Touris in der eigenen Heimatsstadt

Mit dem Smartphone als Begleiter oder vom heimischen PC aus an verschiedenen Orten in Deutschland auf Entdeckungstour gehen, das ermöglicht das Projekt „Stadt-Land-Erleben“ mit einer Web-App. Wir sind auf einen digitalen Rundgang durch Bremen gegangen und haben im Anschluss Diplompädagogin Tanja Huppertz interviewt. Die Dörverderin hat dieses Angebot gemeinsam mit Geologin Dr. Carolin Huppertz entwickelt.

Von Daniela Krause

Frau Huppertz, die Karte von Stadt-Land-Erleben wird immer voller. Welche Vision verfolgen Sie mit Ihrem Projekt?

Wir zeigen mit unserer Web-App die Vielfalt in Deutschland und sensibilisieren Menschen für ihre Umwelt. Bildung ist die Grundlage, um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Wir setzen uns für den nachhaltigen Schutz und den Erhalt gefährdeter Naturlandschaften und Kulturgüter ein, machen Geschichte und Architektur vor Ort begreifbar und fördern einen nachhaltigen Umgang. Zudem entwickeln wir eine digitale Lernkultur und ermöglichen allen Menschen den Zugang zu Wissen und Informationen.

Wie viele Standorte gibt es bereits und welche sind in Planung?

Derzeit sind rund 70 Entdeckerpfade online, weitere rund 350 Pfade sind in Planung. Das heißt, wir waren bereits vor Ort, haben die Route festgelegt und Fotos gemacht. Die Entdeckerpfade werden nun nach und nach fertiggestellt. Wir arbeiten unabhängig, daher gibt es keine festgelegte Reihenfolge. Wir sind jederzeit offen für Ideen. Wer Interesse an einem Entdeckerpfad in seiner Region hat, um auf die Besonderheiten vor Ort aufmerksam machen, kann sich gerne bei uns melden.

Dr. Carolin Huppertz (links) und Tanja Huppertz haben gemeinsam das Projekt Stadt-Land-Erleben entwickelt und treiben es stetig voran. Foto: Tanja Huppertz

Aktuell gibt es für Bremen zwei Entdeckerpfade im Stadtzentrum. Wird es für den Raum Bremen und umzu künftig noch weitere Angebote geben?

Natürlich. In Bremen selbst gibt es bereits Pläne für einen Entdeckerpfad in den Wallanlagen und in Bremen Nord. Bremerhaven wird bald online gehen. Und im Umland sind sowohl in Städten und Dörfern als auch in der Natur noch Pfade geplant, zum Beispiel Thedinghausen, Achim, im Teufelsmoor und Schmidts Kiefern.

Wie kam es zur Idee der virtuellen Entdeckerpfade?

2018 reisten wir durch Deutschland und machten den Fehler, den wohl viele machen: Wir fuhren zunächst an die üblichen touristisch-geprägten Orte. Etwas gefrustet von den Menschenmassen wichen wir von unserer eigentlichen Route ab und erkundeten die umliegenden Regionen. Wir gingen durch einsame Gassen, fanden wunderschön erhaltene Stadtmauern und geheimnisvolle Moore. Was wir allerdings nur selten fanden, waren anschauliche und nutzerfreundliche Informationen.

Aufgrund unseres beruflichen Hintergrundwissens war sehr schnell klar, dass es inhaltlich, didaktisch und grafisch besser geht. Die Idee war geboren. Etwas später gründete ich zunächst nebenberuflich Wissen Erleben, um den Einsatz smarter Technologien für Wissenschaftskommunikation, Bildung, Persönlichkeitsentwicklung und Tourismus weiterzuentwickeln und zukunftsfähig zu machen. Die Web-App www.stadt-land-erleben.de ist nach längerer Entwicklungszeit im Januar 2021 online gegangen.

Wir unterstützen das gesamtgesellschaftliche Ziel der Bildungsgerechtigkeit und ermöglichen allen Menschen den freien Zugang zu Wissen und einen Einblick in wissenschaftliche Fragestellungen.

Wie sind Sie bei der Ausarbeitung der Pfade vorgegangen?

Wir planen meist zwei bis drei längere Touren im Jahr. Die Tour wird entsprechend vorbereitet. Am Zielort angekommen, entwickeln wir vor Ort den Rundgang und machen die erforderlichen Foto-Aufnahmen. Unsere Touren sind kompakt gestaltet, um Reisezeiten zu minimieren. Nach Abschluss einer Tour beginnen wir mit der Projektplanung und Pfaderstellung. Bei uns kommt alles aus einer Hand: Recherche, Inhalte, didaktisches Konzept, Rekonstruktionen, sowie die technische und grafische Umsetzung.

Mit dem Smartphone als Begleiter kann man sich auf dem digitalen Entdeckerpfad durch die Stadt begeben und sich auch navigieren lassen. Foto: Tanja Huppertz

Gab es Vorbilder, an denen Sie sich orientiert haben?

