„Der Ort lebt“
Den Denkort Bunker Valentin gibt es seit fünf Jahren – Dorthin kommen von Januar bis Dezember rund 30.000 Gäste
Von Ulf Buschmann
Verbunkerte U-Boot-Werft, Marinematerialdepot, Spielort des Bremer Theaters. Der Bunker, der da im Norden Bremens an der Weser steht, hat eine bewegte Geschichte. Seit fünf Jahren ist dieses Bauwerk ein Denkort – der Denkort Bunker Valentin. Gut und gerne 30.000 Besucherinnen und Besucher kommen dorthin. Sie möchten sich ein möglichst authentisches Bild davon machen, was von 1943 bis 1945 dort geschah.
„Valentin“ war der Tarnname des größten Rüstungsprojekts der deutschen Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg. In der verbunkerten Werft sollten die auf den deutschen Werften zuvor gebauten Sektionen des U-Boot-Typs XXI zusammengesetzt und direkt von der Unterweser aus auf Feindfahrt gehen. Die Bauarbeiten begannen im Jahr 1943, wurden aber nach schweren alliierten Luftangriffen im März 1945 eingestellt. Zehntausende von Zivilarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen kamen dabei zum Einsatz, über 1.600 starben an Unterernährung, Krankheiten und Willkür.
U-Boot-Typ XXI
Technisch galt der Typ XXI, der 1944 und 1945 von den Werften Blohm & Voss in Hamburg, der AG „Weser“ in Bremen sowie den Schichau-Werken in Danzig gebaut wurde, als die modernsten ihrer Zeit. Sie waren nicht nur stärker motorisiert und bewaffnet. Der Clou war der sogenannte „Schnorchel“. Damit war der Typ XXI in der Lage, mit hoher Geschwindigkeit fast nur unter Wasser zu fahren. Das letzte noch erhaltene U-Boot ist die „Wilhelm Bauer“. Sie liegt heute als Museumsschiff in Bremerhaven.
Technik steht im und am Denkort nicht im Fokus. Im Gegenteil, die Macherinnen und Macher stellen die menschlichen Schicksale und das brutale Unterdrückungssystem in den Mittelpunkt. Nachdem sich die Bundeswehr zurückgezogen hatte, wurde der Bunker ab 2010/2011 zum Denkort umgebaut. Der Anfang ist aus unterschiedlichen Gründen etwas holperig gewesen. Doch darüber ist das Team längst hinweg.
„Der Ort lebt“
„Der Ort hat immer weiter Wurzeln geschlagen“, sagt Christel Trouvé. Marcus Meyer ergänzt: „Der Ort lebt.“ Trouvé und Meyer sind die beiden wissenschaftlichen Leiter der Einrichtung. Der Andrang sei ungebrochen. Gerade die Nachfrage nach Führungen oder ganzen Seminaren von Schulklassen und Trägern der Erwachsenenbildung nehme trotz der Coronapandemie und der derzeitigen Schließungen durch den Teillockdown kontinuierlich zu. Das Netzwerk des Denkorts reiche heute von den lokalen Grundschulen im Ortsteil bis nach Australien. Meyer hebt zudem die durch das „Memory Lab“ geschaffenen europaweiten Verbindungen hervor. „Eine Grundschule hat bei uns die gleiche Bedeutungsebene wie eine internationale Kooperation“, sagt Meyer.
Das alles habe sich indes nicht ohne die Kooperation mit den Verbänden und Einrichtungen vor Ort erreichen lassen. Dazu gehören laut Meyer unter anderem der VVN-Landesverband Bremen, der Verein Geschichtslehrpfad, die Heimatfreunde Neuenkirchen mit ihrer Sparte Gedenkstättenarbeit, die das Projekt „Baracke Wilhelmine“ betreut, sowie die Internationale Friedensschule Bremen. „Solch ein Denkort ist nicht ohne die Aufbaugeneration zu denken“, lobt Meyer“, diese Leute haben die Wurzeln dafür gelegt.“
Generationswechsel
Inzwischen hat es so etwas wie einen Generationswechsel gegeben. Sehr zu Trouvés Freude interessieren sich immer mehr junge Leute für den Denkort und seine Arbeit. Gerade im Bereich Quellenforschung und Recherche sei die Einrichtung aufgrund ihrer knappen Personaldecke auf Praktikanten und Ehrenamtliche angewiesen. Einen guten Ruf haben sich in der Öffentlichkeit überdies die Schüler und Studierenden erarbeitet, die als sogenannte Guides tätig sind.
Für die Zukunft sei es notwendig zu fragen, wie denn Erinnerungsarbeit aussehen muss. Da sind sich Trouvé und Meyer sicher. Deshalb gebe es in den nächsten fünf Jahren gleich mehrere Stellschrauben: Forschen sowie vertiefen der Ausstellung, die Qualität des Denkorts als außerschulischen Lernort weiterzuentwickeln sowie den Bereich Kunst und Kultur auszubauen. „Damit erreichen wir ein ganz anderes Publikum“, sagt Trouvé. Meyer ergänzt: „Dahinter steht die Philosophie der Auseinandersetzung und des Streitens.“
„Den Bunker Riskant halten“
Das bedeutet, dass sich die Menschen gerade auch vor dem Hintergrund des Erstarkens rechter Strömungen in Politik und Gesellschaft wieder mit Argumenten auseinandersetzen sollen. Dies gelinge an solch einem Ort wie „Valentin“ allerdings nur, wenn die Menschen in der Lage seien, Damals und Heute zu verbinden. „Ich glaube, man kann mit einer guten Erzählung die Leute dazu bringen, Bezüge herzustellen“, sagt Meyer. Die Devise laute „weg von ritualisierter Erinnerungskultur“. Diese müsse immer wieder hinterfragt werden. Meyer zitiert Matthias Heil, Beiratsmitglied des Denkorts und Politikwissenschafter: „Ihr müsst den Bunker riskant halten“.
Die letzten Tage der Menschheit
Im Jahr 1999 hatte das Karl-Kraus-Stück die letzten Tage der Menschheit im Bunker Valentin Premiere. Frank Schümann blickt zurück auf eine der ungewöhnlichsten Inszenierungen des Bremer Theaters unter der Regie von Johann Kresnik.