Die Buchretterin

Manche Bücher haben für ihre Besitzer einen hohen ideellen Wert. Wenn etwas kaputtgeht, kommt die Bremer Buchbinderin und -restauratorin Birgit Drücker ins Spiel.

Von Daniela Krause

Mit geliebten Büchern ist es oft wie mit geliebten Kuscheltieren – sie sehen entsprechend beansprucht aus. So hat auch das Kinderbuch „Wie Engelchen seine Mutter suchte“ ein wenig gelitten, das Birgit Drücker auf Schäden untersucht. An einigen Stellen sind die leicht vergilbten Seiten eingerissen. Mit einer Schere schneidet die Buchbinderin dünne Streifen aus Japanpapier zurecht. Dann nimmt sie ein Mini-Bügeleisen zur Hand, um das Japanpapier vorsichtig auf den Riss zu bügeln. „Durch die Hitze gehen die Papiere eine Verbindung ein“, erklärt sie. „Der Riss ist zu, und die Illustration bleibt erhalten.“

Bücher binden und restaurieren

Kinderbücher wie dieses werden häufig in ihre Notaufnahme gebracht, aber auch zum Beispiel Kochbücher, Lexika, Gedichtbände, Bibeln und Gesangbücher. „Männer kommen meist mit historischen Atlanten zu mir“, erzählt Birgit Drücker. Seit mehr als 40 Jahren widmet sie sich mit großer Hingabe einem selten gewordenen Handwerk: dem Binden und Restaurieren von Büchern. „Buchstaben, Bleisatz und Schriften haben mich immer fasziniert.“ Nach dem Fachabitur ging sie an die Kieler Kunsthochschule, studierte Verpackungs- und Produktdesign – und verliebte sich in die Buchbindekunst.

Sie halten Birgit Drücker schon lange die Treue: Tilda (v.) und die „dicke Berta“. Foto: Daniela Krause

Maschinen mit kleinen Macken

1979, wenige Tage nach ihrem Examen, richtete sie sich in Bremen ihre eigene Buchwerkstatt ein. Die Maschinen, die sie hierfür benötigte, kaufte sie sich deutschlandweit aus Werkstattauflösungen zusammen und bewahrte auf diese Weise manch ein gutes Stück vor dem Museum. Tilda etwa, ihre treue Blockschneidemaschine, fand bei ihr Unterschlupf. „Die war doch erst 100 Jahre alt. Die muss noch ein bisschen was tun.“

Mit der „dicken Berta“, einer Stockpresse, übt sie den richtigen Druck auf die Bücher aus, während „Kräusel“ sich verlässlich durch Pappe frisst. „Kleine Macken haben die alten Maschinen alle – das ist wie bei alten Menschen“, sagt Birgit Drücker schmunzelnd.

Solange es Bücher gibt, haben wir Buchbinder etwas zu tun.

„Als ich damals mit der Buchbinderei loslegen wollte, wusste ich zunächst gar nicht, wie ich anfangen sollte“, erzählt sie. Bei einem Besuch im Künstlerdorf Worpswede stieß sie auf ein „hutzeliges Häuschen“ mit einem Schild, auf dem das Wort „Bucheinbände“ prangte. „Ich habe einfach mal geklingelt.“ Schnell kam sie mit der Hausbewohnerin ins Fachsimpeln. Nach dem Motto „learning by doing“ organisierten die beiden Frauen einen Buchbinde-Kurs. Es folgten weitere Kurse, und schließlich die ersten Aufträge.

Das Goldene Buch

In den folgenden Jahren gönnte sich Birgit Drücker jährlich eine Fortbildung, zum Beispiel am Centro del Bel Libro in Ascona oder am Buchbinder-Colleg in Stuttgart. Zudem befasste sie sich intensiver mit den unterschiedlichen Genres der Buchbindekunst, zu denen Holzschnitt, Typographie, Malerei, Wachs-, Papier, und Metallarbeiten zählen. Ihr Handwerk umfasst neben den historischen und kunsthandwerklichen Bindetechniken auch Papierdekorationen, Einbandgestaltung und Kartonage-Arbeiten. So hat sie in ihrer Werkstatt unter anderem eine Transportkiste für einen Pokal und eine Urne in Autoform gebaut. „Alles, was sich aus Leder, Pergament, Leinen, Papier und Pappe herstellen lässt, ist möglich.“

Birgit Drücker bügelt vorsichtig das Japanpapier auf den Riss. Foto: Daniela Krause

Zu ihren Kunden zählen überwiegend Privatpersonen, aber auch Institutionen wie die Handelskammer und Handwerkskammer Bremen oder das Fischereimusem in Bremerhaven. Für das Bremer Rathaus fertigte sie innerhalb von wenigen Wochen das fünfte Goldene Buch der Stadt Bremen an, in das sich seitdem namhafte Gäste verewigen. In den Einband arbeitete sie ein Kupferstück ein, das von der Dachsanierung des Rathauses übriggeblieben war, um den Bezug zur Hansestadt und dem Weltkulturerbe herzustellen.

