Musikalisch schwer verliebt mit 12

Ylva Wellsandt gehört zu den Musikerinnen, von denen es nicht mehr viele gibt: Sie ist Kantorin. Derzeit absolviert die 25-Jährige ein Aufbaustudium „Künstlerisches Orgelspiel“ an der Bremer Hochschule für Künste. Die Orgel an sich bezeichnet sie als „mechanisches Wunderwerk“.

Von Ulf Buschmann

„In die Orgel habe ich mich verliebt, als ich Zwölf war“, sagt Ylva Wellsandt. Es ist bis heute das Instrument, von dem die heute 25-Jährige nicht lassen kann. Eine Orgel, wie sie in allen Kirchen der Welt oder auch in Konzerthäusern wie der Bremer Glocke zu finden ist, ist für Ylva Wellsandt mit den darin verbauten Ventilen und Rädchen ein „musikalisches Wunderwerk“, meint sie: „Das ist eigentlich ein Ein-Mann-Orchester.“ Dieses hat sie studiert und ist heute eine der wenigen frisch ausgebildeten Kantorinnen, die es überhaupt noch gibt – sozusagen eine der Letzten ihrer Art.

Stellen in diesem Bereich sind rar. Der Grund: Die Landeskirchen sparen. Auch die Kirchenmusik kommt nicht ungeschoren davon. Aber Ylva Wellsandt lässt sich davon nicht beirren. Im Gegenteil, sie bleibt ihrer musikalischen Liebe des Lebens treu. Deshalb baut Ylva Wellsandt ihre Fähigkeiten aus: An der Bremer Hochschule für Künste absolviert sie ein Aufbaustudium mit dem interessanten Namen „Künstlerisches Orgelspiel“.

Finger auf einer Orgeltastatur.

Ylva Wellsandt kann im Prinzip alles spielen, was Tasten hat. Foto: Ulf Buschmann

Musikalische Familie

Dass Ylva Wellsandt sich der Welt der Noten, Harmonien und Takte widmen würde, war schon bei ihrer Geburt klar. Die Tochter einer Dänin und eines Schwaben trägt das Gen seit ihrer ersten Zellteilung in sich. „Meine Mutter kommt aus einer Musikerfamilie“, sagt Ylva Wellsandt lachend. Allerdings hätte Mama es lieber gesehen, wenn sie sich in Richtung Orchestermusik(erin) entwickelt hätte. Also ging Klein Ylva schon mit vier Jahren zum Geigenunterricht. Doch sehr zum Leidwesen von Mama setzte die Tochter ihren Kopf durch: Ylva Wellsandt und die Geige wurden keine Freunde. Nach einem Jahr was Schluss.

Besser klappte es hingegen mit dem Klavier. Mit den schwarzen und weißen Tasten war die Grundlage für ihre Liebe zur Orgel gelegt. Auch diesbezüglich sei sie familiär geprägt, fand die junge Kantorin später heraus. „In unserer Familie gibt es acht Organisten“, erläutert sie das Ergebnis ihrer Nachforschungen. Bei dieser Mischung aus Familientradition und Instrumentenliebe falle ihr es natürlich nicht schwer, zu üben beziehungsweise das Instrument überhaupt zu spielen.

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Studiert hat Ylva Wellsandt fünf Jahre an der Universität im dänischen Aarhus. Dank „Erasmus“, dem europäischen Austauschprogramm für Studierende, Lehrende und Auszubildende, verbrachte sie auch ein Jahr in Lettlands Hauptstadt Riga. Dort lernte die Kantorin unter anderem die lettischen Komponisten Pēteris Vasks und Ēriks Ešenvalds kennen beziehungsweise hörte ihr Spiel. Beide zählt Ylva Wellsandt aktuell zu ihren Lieblingskomponisten. Der Aufenthalt in Riga habe sie nachhaltig geprägt: Sie möge neue Orgelmusik aus den baltischen Ländern. Und Ylva Wellsandt ist begeistert: „Die Balten legen ja viel wert auf die Unterstützung ihrer eigenen Komponisten.“

Angefangen hat der Prozess dessen, was Ylva Wellsandt gerne hört, mit Charles-Marie Widor. Der 1844 in Lyon geborene und 1937 in Paris verstorbene Organist, Komponist und Musikpädagoge hat der Nachwelt mit seiner 5. Orgelsinfonie in F-Moll eines der berühmtesten und wichtigsten Werke für dieses gewaltige Instrument hinterlassen. Der letzte Satz ist eine Toccata und neben der von Johann Sebastian Bach eines der bekanntesten Werke für Orgelmusik überhaupt. Inzwischen ist Ylva Wellsandt unter anderem bei Sebastian Heindl angekommen. Der junge Leipziger Organist, Jahrgang 1997, spielte am 16. Juli 2021 aus „Metal Angel“ Suite No 3 von Gunnar Idenstam den 3. Satz „Archangel“.

Das Notenblatt eines Chorals.

Der Bach-Choral gehört zu Ylva Wellsandts Repertoire. Foto: Ulf Buschmann

Alte Stücke neu interpretiert

Dass Ylva Wellsandt nicht Zeit ihres Lebens bei einem Komponisten stehenbleibt, hat auch etwas mit ihrem musikalischen Selbstverständnis zu tun. Sie versuche, sich mit allen Komponisten auseinanderzusetzen. Schließlich sei keiner wie der andere. Womit die 25-Jährige auch gleich ihren musikalisch-künstlerischen Ansatz erklärt: „Ich versuche, alte Stücke neu zu spielen.“ Soll heißen: Sie holt die Musik, die einst entstanden ist, in die Gegenwart – in Sachen Spieltechnik und Interpretation.

Jedoch: Es gibt laut Ylva Wellsandt auch eine Gegenbewegung. Kollegen versuchen, die Musik so zu spielen, wie zur Zeit ihrer Entstehung. Es scheint ein bisschen zu sein, wie die beiden Strömungen in der evangelischen Kirche: Hier die Modernen, die die Bibel auslegen und mit heutigem Wissen interpretieren, dort die Evangelikalen, für die jedes einzelne Wort ein Sakrament ist.

Bleibt die Frage: Wo sieht sich Ylva Wellsandt in fünf Jahren? Ihre Antwort: „Ich sehe mich in einer Stadtkirche.“ Ob dies allerdings in Bremen oder einer anderen Stadt sein wird, steht derzeit in den Sternen. An der Weser würde sie aber schon gerne bleiben.

Ylva Wellsandt steht auf dem Bremer Marktplatz.

Ylva Wellsandt ist ausgebildete Kantorin und würde gerne in Bremen bleiben. Foto: Ulf Buschmann

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