Mehr als nur Erzählung, mehr als nur Stil
Seit Monaten steht sie, die große Graphic Novel-Ausstellung im Wilhelm Wagenfeld-Haus; im Oktober sollte die Eröffnung sein, doch wegen Corona wurde bislang nichts daraus. Die Verantwortlichen warten händeringend, dass es endlich los geht. Wir durften aber schon mal rein!
Von Frank Schümann
Wie stellt man Comics aus? Pardon, Graphic Novels? Diese Frage trieb Julia Bulk, die Leiterin des Wilhelm Wagenfeld-Hauses, in den vergangenen Monaten sehr um. „Wir haben tatsächlich lange überlegt, wie wir die Werke zeigen“, sagt sie, „oft unter der Fragestellung: Nehmen wir jetzt die schönsten Einzelseiten heraus oder doch lieber eine Erzählung innerhalb der Erzählung, die irgendwie Sinn macht – schwierig.“ Die Lösung war ein „teils teils“, jeweils auf das Sujet zugeschnitten. Bei Babara Yelins „Gift“ (mit Texten von Peer Meter), das die Geschichte der Bremer Giftmischerin Gesche Gottfried erzählt, wurde es die Erzählung in der Erzählung, weil auch das Wagenfeld Haus selbst vorkommt, in anderen Fällen entschied man sich auch mal ein besonders schönes Einzelbild oder (wie bei Erik Kriek) für eine komplette kürzere Geschichte.
Ein Comic-Zeichner guckt genau hin
Doch der Reihe nach. Die „Graphic Novel“-Ausstellung des Wilhelm Wagenfeld-Hauses, die inklusive des Wettbewerbs „Battle of Print“ eigentlich schon Ende Oktober hätte öffnen sollen, durch Corona aber zunächst ausgebremst wurde, ist jetzt endlich zu sehen. Der Anspruch der Ausstellung: zu zeigen, was gegenwärtig in der Szene los ist – inklusive der technischen Herangehensweise. Um das auch aus einer Innensicht heraus beurteilen zu können, nehmen wir den Bremer Comic-Zeichner Max Jaehling alias Jähling mit, der dem Begriff „Graphic Novel“ – häufig verbunden mit einem besonderen künstlerischen Anspruch – allerdings eher skeptisch gegenüber steht.
„Ich mag Comics, wie sie sind“, sagt er, „und ich habe mich immer gefragt, warum Leute Comics anders machen wollen.“ Entscheidend sei vor allem der Erzählfluss – und wenn der Stil „zwischen mir und den Comic kommt, wird es schwierig“, so der 51-Jährige. „Wenn ich das Gefühl habe, ich sehe nur Stil, dann bin ich draußen.“ Das ist in dieser Ausstellung manchmal, aber bei weitem nicht immer der Fall. Zumal Julia Bulk selbstbewusst dagegen hält: „Uns hat das Aufbrechen der klassischen Strukturen besonders interessiert. Zu zeigen: was kann man heute machen, wie kann man etwas anders erzählen? Natürlich wissen wir auch, dass wir das Rad nicht neu erfinden. Aber das Publikum, das wir ansprechen, hat so etwas glaube ich noch nirgendwo gesehen.“
Klug gebaut
Die Ausstellung ist klug gebaut: Sie beginnt mit dem Niederländer Erik Kriek im Flur mit konventionelleren Bildern und Erzählweisen. Hier erleben wir (mit der Geschichte „Where the wild roses grow“ nach einem Songtext von Nick Cave) zunächst die klassische Erzählweise (wenngleich die Geschichte mit einem neuen Ende überrascht); die wird dann im darauffolgenden Raum sofort gebrochen. Die Auszüge aus Julia Bernhards „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ stehen für eine ungewöhnliche Perspektive: Die Bilder zeigen die Welt aus den Augen der Protagonistin – und somit ihre männliche Verabredung ebenso wie das Essen, das auf dem Tisch steht. Schnell wird darüber klar: das wird wohl nix mit dem erhofften schönen Abend.
Von oben erzählt
Im gleichen Raum findet sich eine noch ungewöhnlichere Perspektive: Der Schweizer Martin Panchaud erzählt seine Geschichte „Die Farbe der Dinge“ um den 14-jährigen Simon, der seinem Vater Geld stiehlt, mit dem er im Wettbüro Millionen verdient, während sein Vater die Mutter krankenhausreif prügelt, von oben – die Figuren sind nur als Punkte in unterschiedlichen Farben zu erkennen und bewegen sich in Wohnungsgrundrissen. Ein spannendes Experiment, dass die Möglichkeiten der Graphic Novel neu auslotet.