Die Letzte ihrer Art?

Mit ihrer Werkstatt am Wall, in der ein bisschen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, gehört Birgit Drücker heute zu noch etwa 500 handwerklichen Buchbindereien in Deutschland. Dass sie, wie es oft geschrieben steht, „zu den Letzten ihrer Art“ gehört, findet die 69-Jährige nicht. Im Gegenteil: „Solange es Bücher gibt, haben wir Buchbinder etwas zu tun.“ Aktuell wartet eine schwere Bibel von 1793 auf ihre Restauration. „Da müssen auf jeden Fall die Ecken erneuert werden“, sagt sie mit einem prüfenden Blick. Besonders spannend sind für sie alte Werke mit handkolorierten Stichen oder Handschriften auf Pergament.

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Neugierig nimmt sie jedes Buch genau unter die Lupe: Welche Materialien wurden verwendet? Wie wurde das Buch hergestellt? Was muss erhalten bleiben, was darf gehen? „Man ist schon erstaunt, auf welche Ideen die Menschen damals gekommen sind. Da wurde aus Mangel an Leinen eben ein alter Schlafanzug hinter den Buchblock geklebt.“ Manchmal greift die gebürtige Bremerin auch selbst zu ungewöhnlichen Mitteln. Und so wurde aus einer Lederjacke vom Flohmarkt kurzerhand ein Bucheinband. Das Experimentieren mit Farben, Formen und Materialien macht Birgit Drücker immer wieder große Freude. „Ich liebe es, wenn ich meiner Kreativität freien Lauf lassen kann“, sagt sie.

Bücher zum Anbeißen

Genauso mag sie es, Interessierten ihre Werkstatt zu zeigen. An ihrer Lampe baumelt ein Stück Pergament: „So kunstvoll sieht es aus, wenn Silberfische am Werk waren.“ Neben dem Zahn der Zeit nagen Insekten, Mäuse und Hunde an Büchern – und Papageien. „Ich habe einen Kunden, der Bücher zu mir bringt, weil seine Papageien den Rücken angeknabbert haben“, erzählt sie. Das seien die angenehmeren Patienten. Sie hat aber auch mitunter miefenden Lesestoff von Rauchern oder verschimmelte Exemplare auf dem Tisch. Diese verarztet sie bevorzugt im Freien, da der Schimmel sonst die gesunden Bücher anstecken könnte. Dass ein Buch gar nicht mehr zu retten sei, komme zwar vor, sei jedoch eher selten der Fall.

Behutsam trennt die Buchrestauratorin den zerfallenen Buchrücken vom Atlas. Foto: Daniela Krause

Bücher in fantasievollen Formen

Wenn sie nicht gerade Bücher verarztet und aufhübscht, entwirft Birgit Drücker selber Bücher in fantasievollen Formen, beispielsweise Pyramiden oder Tortenstücke. Ihre Werke zeigt sie ab und an auf Kunsthandwerk-Ausstellungen wie der Schau „Ins Grüne“, die in diesem Jahr am 24. und 25. September von 11 bis 18 Uhr im Park des Focke-Museums und im Haus Riensberg stattfindet. Um die 30 Kunsthandwerkschaffende aus Bremen und umzu stellen dort ihre Arbeiten aus. Veranstaltet wird das Ganze vom Verein Angewandte Kunst Bremen (AKB), einem Zusammenschluss von rund 60 Kreativen , darunter Birgit Drücker.

Gegenseitige Werkstattbesuche

Die Buchbinderin schätzt den regen Austausch mit anderen Kunsthandwerkern. „Es ist ein schönes Miteinander. Man leiht sich mal eine Maschine beim anderen aus oder besucht sich gegenseitig in der Werkstatt“, erzählt sie. Natürlich unterhalte man sich auch über Zukunftspläne. „Ich werde nächstes Jahr 70“, sagt Drücker. „Solange meine Augen und Hände funktionieren, mache ich weiter.“

Zum Abschied erzählt sie eine kleine Anekdote von einem jungen Mann, der seinen in Leder gebundenen Gedichtband repariert haben wollte, den er immer bei sich trug. Diese Begegnung hat sie nachhaltig beeindruckt: „Solange es solche Menschen gibt, ist das Buch nicht verloren.“

Vier Profi-Tipps für Bücherschätze

1. Für ein gutes Raumklima sorgen.
2. Schränke mit Türen schützen Bücher am besten vor Staub.
3. Bücher niemals an die kalte Wand stellen! Schimmelgefahr!
4. Wie der Ledereinband geschmeidig bleibt: Hände mit Vaseline eincremen und das Buch „liebevoll streicheln“.

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