Exil für belarussische Gewerkschafter
Unabhängige Gewerkschafter aus Belarus haben in Deutschland politisches Asyl bekommen. Sie setzen ihre Arbeit von Bremen aus fort. Dafür haben sie den Verein „Salidarnast“ gegründet.
Von Ulf Buschmann
Wenn Aleś Dzianisaŭ in die Saiten haut und seine Songs singt, klingt es melancholisch. Viel Heimweh blitzt in der Musik durch. Dzianisaŭs’ Heimat ist Belarus, und er singt in seiner Sprache. Der Musiker kommt aus Grodno. Dort gründeten Dzianisaŭ und andere Musiker im Jahr 2012 die Band Dzieciuki. Sie bezeichnen Ihre Musik als Folk-Punk. Ihre Mission ist es laut Wikipedia-Eintrag, über „unveröffentlichte Seiten der belarussischen Geschichte“ zu singen.
Von diesen „unveröffentlichten“, vielleicht besser unbekannten Geschichten des Landes zwischen Polen und Russland gibt es viele – eine davon ist die der unabhängigen Gewerkschaften und der Menschen dahinter. Bekannt ist im Westen, dass der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko seit 1996 an der Macht ist. Und dass Hunderttausende Menschen im Sommer und Herbst 2020 gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen protestiert haben. Ihr Vorwurf: Das Ergebnis von 80,2 Prozent für Lukaschenko sei gefälscht.
Ebenso wissen die Menschen im Westen, dass die Staatsmacht mit äußerster Brutalität gegen die Demonstrierenden vorging und die führenden Oppositionspolitikerinnen und -politiker ausschaltete. Amnesty International spricht von etwa 30.000 Inhaftierten seit Sommer 2020. Der Menschenrechtsorganisation „Viasna“ sind 1.800 Fälle von Menschen bekannt, die strafrechtlich verfolgt wurden oder gerade werden. Zuletzt machte die schwere Erkrankung der Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa Schlagzeilen. Sie war 2021 zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihre Mitstreiterin und Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja schaffte es gerade noch ins Exil – sie lebt seit Ende 2020 in der litauischen Hauptstadt Vilnius.
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Gründung unabhängiger Gewerkschaften
Zur unveröffentlichten Geschichte von Belarus gehört auch, dass die Menschen 2020 nicht nur auf den Straßen der großen Städte gegen Lukaschenko demonstrierten. Es gab auch in den großen, meist staatlichen Unternehmen Protestaufrufe. In der Folge gründeten sich eine Reihe unabhängiger Gewerkschaften. Zwar gibt es Organisationen, die sich so nennen. Doch in Belarus ist es wie einst in der Sowjetunion und der DDR: Gewerkschaften sind der verlängerte Arm der Machthaber.
Im Sommer und Herbst 2020 gründeten sich die Belarussische Unabhängige Gewerkschaft (BNP), die Belarussische Freie Gewerkschaft (SPB), die Freie Gewerkschaft der Metallarbeiter (SPM) und die Belarussische Gewerkschaft der Radioelektronischen Industrie (REP). Sie alle schlossen sich im Dachverband, dem Belarussischen Kongress Demokratischer Gewerkschaften (BKDP), zusammen. Der Zulauf war enorm. Gleichwohl waren die gezählten 11.000 Mitglieder im Vergleich zum regierungsnahen Gewerkschaftsbund von Belarus (FPB) mit seinen etwa vier Millionen Organisierten nur eine kleine Organisation. Zum Vergleich: Belarus zählt aktuell knapp zehn Millionen Einwohner.
Und zur unveröffentlichten belarussischen Geschichte der vergangenen knapp zwei Jahre gehört, dass die staatlichen Institutionen strafrechtlich gegen die Führer der unabhängigen Gewerkschaften vorgingen. So wurde etwa der BKDP-Vorsitzende Aliaksandr Yarashuk zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Der Grund in diesem Fall: Yarashuk hatte öffentlich die Hilfe von Belarus für Russlands Krieg gegen die Ukraine kritisiert. Allerdings scheinen nach Berichten die unabhängigen Gewerkschaften in dieser Frage gespalten. Einige sind eher auf Putin-Kurs.
