Der alte und der neue Bovi!?
In gut einem Jahr wird im Land Bremen eine neue Bürgerschaft gewählt. Dass Andreas Bovenschulte (SPD) Bürgermeister bleibt, gilt allgemein als sicher. Die Koalitionsfrage hingegen ist noch offen – genauso wie der Kandidat der CDU. Carsten Meyer-Heder, derzeit Landesvorsitzender und Spitzenkandidat 2019 hat bereits im Januar erklärt, als Spitzenkandidat nicht zur Verfügung zu stehen.
Von Ulf Buschmann
Die Aussage von Lothar Probst kann klarer nicht sein. Der bundesweit bekannte Politikwissenschaftler und ehemalige Leiter des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bremen glaubt nicht, dass die CDU bei der Bürgerschaftswahl im Mai 2023 nochmals stärkste politische Kraft werde. Dieses für Bremen große Wunder hatte die Partei bei der Bürgerschaftswahl 2019 vollbracht. Erstmals in der Geschichte des Landes lag die CDU laut amtlichem Endergebnis mit 26,66 Prozent vor der SPD mit 24,93 Prozent.
Die ersten Tage lag eine schwarz-grüne Koalition im Bereich des Möglichen. Doch die Geschichte verlief anders: In Bremen regierte weiterhin die SPD mit einer Koalition aus Grünen und Linken. Doch der sozialdemokratische Spitzenkandidat Carsten Sieling, der als Bürgermeister in den Augen vieler Menschen eine eher unglückliche Figur gemacht hatte, verzichtete auf seinen Posten und trat als einfacher Bürgerschaftsabgeordneter ins Glied zurück.
Der Bovenschulte-Stern
Dafür ging wenige Wochen nach der Wahl der Stern des Andreas Bovenschulte auf. Der ehemalige SPD-Landesvorsitzende und Bürgermeister der niedersächsischen Gemeinde Weyhe ist nach Überzeugung von Politikwissenschaftler Probst „ein anderes Kaliber“. Bovenschulte oder Bovi, wie er oftmals liebevoll genannt wird, sei „omnipräsent“. Und: „Er macht eine starke Figur.“ Vor diesem Hintergrund dürfte klar sein, dass die Bremer Sozialdemokraten ihren Wahlkampf ganz auf den Bürgermeister zuschneiden. Entsprechende Planungen sind aus den Reihen der Partei zu hören.
Nun also die Bürgerschaftswahl 2023: Ob das rot-grün-rote Bündnis indes in der kommenden Wahlperiode weitermacht, lässt sich überhaupt nicht sagen. Hintergrund: Es funktioniere nicht alles wie gedacht, weiß Probst. In der Kritik von allen Seiten stehen zumindest in der Stadt Bremen die Grünen. Der Grund: Das Ressort von Maike Schaefer, Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau, zieht den Groll der Menschen mit diversen Versuchen für eine autofreie Bremer Innenstadt immer wieder auf sich.
Pragmatische Linke
Immer wieder hat sich denn auch in den vergangenen Wochen gezeigt, dass sich in einigen wichtigen Bereichen SPD und Linke näher stehen. Einer der Gründe dafür ist die Corona-Pandemie. Da es in der Bremer Landesverfassung keine sogenannte Richtlinienkompetenz des Bürgermeisters gibt, liegen die Verantwortlichkeiten bei der Bewältigung dessen bei den zuständigen senatorischen Dienststellen. Im kleinsten Bundesland sind dies Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz sowie Wirtschaft, Arbeit und Europa. Beide Senatorinnen, Claudia Bernhard und Kristina Vogt, gehören den Linken an. Beide haben sich durch ihre pragmatische Politik einen guten Ruf beim Wahlvolk erworben.
