Eine Schwangerschaft lang

Mehr als 30 Jahre lang war der Journalist Eckhard Stengel als Bremen-Korrespondent für verschiedene Medien in ganz Deutschland aktiv – unter anderem zunächst für die „Süddeutsche Zeitung“, später für die „Frankfurter Rundschau“ und den Berliner „Tagesspiegel“. Zum Ende seines Berufslebens werden Stengels interessanteste Beiträge und Fotos demnächst in einem Buch erscheinen. Die „Bremer Rundschau“ ist ein 420 Seiten dicker Rückblick in die jüngste Geschichte des Zwei-Städte-Staates. Und es ist ein Geschichtenbuch zum Stöbern, Staunen und Schmunzeln.

Von Ulf Buschmann

In der Bundespolitik stehen die Zeichen auf Ampelkoalition – SPD, Grüne und FDP verhandeln seit dieser Woche. Während die Granden der drei Parteien Einigkeit demonstrieren, könnte es dem einen oder anderen Menschen aus dem Fußvolk etwas flau im Magen werden: Ampel? Da war doch was? Stimmt, der erste Versuch dieser Art an der Weser scheiterte Mitte der 1990er-Jahre an der „Piepmatzaffäre“.

Wer knapp 30 Jahre später mehr über die Hintergründe erfahren möchte, kann sich demnächst den Gang in die Archive oder die aufwendige Internetsuche sparen. Schließlich gibt es die „Bremer Rundschau“. Autor Eckhard Stengel beschreibt auf 420 Seiten „Bremen und Bremerhaven seit 1989 aus Sicht eines Zeitungskorrespondenten“, so der Untertitel. Im Jahr 1989 kam der Journalist von Göttingen nach Bremen und arbeitet seitdem als Korrespondent für mehrere Medien in ganz Deutschland. Zuerst druckte unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ seine Beiträge, ab 1993 insbesondere die „Frankfurter Rundschau“, der Berliner „Tagesspiegel“ und andere Medien.

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„Piepmatzaffäre“ und Werft-Zusammenbruch

Für sie beschrieb Stengel unter anderem akribisch, was es mit der „Piepmatzaffäre“ auf sich hatte. Aber nicht nur das, der Journalist war bei allen großen Themen mittendrin im Geschehen, mit denen der Zwei-Städte-Staat bundesweit Schlagzeilen machte. Stengel beleuchtete die Hintergründe und das Scheitern des Bremer Vulkans, traf den Bremer Murat Kurnaz nach seiner Haftentlassung aus dem amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo oder beantwortete die Frage, warum der kleine Kevin sterben musste.

Die Liste dessen, was Stengel durch Beharrlichkeit und geschickte Recherchen an die Oberfläche brachte, ist enorm. Ein ums andere Mal war der studierte Diplom-Sozialwirt seinen Kollegen der hiesigen Medien voraus. Vor allem den Platzhirsch WESER-KURIER ärgerte Stengel ein ums andere Mal: Bevor dessen Leser erfuhren, was Sache war, stand die Geschichte längst in der „Frankfurter Rundschau“.

Bremens Machtzentrum, das Rathaus. Foto: Buschmann

Zeitgeschichtlicher Genuss

Dies alles jetzt noch einmal in der „Bremer Rundschau“ zu lesen, dürfte vor allem für zeitgeschichtlich interessierte Menschen reiner Genuss sein. Selbst wer das Buch nur überfliegt, vergisst hin und wieder Raum und Zeit und denkt sich mal schmunzelnd, mal den Kopf schüttelnd: „Ach ja, so war das damals.“ Auch jene Menschen, die nur mal schnell schauen möchten, wie es mit der „Piepmatzaffäre“ und dem Bremer Vulkan weiterging, kommen auf ihre Kosten: Stengel gibt oft einen zwei bis drei Sätze langen Abriss dessen, was später geschah.

Die „Bremer Rundschau“ ist das Ergebnis einer echten Fleißarbeit, die der Journalist neben dem Tagesgeschäft geleistet hat. „Ich war selbst erstaunt, als ich das Material gesichtet habe“, sagt er gegenüber den Nord West Reportagen, „die Arbeit dauerte eine Schwangerschaft lang. Also neun Monate.“ Von schätzungsweise 3.000 Beiträgen hätten es schließlich 240 ins Buch geschafft.

