Antonia Bontscheva: „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“
Antonia Bontscheva hat mit ihrem Debütroman „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ ein Werk geschaffen, das im Herzen berührt und gleichzeitig wehtut. Das Buch der Bremer Autorin handelt von der Zerrissenheit einer Frau zwischen zwei Kulturen und zwei Männern, aber auch von der verzweifelten Suche nach sich selbst.
Von Daniela Krause
Antonia Bontschevas autobiografischer Roman „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ beginnt auf einem Bremer Friseurstuhl im November 1994. Die Protagonistin möchte etwas in ihrem Leben verändern, ihre „widerspenstige balkanische Mähne“ zu einem „westeuropäischen Bob“ frisieren lassen. Doch auch diese Friseurin kann ihre Haare nicht bändigen und greift zur Schere, um sie abzuschneiden. „Dann schneiden Sie“, sagt die Erzählerin und schließt die Augen. An diesem Punkt wird der Leser gedanklich in die Vergangenheit der jungen Frau zurückversetzt: In einem bulgarischen Krankenhaus lässt ihre Mutter der damals sechsjährigen Tochter die Haare radikal abschneiden. Der Grund ist ein ganz pragmatischer: Da ihr Bruder bald auf die Welt kommt und sie „ein großes Mädchen“ ist, hat ihre Mutter keine Zeit mehr, lange Haare zu frisieren.
Sehnsucht nach Liebe und Verständnis
Diese im wahrsten Sinne einschneidende Erfahrung ist nicht die letzte im Leben der jungen Frau: Eine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Verständnis, nagende Selbstzweifel, ein Schwangerschaftsabbruch, ein traumatisches Geburtserlebnis und andere prägende Erfahrungen werden im Lauf der Geschichte noch folgen. Hinzu kommt die spürbare Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen und zwei Männern. Als Leser ist man mittendrin im Wechselbad der Gefühle. So greifbar, so packend emotional, aber immer wieder auch humorvoll, schildert Antonia Bontscheva die Begebenheiten, dass man oft nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Dasselbe scheint die Protagonistin zu empfinden, wenn sie an ihre Heimat Baltschik denkt: „Die Schönheit von Baltschik bricht einem das Herz.“ Im Schoß der Familie fühlt sie sich warm und geborgen und gleichzeitig erdrückt. Ein natürlicher Abnabelungsprozess scheint nicht vorgesehen.
Der Tod des Vaters verändert alles
Der Bremer Friseurbesuch endet nach der Rückblende in die Kindheit nicht in einem, vielleicht vom Leser befürchteten, Desaster, sondern mit kleinen frechen Locken, „die ein zartes Kinn und braune Augen in Szene setzen“. Als die Hauptfigur der Geschichte ihre neue Frisur zu Hause der Familie präsentiert, fallen die Reaktionen unterschiedlich aus. Die vierjährige Tochter erkennt ihre Mama nicht mehr wieder, ihrem Mann fällt der schmale Nacken auf. Ihre Mutter zeigt sich begeistert, sieht sie in ihrer Tochter in diesem Moment doch sich selbst. Ihrem Vater, versichert sie, hätte die Frisur auch gefallen. Hätte – denn dieser ist vor drei Monaten verstorben, weshalb sich die Erzählerin dazu entschlossen hat, ihr Leben gründlich zu verändern.
Prägende Erinnerungen
Mit dieser sehr eindrücklichen Szene beginnend taucht der Leser nach und nach immer tiefer in die prägenden Erinnerungen der Ich-Erzählerin ein. Diese reist nach dem Tod ihres Vaters zurück nach Baltschik, wo sie sich gleich zwischen drei starken Frauen – ihrer eigenen Mutter, Großmutter und Schwiegermutter – behaupten muss. Sie ergründet ihre Motive, weshalb sie damals ihre Heimat verlassen hatte. Sie denkt zurück an die Kälte und Ablehnung, die sie bei ihrer Ankunft in Berlin empfunden hat. Wie sie sich fühlte, als sie in Bremen ankam und dort mit ihrem Mann Sergej und ihrer Tochter Sophie in ein adrettes, nach Zitronenlauge riechendes, Mehrfamilienhaus zog:
Gleich nach dem Aufstehen machte ich die Tür einen Spalt auf, steckte meine Nase hinaus, atmete tief durch und hüllte mich in das Gefühl, die ganze Welt sei frisch geputzt und irgendwie in Ordnung. Ein Gefühl, was mir sonst äußerst selten vergönnt war.
Sie findet heraus, welche Wurzeln im mitunter verwirrenden Geflecht ihrer Beziehungen gesund sind und welche sie kappen muss, um ihre eigene Identität zu finden. Dabei spürt sie auch totgeschwiegenen Ereignissen in der kommunistischen Vergangenheit der Familie nach. Ihre Nachforschungen führen sie am Ende zu teils überraschenden, teils erschreckenden Erkenntnissen.
Lebendig und poetisch
Der Roman „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ wird getragen von einer kraftvollen, lebendigen, auch sehr poetischen Sprache. Antonia Bontschevas Erzähltempo ist nicht zu unterschätzen, sodass man sich – fast etwas zu schnell – auf den letzten Seiten des Buches wiederfindet, wo sich dann Stück für Stück auch die letzten Teile des Familienpuzzles zusammenfügen.
Antonia Bontscheva hat ihr Buch unter anderem kürzlich auf der Frankfurter Buchmesse, in der Stadtbibliothek Bremen und der Bremer Gondel vorgestellt. Als nächstes liest sie im Rahmen des Literaturfestivals Globale, am 4. November, um 13 Uhr im EuropaPunktBremen (Am Markt 20, 28195 Bremen). Wir haben mit der Autorin über ihren Debütroman gesprochen:
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Antonia Bontscheva
Die Autorin wurde in Varna in Bulgarien geboren und lebt heute mit ihrer Familie in Bremen. Sie studierte Germanistik in Berlin, arbeitete als Deutschlehrerin und Journalistin, unter anderem mit literarischer Radiokolumne für Funkhaus Europa. „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“, 2021 erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt, ist ihr Romandebüt, für das sie das Bremer Autorenstipendium des Senators für Kultur und das Stipendium des Bremer Literaturkontors in den Künstlerhäusern Worpswede erhielt. Das Buch ist 416 Seiten dick und kostet 24 Euro.
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