Das Parteivolk hingegen ist davon nicht ganz so begeistert. Beide Senatorinnen mussten denn auch bei den vergangenen Landesparteitagen diverse Kritiken über sich ergehen lassen. Insbesondere Vogt ziehe beim Linken-Standpunkt, die antikapitalistische Kraft in der Koalition zu sein nicht mit, findet Probst. Im Gegenteil, selbst bei der als bürgerlich-konservativ geltenden Handelskammer für Bremen und Bremerhaven hat sich die Wirtschaftssenatorin dem Vernehmen nach ordentlich Respekt erarbeitet.
Bovenschulte als Pandemie-Erklärbär
Medial gesehen steht Bovenschulte im Mittelpunkt, und das nicht nur in Bremen, sondern bundesweit. Der Bremer Bürgermeister hat sich zu einem der Pandemie-Erklärbären entwickelt. Das findet der Bremer SPD-Landesvorsitzende Reinhold Wetjen naturgemäß gut. Dass seine Partei im kommenden Jahr wieder stärkste Kraft wird, steht für ihn außer Frage. Programmatisch umschreibt Wetjen den nahenden Wahlkampf so: „Wir kümmern uns um die Themen, die die Menschen bewegen.“
Dies seien sichere Arbeitsplätze mit Bezahlung nach Tariflohn, die Sicherung der industriellen Kerne und die Entwicklung der Innenstädte in Bremen und Bremerhaven. Wetjen versteht seine Worte nicht als Hülsen, im Gegenteil. Die Mitglieder hätten den Willen, etwas zu bewegen. Und: „Trotz der Lähmung durch die Pandemie ist die Partei ganz munter.“
CDU: Führungs- und Großstadtproblem
Die Bremer CDU steht dagegen völlig anders da als vor vier Jahren. Als der aktuelle Landesvorsitzende Carsten Meyer-Heder überraschend für den politischen Gegner und teilweise sogar für die eigenen Mitglieder als Spitzenkandidat aus der Tasche gezogen worden war, wehte ein frischer Wind durch die Partei. Doch die Schönwetter-Front war nach der Wahl schnell wieder abgezogen. Seitdem hält sich zumindest nach außen hin ein beständiges Tief über der Parteizentrale am Wall. Politikwissenschaftler Probst ist überzeugt, dass die Bremer CDU ein „Führungsproblem“ habe. Hinzu kommt ihr an der Weser besonders großes „Großstadtproblem“. Heißt: Die CDU kann sich schlecht an Veränderungen der Stadtgesellschaft anpassen.
Wie schwer sich die Partei derzeit tut, zeigt alleine schon die Tatsache, dass Meyer-Heder als Landesvorsitzender nur schriftlich antworten möchte. Auf die Frage nach den Zielen für die kommende Wahlperiode greift Meyer-Heder zu an der Weser Altbekanntem: Bremen sei im Prinzip überall Schlusslicht. Gleichzeitig hebt er hervor, dass es letztlich die CDU gewesen sei, die Bremen in Richtung mehr Klimaschutz geschoben habe: „Wir als CDU haben aus der Opposition heraus die in Deutschland einmalige, sehr erfolgreiche Klima-Enquete-Kommission durchgesetzt.“ Meyer-Heders Schlussfolgerung: „Bremen braucht eine CDU-geführte Mannschaft, die unser Bundesland endlich aus dem Tabellenkeller herausholt.“ Und: „Koalitionen mit der Linkspartei oder der AfD schließen wir aus.“
Grüne Kernthemen „relevant“
Auch die Bremer Grünen fühlen sich für einen Wahlkampf gerüstet. „Ich sehe uns in einer guten Position“, sagt Landessprecher Florian Pfeffer. Er verweist unter anderem auf das beste Ergebnis seiner Partei aller Zeiten bei der Bundestagswahl im September. Bei den Zweitstimmen kamen die Grünen auf 20,9 Prozent, ein Plus von 9,8 Prozentpunkten. Grüne „Kernthemen“ seien für die Bremer und Bremerhavener trotz aller Kritik relevant, ist Pfeffer überzeugt. Allerdings wolle sich die Partei nicht auf Klima und Co. reduzieren lassen. Hierzu gehört zum Beispiel auch die soziale Frage bei der wirtschaftlichen Transformation.