Bremens Ex-Bürgermeister Henning Scherff: Umarmer und Netzwerker. Foto: Buschmann

Doch es war nicht nur die Auswahl dessen, was der Autor und sein Verlag gerne in der „Bremer Rundschau“ veröffentlichen möchten. Teilweise musste Stengel die Beiträge ein zweites Mal in seinen Computer eintippen. Hintergrund: Nicht alles hatte er noch digital beziehungsweise als Word-Datei vorliegen. Aber nicht nur das: Bei Themen, die sich über längere Zeit hinzogen, hat Stengel nach und nach mehrere Features geschrieben. Aus Platzgründen habe er die erschienenen Stücke für das Buch zusammenfassen müssen. „Nur beim Komplex um den Bremer Vulkan habe ich es nicht getan, sondern ihm ein eigenes Kapitel gewidmet“, meint der Autor.

Über die Themenauswahl

Die Kriterien für die Themenauswahl sind ansatzweise mit denen des Eiskunstlaufs vergleichbar: Die Sportler müssen in Pflicht und Kür bestehen. Auch Stengel hat sich zwei Wettbewerbe geschaffen: die „Pflichtthemen“ und die „Randthemen, die es wert sind, erzählt zu werden“. Zu Ersteren gehören das Platzen der Bremer Ampelkoalition und der Untergang des Bremer Vulkan. Zu den „Randthemen“ gehört für den Journalisten eine bis heute befremdlich wirkende Aktion von Bremer CDU-Frauen: Sie hatten die Bremer dazu aufgerufen, Tapetenreste für Altenheime in der damals noch bestehenden DDR zu spenden. „Man kann sich heute noch fragen, warum die Leute keine neuen Tapeten spenden sollten“, wirft Stengel im Gespräch ein.

Bleibt die Frage nach dem Warum. „Ich hatte das Gefühl, es gibt viele Themen, die es wert sind, sie der Nachwelt zu hinterlassen“, sagt Stengel, „es gibt wenig zeitgeschichtliche Nachschlagewerke über Bremen.“ In der Tat: Wer nach Werken über die Geschichte der alten Hansestadt sucht, landet zwar schnell beim Standardwerk „Die Geschichte der Freien Hansestadt Bremen“ von Herbert Schwarzwälder. Doch: Der Sammelband geht bis 1945, das Nachfolgewerk reicht nur bis 2005. Eine Zeit also, in der noch viel passierte. Hier schließt die „Bremer Rundschau“ eine Lücke. Zum Glück!

„Medienleute arbeiten
so ähnlich wie Klempner“

Aber das Stengel-Buch ist nicht nur ein Nachschlagewerk, es unterhält auch. Der Journalist hat nämlich nicht nur die großen Geschichten aufgespürt, sondern auch die kleinen Ereignisse, die den Leser letztlich schmunzeln lassen beziehungsweise die einen durchaus hohen Unterhaltungswert haben – siehe die CDU-Frauen mit ihrer Alttapeten-Sammelaktion.

Haus der Bürgerschaft

Eckhard Stengel war unzählige Male in der Bürgerschaft. Foto: Buschmann

Was außerdem auffällt: Stengel schreibt überwiegend Kritisches über seine Wahlheimat. Mag er das kleinste Bundesland etwa doch nicht? Die Antwort auf diese Frage findet sich im Vorwort der „Bremer Rundschau“. Stengel schreibt: „Das liegt schlicht daran, dass Medienleute so ähnlich wie Klempner arbeiten: Sie kümmern sich vor allem um schadhafte Stellen.“

Dieses Zitat spiegelt sein Selbstverständnis als Journalist wider. Das Wort „Ausgewogenheit“ mag Stengel gar nicht. Er spricht lieber von „Abgewogenheit“. Widmet sich Stengel einem Thema, wägt er die Argumente gegeneinander ab. Jeden, der sich dazu berufen fühlt, etwas sagen zu lassen, ist nicht sein Stil. Das ist gut so, und das macht die „Bremer Rundschau“ so lesenswert.

Das Buch

„Bremer Rundschau – Bremen und Bremerhaven seit 1989 aus Sicht eines Zeitungskorrespondenten“ erscheint voraussichtlich Mitte November im Kellner-Verlag und kostet 24,90 Euro.

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