Die Räume 2 und 3 zeigen Arbeiten der Künstler-Gruppe SPRING; einige Bilder von Anke Feuchtenberger, der bekanntesten Vertreterin dieser Gruppe, kommen wie Gemälde daher. Häufig sind in der gesamten Ausstellung auch Vorzeichnungen zu sehen, die es dem Betrachter ermöglichen, sich in den Arbeitsprozess hineinzudenken. „Das finde ich besonders spannend“, sagt Vähling. Gezeigt wird in vielen Fällen der Prozess von den ersten Skizzen (oft schon digital) bis hin zum fertigen Bild. Angetan ist der Bremer Zeichner auch davon, dass viele Original-Blätter ausgestellt sind.
Gesche Gottfried und der Bunker Valentin
Im Obergeschoss des Wilhelm Wagenfeld-Hauses wird die Ausstellung zunächst mit drei weiteren, besonderen Handschriften fortgesetzt (Raum 4) – unter anderem mit den Happy Place-Comic-Strips von Max Baitinger und den Tierfiguren von Anna Haifisch, deren Geschichten zum Teil wie klassische Fabeln funktionieren, bevor die klassischeren Formen wieder mehr Raum bekommen (Räume 5 und 6). Aus Erik Krieks „Der Verbannte“, einem Drama um Schuld und Sühne, das im Island des 10. Jahrhunderts spielt, ist eines der beeindruckenden Landschaftsbilder des Dänen, die von starken Licht-Schatten-Effekten leben, auch in Großdruck an die Wand gehängt. Im gleichen Raum ist das eingangs erwähnte Buch „Gift“ von Barbara Yelin unterbracht.
In Bremen spielt ebenfalls Jens Genehrs „Valentin“, das aus zwei Perspektiven vom grausamen Bau des gleichnamigen U-Boot-Bunkers in Bremen-Nord erzählt; für sein Buch studierte der Bremer Künstler viele historische Dokumente und Fotos. „Feldforschung“ der besonderen Art betrieb auch der in Portland lebende Joe Sacco, dessen Werk „Der erste Weltkrieg. Die Schlacht an der Somme“ (erschienen 2014) zu den Höhepunkten der Ausstellung zählt. Es schildert einen einzigen Tag des Krieges – in einem einzigen, über 12 Meter langen Bild ohne Text. Hunderte von Soldaten sind darauf zu sehen – beim Reden, beim Rauchen, beim Befehlen, beim Befehle entgegennehmen. Beim Töten. Beim Sterben. Bedrückend. Und eindrucksvoll.
Viele verschiedene Handschriften
Insgesamt sind das viele verschiedene Handschriften, für die sich der Betrachter unbedingt Zeit mitnehmen sollte – zumal man sich man auch in Corona-Zeiten auf Bänke setzen und in den ausliegenden Original-Comics lesen kann. Neben den 15 Künstlerinnen und Künstlern, die mit 17 Arbeiten vertreten sind (Barbara Yelin und Erik Kriek sind zweimal dabei), sind im letzten Raum noch zahlreiche Arbeiten zu sehen, die auf den Wettbewerb „Battle of Print“ zurückgehen. Eingeschickt wurden 66 Arbeiten, von den 40 ausgestellten Werken werden demnächst von einer hochkarätigen Jury noch die zwölf Besten ausgewählt, die anschließend in einem Kalender erscheinen. „Die Wettbewerbsbeiträge überzeugen mich am meisten“, sagt Vähling.
Interesse wecken
Wobei wir auch schon beim Fazit wären: die Ausstellung wird ihren Ansprüchen gerecht, informiert, zeigt auf, unterhält und ist inhaltlich sehr vielseitig – immer auch in dem Bewusstsein, dass sich das Wilhelm Wagenfeld-Haus mit der neuen Ausstellung auf ungewohnten Terrain bewegt. Julia Bulk: „Ich hoffe, dass wir bei unserem normalen Publikum etwas bekannt machen können, was die Besucher vorher noch gar nicht wahrgenommen haben. Bisweilen schafft man ja auch durch zu viel Fachwissen eine Hürde – das ist dieses Mal sicher nicht der Fall.“
Und auch der Bremer Zeichner ist letztlich zufrieden. Würde er diese Ausstellung anderen Comic-Zeichnern empfehlen? „Anderen Leuten ja wegen der Bandbreite“, sagt Max Vähling nach kurzer Überlegung, „anderen Comic-Zeichnern würde ich nicht die gesamte Ausstellung, eher einzelne Comics daraus empfehlen.“