Wirtschaftspolitik funktioniere letztlich nur mit Klimapolitik, ist der Grünen-Landessprecher überzeugt: „Genauso ist es bei sozialen Fragen.“ Hier müsse unter anderem über soziale Ausgleichsmaßnahmen gesprochen werden. Alleine vor diesem Hintergrund müssten die wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen ab der kommenden Wahlperiode so verändert werden, dass die Ergebnisse der parteiübergreifenden Klima-Enquete-Kommission umgesetzt werden könnten.
„Wir können Krise“
Partner Nummer drei der Bremer Koalition sind die Linken. Christoph Spehr, neben Anna Fischer einer von zwei Landessprechern, findet: „Wir sind als Landesverband sehr stark.“ Rot-grün-rot sei „die richtige Koalition, um die Probleme zu bearbeiten.“ Davon gibt es laut Spehr eine ganze Reihe. Er nennt die Themen Corona-Pandemie und ihre Folgen, die wirtschaftliche Transformation und die soziale Gerechtigkeit. Doch gerade bei einem der Linken-Kerne, dem Thema Mieten und Wohnen, bekommt die Partei zumindest in Bremen noch kein Bein an den Boden. Spehr macht daraus keinen Hehl: „Da läuft man noch den Problemen hinterher.“
Dafür habe die Partei gezeigt, dass sie nicht nur reden könne und Anträge verabschiede. Gerade das Zusammenbringen der sozialen Frage beziehungsweise wirtschaftlichen Hilfe mit der Impfkampagne des Landes und den daraus resultierenden Erfolgen habe gezeigt, „dass wir Krise können“. Dass die beiden Senatorinnen Bernhard und Vogt mehr als einmal Gegenwind von der Parteibasis bekommen haben, ist für Spehr „notwendig und wichtig“. Er sagt: „Das sind Reibungen, die wir austragen müssen.“
FDP: Zehn Prozent als Ziel
Die einzig echte Oppositionspartei neben der CDU in der Bremischen Bürgerschaft ist aktuell die FDP. Wo die Partei bei der Wahl im kommenden Jahr hinkommen möchte, bringt der Landesvorsitzende Thore Schäck auf den Punkt: „Das Ziel ist es, dass wir uns um zehn Prozent herum bewegen. 2019 erreichte die FDP 5,9 Prozent und ist seitdem mit fünf Abgeordneten im Haus der Bürgerschaft vertreten. Trotz des knappen Ergebnisses verstehen Schäck und seine Stellvertreterin Bettina Schiller die Unterweser-FDP als „kraftvolle und konstruktive Opposition“. Diesen Anspruch hat die Partei ebenso für die kommende Wahlperiode.
Gute Schulen, genügend Kita-Plätze, bezahlbarer Wohnraum für alle, Verkehr mit Platz für alle Träger sowie öffentliche Sicherheit und Sauberkeit sind einige der Themen der FDP. Schiller und Schäck heben hervor, dass die Partei nicht mehr nur auf die Wirtschaft fixiert sei. Die Liberalen hätten sich Stück für Stück breiter aufgestellt. Jedoch, so Schäck: „Eine starke Wirtschaft ist für uns ein wichtiges Kernthema.“ Und doch setzt die FDP vor allem auf günstige Rahmenbedingungen.
AfD hat sich „konsolidiert“
Einen Tick besser als die FDP hatte 2019 die AfD abgeschnitten: Mit 6,1 Prozent zog sie mit ebenfalls fünf Abgeordneten in die Bürgerschaft ein. Allerdings fielen die Parlamentarier mehr durch interne Streitigkeiten als durch konstruktive Oppositionsarbeit auf. Das soll jetzt anders werden. „Auf Landesverbands-Ebene haben wir es geschafft, uns zu konsolidieren“, sagt der kommissarische Landesvorsitzende Sergej Minich. Demnächst solle es einen Landesparteitag mit Vorstandswahlen geben.
