Leben mit Boxen
Richard Weize hat 1975 das Label Bear Family Records gegründet. Dafür hat er Anfang des Monats das Bundesverdienstkreuz bekommen.
Von Ulf Buschmann
Bären sind seine Lieblingstiere. „Es sind etwa 2.000“, zählt Richard Weize auf – keine Lebendigen, sondern Figuren. Bären haben das Leben des 75-Jährigen bestimmt. Kein Wunder also, dass sie Pate für das standen, was er 1975 gründete: Bear Family Records. Mit diesem Label hat sich Weize weltweit Anerkennung und Respekt bei Käufern und Künstlern gleichermaßen verschafft. Dafür gab es bereits Anfang Februar das Bundesverdienstkreuz.
Eigentlich habe sein Label Bear Records heißen sollen: Doch ein Bild aus „Meyers Konversationslexikon“ von 1898 mit dem Bild einer Bärenfamilie habe ihn zum endgültigen Namen inspiriert, erzählt Weize, der 2016 aus seinem Unternehmen ausstieg. Aber untätig ist der Musikmann trotzdem nicht. Zwar weht der Geist von Bear Family Records durch das alte Bauernhaus in Vollersode im Landkreis Osterholz. Doch das Unternehmen hat seinen Sitz inzwischen in Holste. Von Vollersode aus betreibt Weize seine neue Firma „…and more bears“.
Mit zehn Jahren ging’s los
Musik spielte schon für den damals zehnjährigen, in Bad Gandersheim aufgewachsenen Richard eine Rolle. Dafür sorgten seine älteren Freunde und Bill Haley & the Comets. Die jungen Bad Gandersheimer standen auf die Single „Rock“. Die wollte der Junge damals auch haben, aber beim örtlichen Händler war nichts zu machen. Dieser hatte nur „Rock around the Clock“ von Bill Haley & the Comets. Also kaufte sich der junge Richard eben den Song, der die Hymne einer ganzen Generation war.
In den folgenden Jahren sammelte und tauschte Weize, was das Zeug hielt. Er erinnert sich unter anderem an die beiden Jungs aus den damaligen Ostgebieten mit ihren Platten von den Everly Brothers. Weize entwickelte alsbald ein Gespür für das, was ging: Er besorgte Platten aus den USA für seine Freunde und sich. Damit sei er im Einzugsbereich des damals zuständigen Zollamtes Bad Gandersheim schon so etwas wie ein Paradiesvogel gewesen, meint der Bärenfan schmunzelnd.
Schlosser, Dekorateur, Weinvertreter
Aber die Musik zum Beruf machen? Auf den Dreh kam er erst Jahre später. Weizes Eltern meinten, er solle erst mal was Vernünftiges lernen. Doch die beschlossene Schlosserlehre war nicht der große Wurf. Nach zwei Jahren schmiss Weize hin. „Dann habe ich Dekorateur gelernt, aber ich wollte die Freiheit des Vertreters und bewarb mich beim Weingut Pieroth“, sagt er. Besser klappte es nach holprigem Beginn mit dem Weinhandel. Für das damals größte Weingut der Bundesrepublik ging Weize Mitte der 1960er-Jahre nach Großbritannien.
Rückkehr nach Deutschland 1971, Hauskauf in Harmenhausen bei Berne, Umzug nach Bremen, Gründung von Bear Family Records 1975 – Weize war beruflich angekommen. Aber dem Geschmack der Masse ist er nie hinterher gelaufen. „Am Anfang habe ich nur Country gemacht“, blickt er zurück. Zu den Alltime-Highlights gehört eine Johnny Cash-LP-Box mit bis dato zwölf unveröffentlichten Songs. „Das war in der Zeit der Hammer“, meint Richard Weize.
