Wir wollen raus aus der Geheimtipp-Ecke

Die Musikerin Elisabeth Champollion ist seit gut einem Jahr Künstlerische Leiterin des Sendesaals und hat noch viel vor. Für die Nord West Reportagen sprach Frank Schümann mit ihr. Eine erste Zwischenbilanz.

Von Frank Schümann

Seit gut einem Jahr ist sie jetzt in ihrer neuen Funktion tätig, und ihre Bilanz fällt insgesamt positiv aus: Die Rede ist von Elisabeth Champollion, der neuen Leiterin des Sendesaals Bremen. Im Januar 2023 hatte sie die Leitung von Radio Bremen-Urgestein Peter Schulze übernommen, der sich nach 13 Jahren als Künstlerischer Leiter seine Nachfolgerin selber ausgesucht hatte – doch dazu später mehr.

Jazz, Klassik und mehr

Der Sendesaal, der einst im Jahre 1952 speziell für Radio- und Studioerlebnisse gebaut worden war (und seit 2009 denkmalgeschützt ist), gehört zu den akustisch besten Konzertsälen in Deutschland. Früher im Besitz von Radio Bremen, wird er seit 2009 vom Verein „Freunde des Sendesaals“ betrieben (der Freundeskreis wird im Übrigen immer noch von Schulze geleitet). Seit seiner Errichtung steht er aufgrund seiner herausragenden Akustik für erstklassige Tonaufnahmen, aber eben auch für tolle Konzerte – was die Auswahl der Künstler betrifft, stehen Vielfalt und Spielfreude im Zentrum des Selbstverständnisses. Das war unter der Leitung von Schulze so, daran hat sich auch unter Champollion nichts geändert – wenngleich die heute 39-Jährige durchaus eigene Akzente setzt. „Im Sendesaal hören Sie die Besten aus Jazz, Klassik, Weltmusik, Singer-Songwriter und Chanson“, so das selbstbewusste Credo. Ihre Rolle dabei: „Ich bin vor allem dazu da, die künstlerische Linie des Sendesaals zu definieren“, sagt Champollion. Wobei sie gleich hinterherschickt: „Es ist ja nun auch nicht der Auftrag, alles neu zu machen“. Vielmehr gehe es auch darum, das gute Netzwerk aufrechtzuerhalten.

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So kennen die Bremer ihren Sendesaal, der 1952 erbaut wurde. Foto: Frank Schümann

„Gute Mischung“

Als ihre „Mission“ vor einem guten Jahr begann, diente das erste halbe Jahr zunächst dem Einarbeiten, der Sichtung und der Planung – das August bis Januar-Programm (Saison 2023/24, Teil 1) war das Erste, das unter ihrer Ägide stattfand. Die neue Leiterin zeigt sich zufrieden mit dem Neuanfang: „Die künstlerische Qualität ist sehr hoch, und ich denke, wir haben wieder eine sehr spannende, ausgewogene Mischung hinbekommen.“ Gleiches gelte bislang auch für die jetzt laufende zweite Saisonhälfte.

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Besondere Akustik, besondere Stimmung – der Sendesaal sorgt immer wieder für außerordentliche Momente. Foto: Rolf Schöllkopf

Bedeutende Auszeichnung

Der Saal umfasst 250 Plätze, pro Jahr finden hier etwa 80 Konzerte statt. An über 100 Tagen pro Jahr werden zudem Aufnahmen für Tonträger gemacht. Viele von ihnen wurden bereits mit weltweit renommierten Musikpreisen ausgezeichnet. Und auch das Programm des Sendesaals wurde und wird honoriert: Bereits sechs Mal wurde es mit dem bedeutenden APPLAUS prämiert – zuletzt im Oktober 2023 und damit bereits unter neuer Leitung. Heißt: Die Erfolgsgeschichte des Sendesaals wird ohne Pause weitergeschrieben.

Nicht ausruhen

Doch ausruhen auf solchen Lorbeeren möchte sich Elisabeth Champollion nicht, im Gegenteil. Ihr Vorteil: Sie kennt durch ihre eigenen Teilnahmen an vielen Festivals sehr viele Musiker, ist immer auf der Höhe der Zeit. Denn Elisabeth Champollion konzertiert als erfolgreiche Blockflötistin regelmäßig in Deutschland, Europa und weltweit. Zudem war sie 2019/20 Lehrbeauftragte für Blockflöte/Consort- und Ensemblespiel an der Hochschule für Künste Bremen, wo sie selbst Blockflöte studiert hat, und bereits 2011 Stipendiatin der Akademie Concerto21, die sich mit innovativen Konzertformaten und Publikumsentwicklung auseinandersetzt. Um ihrer Leidenschaft für die Kombination aus alter und neuer Musik Rechnung zu tragen, gründete sie 2018 das Ensemble Volcania, mit dem sie Barockmusik mit den aufregendsten Kompositionen aus aktueller Zeit zusammenbringt. Mit den Kammermusik-Formationen PRISMA und Boreas Quartett hat sie zwei weitere Gruppen, mit denen sie Konzertreihen und Festivals mit individuellen Konzertprogrammen bereist; dabei stünden immer die Leidenschaft am Musizieren und an der Begegnung im Vordergrund, so die Sendesaal-Leiterin.