Inhaltlich setze die AfD auf die Themen Bildung, Wirtschaft, Wohnungsbau und innere Sicherheit. Mehr kann Minich noch nicht sagen – erst einmal müsse das Wahlprogramm geschrieben werden. Nur eines lässt er durchblicken: Thematisch möchte die Partei auf die Expertise von Fachleuten setzen. Bleibt die Frage nach dem Wunsch-Wahlergebnis. Diese beantwortet Minich so: „Unser Anspruch ist es, zweistellig zu werden.“ Zehn Prozent sollten dem AfD-Wunsch zufolge drin sein. Vertreten ist in der Bremischen Bürgerschaft auch die Wählervereinigung „Bürger in Wut“. Unsere Anfrage nach einem Gespräch blieb unbeantwortet.
Wahlen in Niedersachsen
Noch in diesem Jahr werden die Niedersachsen an die Wahlurne gerufen. Am 9. Oktober wird ein neuer Landtag gewählt. Prognosen zufolge kann Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) fünf weitere Jahre die Geschicke des Landes lenken. Anfang Februar lag die SPD bei rund 34 Prozent, gefolgt vom Koalitionspartner CDU mit 26 Prozent. Deutlich abgeschlagen lagen die Grünen bei 14 Prozent vor der FDP (11 Prozent), AfD (7) und Linke (4). Über 60 Prozent der Niedersachsen sind mit der Arbeit der Regierung zufrieden.
Wie alle bei der Bundestagswahl erlebt haben, bedeuten Prognosen im Frühjahr – egal wie gut sie ausfallen – überhaupt nichts für den Wahlsonntag im Herbst. Im März/April 2021 lag die CDU mit weit über 30 Prozent deutlich vor den Grünen und der SPD. Das Ergebnis ist bekannt: Die CDU findet sich in der Opposition wieder.
Zurück zur Landtagswahl. Wegen Corona gestaltete sich die Nominierung der Kandidaten äußerst schwierig. Denn viele Parteistatuten stammen noch aus der rein analogen Welt und Pandemien waren nicht vorgesehen. Meint: Die Aufstellungsversammlungen müssen in Präsenz stattfinden. Teilweise muss sogar ausschließlich schriftlich und geheim gewählt werden. Bei den hohen Inzidenzen und der „Winterruhe“ waren Versammlungen kaum möglich.
Entsprechend nutzten die Parteien das kleine Zeitfenster, in dem die Corona-Verordnung Versammlungen zuließ. Normalerweise werden die Kandidaten rund ein Jahr vorher nominiert. Dass erst jetzt klar ist, wer nun final für die Parteien und Wahlkreise kandidiert, beeinflusst den Wahlkampf, weil die Zeitspanne deutlich kürzer ist.
Eine weitere Baustelle waren die Wahlkreise. In Niedersachsen gab es ein Ungleichgewicht. Einige Wahlkreise waren sehr groß und andere sehr klein. Um juristisch nicht angreifbar zu sein, einigten sich die Regierungsparteien SPD und CDU auf lokale Modifizierungen. Alternativ hätte man auch alle Wahlkreise im Land neu zuschneiden können.
Um alle Wahlkreise in etwa gleichgroß zu machen, entstand in Lüneburg ein weiterer Wahlkreis. Dafür verschwand der Wahlkreis Seesen komplett. Er wurde auf drei Benachbarte aufgeteilt. In einem weiteren Schritt gab der Wahlkreis Osterholz zwei Gemeinden an den Wahlkreis Rotenburg ab. Dies waren Oyten und Ottersberg. Die Einigung fand erst im November 2021 statt. (awä)
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