wehe, die Kinder sind wieder aus dem Haus: „Dann erinnern sich viele an ihr altes Hobby und kommen wieder verstärkt zu uns.“
Sie selbst würden heute kaum noch Platten nach Hause nehmen, sagen die beiden: „Ich entdecke heute einfach nicht mehr viel, was mich kitzelt“, sagt Volker Sieberg: „Es ist schwer, was Neues zu finden, was mich richtig kickt.“ Er hat lange im „Aladin“ aufgelegt, lebt seit 41 Jahren von der Musik – „und es jetzt natürlich auch Business, da leidet das Hobby immer ein bisschen“, sagt auch Fecker.
Ganz ohne Musik geht es bei den beiden im Privaten natürlich auch nicht. So hat Sieberg beispielsweise immer etwas Wohlfühl-Musik im Auto parat. Unter anderem dabei: The Who. Alte Liebe rostet eben nicht, schon gar nicht unter Musik-Fans.