Dolly Parton kannte ihn
Produzieren, okay, das ist das eine. Aber die Stars, deren Werke er veröffentlichte, traf der Musikmann auch selbst. Dazu gehören Dolly Parton und natürlich Johnny Cash. Beides sind für ihn bleibende Erinnerungen. Dolly Parton etwa traf er 2016 in Berlin. „Die wusste genau, wer ich war“, freut sich Weize noch immer. Bear Family hatte zuvor eine Box mit Songs von Dolly Parton und Porter Wagoner auf den Markt gebracht. „Dolly Parton hat sich dafür bedankt, dass wir die Box ,Dolly & Porter’ und nicht ,Porter & Dolly’ genannt haben“, schiebt Weize hinterher.
Für die Begegnung mit Johnny Cash musste er bloß nach Bremen fahren. Der Country-Ikone stand er in einem Hotel gegenüber. Weize erinnert sich an die hünenhafte Gestalt von Johnny Cash: „Dadurch, dass er immer schwarze Klamotten trug, wirkte er wie 3,80 Meter.“ Das Lob für seine Arbeit sprach indes nicht Johnny Cash selbst aus, sondern seine Frau June. Das Credo: Weize sei mit Bear Family Records einer der Besten am Markt.
Bluegrass und Rock’n’Roll
Aber nur Country wollte Weize dann doch nicht machen. Bluegrass, Rock’n’Roll und einige andere musikalische Nischen waren es, die bei Bear Family veröffentlicht wurden. Namen wie Janis Martin, aber eben auch Bill Haley, die Everly Brothers und Dolly Parton finden sich in den Katalogen, die in den folgenden Jahren immer dicker wurden. Die Auswahl? „Das waren reine Bauchentscheidungen“, sagt Weize: „Geld hat für mich nie eine Rolle gespielt.“ Ihm sei es bei den Veröffentlichungen nie um Gewinnmaximierung gegangen. Er habe höchstens die Veröffentlichung einer Musikbox vorgezogen, um ein anderes Projekt damit zu finanzieren.
Eine Box liegt Weize bis heute am Herzen: die Box mit zwölf CDs mit jüdischer Musik, die unter den Nazis veröffentlicht worden war. Ihr Titel: „Vorbei“. Was heute noch kaum jemand weiß: Die Juden wurden zwar aus dem allgemeinen Kulturbetrieb verbannt. Doch die Produktion und der Vertrieb unter ihnen war erlaubt. Das Besondere an diesem Projekt: „Bänder gab es nicht, und Schallplatten haben die Leute nicht mit auf ihren Weg in die Vernichtungslager genommen.“ Also habe er sich die Platten für die Box über seine Verbindungen in Großbritannien und den USA besorgt.
„Saugute“ CD-Produktionen
In den 80er-Jahren kam die musikalisch-technische Revolution auch bei Bear Family an: in Form der ersten CDs des kanadischen Country-und Folksängers Ian Tyson und des amerikanischen Countrymusikers John Russell. Weize erinnert sich: „Die waren so saugut, das war kaum auszuhalten.“ Und: „Damals war CD Wunderwerk.“ Die Produktionskosten betrugen in den 80ern acht Mark oder vier Euro, heute sind es 15 Cent. Trotz der hohen Kosten gab es bei Bear Family künftig alles das, was vorher auf Vinyl zu haben war, nun auch als digitale Produktion.
Ob LP oder CD, mit seinen Projekten hat sich Weize international einen guten Namen gemacht. Er wurde mehrfach für den Grammy Award nominiert. Beim Gang durch die früheren Betriebsräume im vorderen Teil des Hauses zeigt Richard Weize eher nebenbei auf seine Urkundensammlung gleich am Eingang. „Es hat zwar nie mit dem Preis geklappt, aber die Urkunden machen sich gut“, sagt er lächelnd.
Immerhin hat es schon im Jahr 2009 mit dem deutschen Musikpreis „Echo“ funktioniert. Den gab es in der Kategorie „Besondere Verdienste um die Musik“. Dies ist eine Geschichte von den vielen, die Richard Weize erzählen kann.