Politisches Asyl in Deutschland
Im Juni 2022 begann die Geschichte der unabhängigen Gewerkschaften, die direkt mit Bremen zu tun hat. Bereits im April hatte der belarussische Staat den Druck auf die Organisationen verstärkt. Im Juni verbot der oberste Gerichtshof von Belarus die unabhängigen Gewerkschaften. Ihre führenden Köpfe mussten das Land fluchtartig verlassen. Mithilfe des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des Bundesinnenministeriums bekamen acht Funktionäre politisches Asyl – sieben leben inzwischen in Bremen.
Zwei von denen, die mit ihren Familien in der Hansestadt eine neue Heimat gefunden haben, sind Maksim Pazniakou und Lizaveta Merliak. Pazniakou ist kommissarischer BKDP-Vorsitzender. Merliak steht dem gerade gegründeten Verein „Salidarnast“ vor. Dieser ist Rechtsnachfolger des BKDP. Beide wurden auch im Namen der anderen Gewerkschafter am Freitag offiziell in Bremen begrüßt. Dass sie ausgerechnet an der Weser gelandet sind, hängt mit den engen Beziehungen nach Belarus zusammen. Für die Hilfe ihrer Kollegen habe sich der DGB kurzerhand das Jahresmotto 2023 zum 1. Mai, „Ungebrochen solidarisch“, zu Eigen gemacht, sagte Ernesto Harder, Geschäftsführer der DGB-Region Bremen-Elbe-Weser und Vorsitzender des Stadtverbandes Bremen: „Wir brauchen eine demokratische belarussische Gewerkschaft.“
Von Bremen aus setzen Pazniakou, Merliak und ihre Kollegen ihre Arbeit fort. Der kommissarische BKDP-Vorsitzende nannte die Schwerpunkte Bildung, Beratung und Öffentlichkeitsarbeit. Der neue Verein „Salidarnast“ dient dabei nicht nur als hiesiger Rechtsnachfolger des Belarussischen Kongresses Demokratischer Gewerkschaften. Er bietet vielmehr einen rechtlichen Rahmen, um den Menschen, die ihr Heimatland nicht verlassen konnten, zu helfen. Eines der „Salidarnast“-Ziele sei es denn auch, ein großes Netzwerk zu bilden.
Vor diesem Hintergrund bezeichnete Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte den Begrüßungsabend als „ganz wichtige Veranstaltung“. Er wies auf die geschichtlichen Parallelen zur unabhängigen polnischen Gewerkschaft „Solidarność“. Diese hatte von 1982 bis 1984 ebenfalls ein Büro in Bremen. Im Dezember war das Kriegsrecht ausgerufen worden – um einem Einmarsch der Roten Armee zuvorzukommen.
Gesellschaft in Angst
Nicht nur in Sachen Büro wiederholt sich die Geschichte. Die Menschenrechte würden genauso mit Füßen getreten wie einst in Polen, berichtet Viasna-Aktivistin Anastasija Vasilchuk. Auch sie hat das Land verlassen und lebt mittlerweile in Vilnius. Nach den Massenprotesten 2020 seien die Demonstranten aus den Straßen verschwunden. Die bedeute indes nicht, dass die Mehrheit nun für Lukaschenko sei. Im Gegenteil, wie Vasilchuk berichtet: „In der belarussischen Gesellschaft herrscht Angst.“
Jeder möchte Ärger mit den Behörden vermeiden, denn noch immer würden Menschen festgenommen und verurteilt – unter fadenscheinigen Gründen. Es reiche bereits, seine Ablehnung gegenüber dem System im Internet zum Ausdruck zu bringen oder mit ausländischen Journalisten zu sprechen. Laut Vasilchuk weiß Viasna aktuell von 1.500 politischen Gefangenen. Sie vermutet, dass die Anzahl von 3.800 Menschen, die von Gerichtsverfahren betroffen sind, nur die Spitze des Eisbergs sei. „Es sind die Verfahren, von denen wir wissen“, sagt die Aktivistin. Die Dunkelziffer dürfe sich bei etwa 10.000 Menschen bewegen.
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