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Live-Erlebnis ist wichtig

Elisabeth Champollion – nebenbei auch Trägerin mehrerer nationaler und internationaler Kammermusikpreise – weiß also, wovon sie spricht. Das wichtigste Kriterium bei der Auswahl der künstlerischen Acts ist für sie: „Ich lasse mich vor allem überzeugen von guten Live-Erlebnissen – je mitreißender jemand live ist, desto prädestinierter ist er für uns – und das durchaus stilübergreifend.“ Sie schaue genau hin, „wie die Energie ist“ – ist sie in ihren Augen nicht ausreichend, werden die Künstler auch nicht verpflichtet. Dabei favorisiert sie akustische oder halbakustische Gruppen, elektronisches funktioniere im Sendesaal nicht ganz so gut. Sie verlässt sich bei der Auswahl auch auf ihr in Jahrzehnten erworbenes Fingerspitzengefühl: „Ich prüfe sehr genau und hinterfrage die Qualitäten auch im Nachhinein – wer einmal hier war, kommt nicht automatisch immer wieder. Manchmal sind sie live toll, aber nicht auf Platte – oder eben umgekehrt.“

Radio Bremen-Bremen-Sendesaal-Elisabeth Champollion

Hat noch viele Pläne für die Zukunft: Elisabeth Champollion. Foto: Frank Schümann

Arbeiten am Sehnsuchtsort

Als sie 2022 den Anruf von Peter Schulze erhielt mit dem Angebot, die Leitung zu übernehmen, sei es genau darum gegangen – Schulze schätzte vor allem die genreübergreifenden Kenntnisse von Champollion und ihr Gespür für Talente. Sie sei freudig überrascht gewesen und habe nicht lange überlegen müssen, so Champollion: „Ich hatte hier selbst schon Konzerte gegeben und Alben produziert – es war ein absoluter musikalischer Sehnsuchtsort für mich. Hier jetzt zu arbeiten, ist ein Traum.“

Sendesaal Bremen-Bremen_Radio Bremen

Hier spielt die Musik, bisweilen gleich mehrfach. Foto: Rolf Schöllkopf

Hochklassige Aufnahmen

Zumal im Sendesaal natürlich auch weiterhin hochklassige Aufnahmen von Tonträgern stattfinden; es sei immer noch etwas Besonderes, das rote Aufnahmelicht auch bei Live-Konzerten mitzuerleben. „Man kann die Aufnahmen aus den Konzerten 1:1 für die Alben nehmen“, sagt sie – „in welchem Saal ist das schon möglich?“

Neues Ticket-System

Was soll sich denn künftig noch ändern? „Wir sind immer noch ein Geheimtipp“, sagt sie, um sogleich hinzuzufügen: „Wir wollen aber raus aus dieser Geheimtipp-Ecke.“ Wie? „Wir müssen die Menschen persönlich erreichen, so dass sie gute Besuchererfahrungen machen.“ Denn sie weiß: Wer ist einmal hier war, kommt in den meisten Fällen auch wieder. Darauf alleine will sie aber nicht vertrauen, einige Maßnahmen wurden schon ergriffen: So wird ein neues Ticket-System mit Saalplan-Buchung eingeführt, das ab Sommer/Herbst dieses Jahres greifen soll.

Sendesaal Bremen - Bremen-Mischpoke Hamburg-Radio Bremen

Spielt am 1. Juni im Sendesaal: die Hamburger Klezmer-Band Mischpoke. Foto: Steven Haberland

Chefin spielt auch selbst

Zudem werde es auch in Zukunft Experimente geben, so wie mit der Hamburger Klezmer-Band „Mischpoke“, die am 1. Juni im Sendesaal gastiert – und sie selbst ist auch bisweilen auf der Bühne, aber nur zu besonderen Anlässen wie etwa dem Saisonauftakt. „Ich will das nicht inflationär betreiben“, sagt Champollion, und: „Wir sind ja immer noch dabei, unser Publikum kennenzulernen – und beobachten genau, wie unsere einzelnen Programmpunkte angenommen werden.“

Alles über den Sendesaal

Wer sich für alles rund um den Sendesaal in der Bremer Vahr interessiert, dem bietet der Internetauftritt alle Informationen.