Es gibt sowohl abschreckende Beispiele, als auch inspirierende Projekte. Ein konkretes Vorbild haben wir nicht. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen unserer Zielgruppe: Der Nutzer besucht recht spontan eine Region und möchte direkt bei seiner Ankunft mit Informationen versorgt werden. Auch am Sonntag oder am Abend – jederzeit. Was gibt es hier zu sehen? Wo muss ich hin? Was gibt es Spannendes über diesen Ort oder die Region zu wissen? Unsere Nutzer sind vielseitig interessiert – entsprechend groß ist die Themenvielfalt. Ebenso unterschiedlich sind die Städte, Dörfer und Naturlandschaften, es gibt so viel zu entdecken.

Sie bieten Ihr Angebot auf Basis einer freiwilligen Spende an. Wie gut funktioniert dieses Konzept für Sie?

Wie man an unserer Vision erkennen kann, haben wir etwas andere Erfolgskriterien. Denn unserer Philosophie folgend, möchten wir allen Menschen einen uneingeschränkten Zugang zu den Entdeckerpfaden ermöglichen. Wissen ist wertvoll.

Würden wir unsere Angebote mit einer Bezahlschranke versehen oder mit Werbung füllen, würde es an Wert verlieren – es wäre nur eingeschränkt verfügbar und auch nicht mehr nachhaltig. Stattdessen gestalten wir eine freie Lernkultur ohne relative Kategorien in Form von soziologischen, sozialen, politischen oder ökonomischen Zuweisungen. Wir unterstützen das gesamtgesellschaftliche Ziel der Bildungsgerechtigkeit und ermöglichen allen Menschen den freien Zugang zu Wissen und einen Einblick in wissenschaftliche Fragestellungen.

Und ja, die Menschen schätzen diese Freiheit. Sie müssen nicht die Katze im Sack kaufen, sondern unterstützen vielmehr unsere Vision. Das kommt gut an.

Das Ganze läuft online mit dem Smartphone als Begleiter. Wäre eine App da nicht die bessere Lösung gewesen?

Wir haben uns ganz bewusst gegen eine Smartphone-App entschieden. Der Nutzer müsste für jede Stadt eine eigene App herunterladen oder eine speicherintensive App für ganz Deutschland installieren. Dann gäbe es alle paar Tage ein Update. Das ist einfach nicht praktikabel. Wir möchten ganz bewusst allen Menschen die Nutzung ermöglichen, unabhängig vom Betriebssystem.

Von einer Rückmeldung wissen wir, dass beispielsweise auch eine Person mit stark eingeschränkter Mobilität und ohne Smartphone vom Schreibtisch aus mit uns Deutschland erkundet. Das war zwar so gar nicht geplant, aber uns hat die Geschichte sehr berührt.

Unser digitaler Stadtrundgang 

Wir haben mit Stadt-Land-Erleben als vierköpfige Familie Touris in unserer eigenen Stadt gespielt. Dazu geht man auf die Internetseite der beiden Entwicklerinnen, aktiviert die Karte und sucht sich den gewünschten Entdeckerpfad aus. Dann kann es auch schon losgehen. Mit dem Touchdisplay des Smartphones ließen wir uns von einem Ort zum nächsten führen. Die Website hat uns dabei unsere Heimatstadt nochmal von einer etwas anderen Seite gezeigt. Für die Erwachsenen waren besonders die historischen Aufnahmen und Informationen interessant.

Klar, die wichtigsten touristischen Attraktionen wie das altehrwürdige Rathaus, den Dom und die Bremer Stadtmusikanten kennt man als Bremer. Aber „Stadt-Land-Erleben“ lädt dazu ein, viel genauer hinzuschauen, sich mit der Geschichte und den Besonderheiten von Bauwerken auseinanderzusetzen und einen Blick fürs Detail zu entwickeln. So wussten wir zum Beispiel nicht, dass der Abstand der spitzen Knie des Rolands dem Maß der Bremer Elle sehr nahe kommt. Auch das Schiff im Giebel des Schüttings, welches eine Handelskogge darstellt, ist uns noch nie bewusst aufgefallen. Die Kinder haben mit Feuereifer die kleine Maus im Dom gesucht, die übrigens gar nicht so leicht zu finden ist.

Für Familien mit kleineren Kindern lohnt es sich, den Rundgang vielleicht schon mal zu Hause vorzubereiten. Dann muss man nicht die zum Teil doch sehr stark auf Architektur bezogenen Texte komplett vorlesen, sondern kann für die Kinder die interessantesten Informationen herausfiltern. Die architektonischen Besonderheiten sind aber wiederum sehr spannend, wenn ein Quiz auf dem Display erscheint. Da sucht auch die Fünfjährige schon begeistert mit. Das Schöne ist: Es gibt keinen Zeitdruck. Man kann sich den Stadtrundgang einteilen, wie man möchte und zwischendurch Pausen machen. Wir empfehlen Stadt-Land-Erleben gerne weiter und freuen uns schon darauf, mit dem digitalen Stadtführer neue Orte in der Region zu entdecken.